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RB LeipzigDer Profifußball in der Krise: Zwischen Reformwille und Besitzstandswahrung

Von (RBlive/dpa)
28.03.2020, 15:21
Wo führt sie den Fußball hin, die Krise?
Wo führt sie den Fußball hin, die Krise? Imago/Noah Wedel

Sogar Uli Hoeneß und Gianni Infantino glauben an eine Zeitenwende im Fußball. Es ist die Zeit der Rechenschieber, der engen Kalkulationen, es ist die Zeit der Sorge ums wirtschaftliche Überleben. Wenn sich die 36 Profi-Clubs aus Bundesliga und 2. Liga am Dienstag zu ihrer nächsten außerplanmäßigen Mitgliederversammlung treffen, geht es primär um die Verlängerung der Liga-Zwangspause bis zum 30. April. Es geht auch um die Suche nach einem Notfallspielplan für die noch ausstehenden 82 Bundesliga-Partien. Existenzgefährdende Einnahmeverluste von rund 750 Millionen Euro sollen vermieden werden.

In den Grundfesten erschüttert

Für den Fußball steht aber viel mehr auf dem Spiel. Längst geht es auch um eine Weichenstellung und ein Krisenszenario, das eine dauerhafte Sicherung des Profifußballs ermöglicht - und vielleicht geht es auch um grundlegende Änderungen des von der Pandemie in seinen Grundfesten erschütterten Milliarden-Business.

Wie soll der Fußball der Zukunft aussehen? Ist das Rad überdreht? Ist weniger vielleicht tatsächlich mehr? Die Einschnitte könnten über die Zusagen vieler Spieler und Funktionäre auf einen Gehaltsverzicht oder das 20-Millionen-Euro-Versprechen der deutschen Königsklassen-Clubs aus München, Dortmund, Leipzig und Leverkusen weit hinausgehen.

Kein geringerer als Weltverbandschef Infantino - sonst ein gnadenloser Treiber für neue Märkte und Geldquellen - hat sich zum Initiator einer Grundsatzdebatte um eine Fußball-Entschleunigung gemacht. "Vielleicht können wir den Fußball reformieren, indem wir einen Schritt zurück machen", sagte Infantino anlässlich seines 50. Geburtstags zu Wochenbeginn in einem Interview der italienischen Tageszeitung "Gazzetta dello Sport". Der Schweizer schlug vor: "Weniger Turniere, dafür interessantere. Vielleicht weniger Teams, dafür größere Ausgeglichenheit. Weniger Spiele, um die Gesundheit der Spieler zu schützen, dafür umkämpftere Partien."

Debatten für Romantiker

Das klang so, als würde der Papst das Zölibat geißeln. Gegner werfen dem Schweizer, der die WM auf 48 Teams aufgebläht und eine Club-WM mit 24 statt sieben Mannschaften forciert hat, vor, in Zeiten der Krise mit Machtinstinkt zu sagen, was Fans hören wollen. Zumindest macht Infantino aber eine Debatte möglich, die vor Corona nur Fußball-Romantiker führten.

Ewald Lienen steht nicht im Verdacht, mit Infantino auf einer Wellenlänge zu liegen. Der Technische Direktor des FC St. Pauli gibt zu bedenken: "Warum muss ein Club 500 Millionen Euro haben - ein anderer nur 50? Und warum muss ein einziger Spieler zehn oder 20 Millionen Euro verdienen?" Er prangerte namentlich die aus Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten alimentierten Clubs von Paris Saint-Germain und Manchester City an.

Sein Club-Chef Oke Göttlich wurde konkret: "Wir müssen das bisherige System im Profifußball hinterfragen, weil es einem neuen System des solidarischen Miteinanders wird weichen müssen", sagte er. Soll heißen: "Gleichverteilen von Einnahmeströmen" und "keine zügellosen Finanzstrategien", meinte Göttlich und sprach von einem "Gesundschrumpfen".

Solche Ideen sind längst kein Privileg des Hamburger Kiez-Clubs mehr. Auch Bayerns Ex-Präsident Uli Hoeneß sieht die Zeit für Änderungen gekommen. "Die jetzige Situation ist eine Gefahr, aber auch eine Chance, dass die Koordinaten etwas verändert werden können", sagte er. "Es wird sehr wahrscheinlich eine neue Fußballwelt geben."

