Reportage aus Abu Dhabi RB Leipzig inmitten von Gigantismus und Rückständigkeit
Zehn Tage lang verbrachte der Bundesligist aus Sachsen in einer der reichsten Metropolen der Welt - geprägt von gewaltigen Bauwerken und Projekten. Wie aber steht es um den Fußball an diesem glitzernden Ort?
Alles wird klein in Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate. So wie die Spieler von RB Leipzig, die die Größe dieser Metropole jeden Tag vor Augen hatten. Im Blickfeld ihres Trainingsplatzes lag die Scheich-Zayid-Moschee, ein monumentales Bauwerk mit 100 Meter hohen Minaretten, die ein gewaltiges Gebetshaus umrahmen. 40 000 Menschen haben darin Platz.
Fisch und Perlen
Dass so viele Gläubige niemals zusammenkommen, nimmt man in Abu Dhabi genauso in Kauf wie das Wachstum einer Stadt, an deren Stelle vor 60 Jahren noch Zelte und Hütten standen – teils ohne Strom, ohne Kanalisation. Fische und Perlen ernährten die Menschen auf dieser vorgelagerten Insel.
Heute glitzern aus Öl und Gas finanzierte Hochhäuser aus Stahl und Glas in dem nur selten bewölkten Himmel, darunter Prestigebauten wie die Ettihad Towers und der Emirates Palace, Abu Dhabis feinste Absteige an der Corniche, dem berühmtesten Strand der Stadt. Man munkelt, es sei darin aus Gold, was in anderen Hotels aus Messing oder Eisen geformt ist.
Im Schatten dieses Gigantismus wird alles winzig. Auch ein Champions-League-Verein wie RB, dessen Trainingslagergruppe von seinem riesigen Hotel wie verschluckt wurde. Selten zuvor konnten die Rasenballsportler so unbehelligt campieren. Lediglich das Club-Logo erinnerte manchen Angestellten des Hotels an den Fußballclub dahinter. „Ah, yes, Red Bull, I know“, sagte ein Concierge beim Verlassen der gewaltigen Lobby, deren Decken so hoch sind wie die einer Kathedrale. Ob er das Getränk oder den Klub meinte, bleibt offen.
Unbesetzter Empfangstresen
So geht es dem Fußball generell in den Emiraten. Er ist beliebt, und doch nur einen Bruchteil so opulent und entwickelt wie in Europa oder Südamerika. Eine Fankultur gibt es nicht. Die Stadien sind leidlich gefüllt. 3000 Zuschauer sollen es angeblich im Schnitt sein, doch oft zieht ein Spiel der englischen Premier League mehr Menschen in eine Sportsbar als zu einer Partie der bis Ende Januar pausierenden Profiliga, in der 14 Teams den Meister ausspielen.
So modern die Emirate ihre Rohstoffgewinnung, Handel, Logistik und Tourismus handhaben, im Fußball sind sie Entwicklungsland, wie sich auch am Sitz des nationalen Fußballverbandes (UAEFA) in Abu Dhabi zeigt. Es befindet sich im sechsten Stock eines Bürohauses und beherbergt eine Handvoll Büros, der Empfangstresen ist beim Besuch an diesem Vormittag unbesetzt.
Doch der erste Blick trügt. Die Funktionäre sind mit dem Nationalteam beim Gulf Cup der arabischen Länder im Irak. Und auch die Liga ist weniger rückständig, als man denkt. Rekordmeister Al-Ain aus dem Landesinneren gewann 2003 die asiatische Champion League und Teams wie Al Shabab, Al Jazira, Al Wasl oder Baniyas die GCC Champions League, ein Turnier der besten Klubs der Arabischen Halbinsel.
Winfried Schäfer: drei Klubs in den Emiraten
Geld ist ja eigentlich genügend da. Immer mal wieder hat es deshalb Altstars wie die Weltmeister Fabio Cannavaro (2010, Al-Ahli) und David Trezeguet (2011, Al-Ahli) in die Wüstenliga verschlagen. Auch ausländische Trainer von illustrer Vita waren vor Ort: Diego Maradona (2012, Al-Wasl) oder Winni Schäfer. Der frühere Karlsruhe-Coach, der Mehmet Scholl und Oliver Kahn groß gemacht hat, trainierte drei Mal in den Emiraten: Al-Ahli, Al-Ain und Baniyas.
Schäfer, 72, weiß, dass die Entwicklung des Klub-Fußballs in den Emiraten seine Grenzen hat. Das große Geld der Scheichs fließt in Vereine, bei denen sich das Investment lohnt. Allen voran in den englischen Meister Manchester City, den die Herrscherfamilie aus dem reichsten der sieben Emirate 2008 über ihren Staatsfond erwarb.
Schäfer glaubt aber, dass die WM im Nachbarland Katar dem arabischen Fußball "einen Schub gibt", wie er im Gespräch am Telefon äußert. Der gebürtige Pfälzer ist zur Zeit ohne Anstellung.
Dieser Schub ist keiner, um sich ins Rampenlicht des Klubfußballs zu schieben. Dafür ist es zu spät und Arabien zu weit weg von den großen TV-Märkten. Aber zumindest einer, um die Nationalteams mit Spielern zu beliefern, die es aller vier Jahre in die Scheinwerferkegel der Weltöffentlichkeit schaffen. Das Kraftwerk des arabischen Fußballs, Saudi Arabien, macht es vor. Sechsmal qualifizierten sich die „Falken“ seit 1994 für eine WM, in Katar schlugen sie den späteren Weltmeister Argentinien in der Vorrunde 2:1.
Ronaldo bei den Saudis: 200 Mio. Euro in zwei Jahren
Die Saudis haben gerade erst Altstar Cristiano Ronaldo über den Klub Al-Nassr verpflichtet, um ihre Bewerbung zusammen mit Ägypten und Griechenland für die WM 2030 zu pushen. 200 Millionen Euro ist ihnen der Zwei-Jahres-Deal wert, angeblich soll nun auch Dortmunds Spielmacher Marco Reus im Visier sein.
Von solchen Transfers sind die Klubs der Emirate weit entfernt. Der bekannteste Star der Liga ist der ehemalige BVB-Stürmer Paco Alcacer vom Klub Scharja FC. Doch es bewegt sich was, glaubt Schäfer, wenn auch langsam. Bei vielen Klubs dominieren mittlerweile einheimische Spieler. Wenn "jetzt auch noch die vielen Trainer, die die Emiratis sich ins Land holen, auch mal länger als eins, zwei Jahren arbeiten dürften - oder die wollten -, dann, glaubt er, "würde sich was bewegen."
Die WM in Katar hat nämlich auch freigelegt, wie viel Prestige und weltweite Anerkennung drin ist, wenn man es zum Turnier schafft und sich dort achtbar schlägt. Die Emirate, Schäfer erinnert daran, haben erst einmal an einer WM teilgenommen. Das war 1990, als Deutschland Weltmeister wurde. „Das ist eigentlich viel zu lange her“, sagt er, und dann doch etwas sehr gering und klein für die sonst so opulenten Verhältnisse am Persischen Golf.