Wie die Sozialreform des Fußballs konkret aussehen könnte, ist aber noch reine Gedankenspielerei. Eine Gehaltsobergrenze wird als Option genannt. Dreistellige Millionentransfers wird es womöglich nicht so schnell wieder geben. Eine ökonomische Gegenströmung fordert den Wegfall der 50+1-Regel, wodurch Investoren neues Geld in den deutschen Fußball pumpen könnten. Das wäre eine Marktradikalisierung.

"Ich sage nur: Enke!"

Fredi Bobic, dieser Tage auch ein nachdenklicher Geist, hat ohnehin Zweifel: "Es hat immer Unterschiede zwischen den Clubs gegeben und es wird sie auch immer geben, unabhängig von der Krise", sagte Eintracht Frankfurts Sportvorstand.

Joachim Löws Nationalmannschaftspsychologe Hans-Dieter Hermann glaubt indes an einen generellen gesellschaftlichen Sinneswandel. "Was hinterher genau passiert, kann keiner sagen. Aber wenn ich sehe, wie stark sich – trotz einiger Gegenbeispiele beim Einkaufen – momentan Solidarität und Zusammenhalt bei vielen entwickelt, bin ich sehr optimistisch, dass wir von diesen positiven Nebenwirkungen auch nach der Corona-Krise noch profitieren werden. Unsere Kultur erhält gerade die Chance, im positiven Sinne wieder zu einer neuen Art des Miteinander und Füreinander zu finden", sagte er.

Dass der Fußball zuletzt eben nicht abseits der generellen gesellschaftlichen Diskurse stand, wurde auch bei Themen wie Rassismus oder Homophobie deutlich. Nun wird der Fußball auch zum Spiegelbild des großen Ganzen in der Sehnsucht nach einer Reduzierung auf das Wesentliche. Erster Fürsprecher war Joachim Löw mit seinem viel beachteten Aussagen. "Ich habe auch so das Gefühl, dass die Welt und vielleicht auch die Erde sich so ein bisschen stemmt und wehrt gegen die Menschen und deren Tun, denn der Mensch denkt immer, dass er alles weiß und alles kann und das Tempo, das wir so die letzten Jahre irgendwie auch vorgegeben haben, das war schon auch nicht mehr zu toppen", sagte der Bundestrainer und prangerte "Macht, Gier und Profit" an.

Abseits des Fußballs zeichnet der Zukunftsforscher Matthias Horx eine positives Zukunftsbild: "Krisen wirken vor allem dadurch, dass sie alte Phänomene auflösen, überflüssig machen." Übertragen auf den Fußball könnte das heißen: Keine exorbitanten Ablösesummen und Gehälter mehr, keine Abschottung der Stars von den Fans und Rückbesinnung auf den reinen Sport. Es gibt aber auch andere Stimmen: "Plötzlich sind wir alle gleich. Vielleicht nehmen wir das für die Zukunft mit", sagte Hertha-Profi Vedad Ibisevic.

DFL-Chef Christian Seifert, der nach der ersten Mitgliederversammlung ungewohnt ergriffen eingestand, dass die Bundesliga nun mal ein "Produkt" verkaufe, sucht noch nach neuen Koordinaten. Vielleicht aber bleibt alles, wie es war. Thomas Schaaf hat seine Zweifel. "Ich sage nur: Robert Enke ...», sagte der Werder-Funktionär am Freitag. "Ich kann mich noch sehr gut an die Situation erinnern, als viele von uns in Hannover im Stadion gesessen haben, um uns von Robert Enke zu verabschieden. Jeder war sehr betroffen, jeder hat gesagt 'Jetzt muss sich etwas ändern'". Und? Es habe zwar danach auch Fortschritte gegeben, wirklich nachhaltig sei das aber nicht gewesen. Sonst sei es nicht möglich, "dass Spieler mit dem Tod bedroht werden, wie es kürzlich Hanno Behrens und Lukas Mühl vom 1. FC Nürnberg widerfahren ist", sagte Schaaf. Enke hatte sich vor zehn Jahren das Leben genommen.

Der Profifußball müsse vor allem seinen pickepackevollen Kalender hinterfragen. "Wir alle haben jetzt gemerkt, wie zerbrechlich das System Profifußball ist. Und uns ist eindrucksvoll vor Augen geführt worden, dass wir keinerlei Reserven mehr haben", so Schaaf, der heute als Technischer Direktor von Werder Bremen arbeitet.