RB Leipzig„Mensch im Mittelpunkt”: Wie der Nachwuchs von RB Leipzigs erfolgreicher werden will
Fabrice Hartmann und Tom Krauß hatten am vergangenen Wochenende allen Grund zum Jubeln. Stürmer Hartmann erzielte beim 5:0-Erfolg der U19 von RB Leipzig beim Niendorfer TSV zwei Tore. Defensivallrounder Tom Krauß hielt die Abwehr kompakt. Es war bereits der vierte Zu-Null-Erfolg der RB-Junioren in der Rückrunde.
Nach der verkorksten Hinserie, die das Team von Trainer Alexander Blessin nur auf Rang acht beendet hatte, ist die zuvor überspielte Mannschaft wieder in der Spur und belegt nun Platz fünf. Eine wichtige Trendwende für das Aushängeschild des RB-Nachwuchses. „Die Jungs hatten mit der Youth League, den Pokalwettbewerben, der Bundesliga, den Länderspielen und der Schule eine Sechs- bis Siebenfachbelastung. Irgendwann ist eine gewisse physische, aber auch mentale Müdigkeit da”, erklärt Nachwuchsleiter Sebastian Kegel rückblickend im Gespräch mit der Mitteldeutschen Zeitung/RBlive.de. Nicht mit der Platzierung, aber was die individuelle Qualität der U19-Spieler angehe, sei Kegel „sehr zufrieden”. Es gehe um „die Art und Weise, wie wir Fußball spielen wollen und wie sich innerhalb dieser Spielidee die Spieler entwickeln.”
Klubintern war der Ergebnisdruck in der Winterpause durchaus hoch. „Das ist ein sehr wunder Punkt. Ich bin sehr unzufrieden mit den Nicht-Erfolgen der U19, und ich bin auch nicht zufrieden, wie wir aufgestellt sind”, hatte sich RB-Chef Oliver Mintzlaff via Kicker geärgert. Markus Krösche, Sportdirektor der Profis, sollte mehr Verantwortung übernehmen.
Jungstars kommen aus London, Salzburg und New York, nicht aus Grimma und Markranstädt
Denn aus einer erfolgreichen Nachwuchsarbeit, deutschlandweit will RB mit U17 und U19 stets zu den Besten gehören, sollen natürlich auch Profisspieler erwachsen. In Krauß und Hartmann hatten zum Rückrundenauftakt gegen Union Berlin erstmals zwei Talente aus der eigenen Nachwuchsschmiede bei einem Bundesligaspiel im Leipziger Kader gestanden. Noch dazu zwei aus der Region. Defensivallrounder Krauß kommt direkt aus Leipzig; Stürmer Hartmann aus Dessau. Die beiden 18-Jährigen erwärmten sich in den rot-schwarz karierten Ersatzspielertrikots. Doch auf eine Einwechslung warteten sie vergeblich.
RB sorgt zwar mit dem jüngsten Team der Bundesliga für Furore. Die Jungstars kommen allerdings aus Salzburg, Paris, London und New York, nicht aus Leipzig, Grimma oder Markranstädt. Das hat RB nicht exklusiv. Doch gerade die Leipziger, die hierzulande wie kein Zweiter in der Bundesliga für die Entwicklung junger Spieler stehen, wollen endlich auch Talente für die eigenen Profis oder zumindest die Bundesliga entwickeln. Dafür gibt RB jedes Jahr zwölf Millionen Euro aus. „Der Sprung und die Herausforderung sind in ganz Deutschland riesengroß, für jedes Talent, das in eine Champions-League-Mannschaft rein will”, sagt Nachwuchschef Kegel. „Unser Ziel ist es, die Rahmenbedingungen hier in der Akademie immer wieder zu verbessern, sodass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass das gelingt.”
Vor sieben Jahren hatte RB mit strukturierter Nachwuchsarbeit begonnen. Frieder Schrof und Thomas Albeck, zwei der besten Nachwuchsentwickler hierzulande, waren mit dem Gütesiegel vom VfB Stuttgart gewechselt, Nationalspieler wie Mario Gomez und Sami Khedira ausgebildet und auch Joshua Kimmich und Timo Werner mitgeformt zu haben. Bereits damals hatte Schrof gesagt: „RB wartet auf nichts sehnlicher als auf Spieler aus dem eigenen Nachwuchs.”
Doch das ist bis auf einen Kurzeinsatz in der Europa League des inzwischen nach Aue gewechselten Erik Majetschak 2018 noch immer nicht geglückt. Idrissa Touré hatte 2016 ein paar Minuten in der 2. Liga auflaufen dürfen. Doch dass es endlich ein Spieler aus den eigenen Reihen dauerhaft in den Profikader und zu Einsätzen schafft, ist noch immer das große Sehnsuchtsthema bei Rasenballsport.
Seit Sommer 2019 hat Kegel den Auftrag, diese Sehnsucht zu stillen. Der Bornaer ist als Nachwuchsleiter hauptverantwortlich für die sportliche Entwicklung; im Duo mit dem gebürtigen Hallenser Christian Streit, der im Hintergrund für die Akademieleitung und -Organisation verantwortlich ist. Dass Kegel und Streit, die beide in der Region verwurzelt sind, die Akademie leiten sollen, regelte Ex-Sportdirektor Ralf Rangnick vor seinem Abschied. Selbst hatte er sich gar nicht beworben, sagt aber: „Ich traue mir das 100-prozentig zu.”
Nachwuchsleiter Kegel: „Mündige, eigenverantwortliche, mutige Menschen ausbilden”
Kegels neuer Fokus lautet: „Wir rücken den Menschen noch stärker in den Mittelpunkt. Unser Ziel ist es, mündige, eigenverantwortliche, mutige und selbstbewusste Menschen hier in der Akademie zu entwickeln.” Das soll den Kickern auch auf dem Rasen weiterhelfen. „Es braucht auf dem Platz unter hohem Raum- und Zeitdruck einfach eigenverantwortliche Entscheidungen”, erklärt er. „Da kann den Spielern kein Trainer mehr von außen etwas zurufen, sondern sie müssen in Sekundenbruchteilen selbst entscheiden.” An der einheitlichen, konsequent umgesetzten Spielidee, Markenzeichen des RB-Nachwuchses, will Kegel nicht rütteln: „Mutig sein, agieren, schnell zum Tor zu kommen. Ziel ist es, den Ball schnell zu erobern und etwas Zielgerichtetes zu tun”, seien nach wie vor die Prinzipien.
Aktuell trainieren Krauß und Nachwuchskeeper Tim Schreiber bereits ausschließlich mit dem Bundesligakader. Auch dem Verteidiger Frederik Jäkel, zuletzt Kapitän der U19-Nationalelf, bescheinigt Kegel „die Perspektive, dass er dauerhaft in den Profikader aufrücken” könne. Den U17-Spielern Kacper Smorgol (Mittelfeld) aus Polen sowie dem Riesaer Dennis Borkowski (Stürmer) attestiert der Nachwuchschef „eine gute Perspektive” für eine Profikarriere.
Um die Spieler schneller an das Männerniveau heranzuführen, lassen Kegel & Co. wie zuletzt in der Winterpause häufiger gegen Männerteams testen und wollen Spieler aktiver an Zweit- und Drittligisten verleihen. Ex-Profi Per Nilsson kümmert sich in der neu geschaffenen Funktion des Toptalente-Managers um den brisanten Übergangsbereich. Zudem verpflichtete RB vier internationale Toptalente, „die Vielfalt und eine besondere Fähigkeit in unseren Kader bringen”, so Kegel.
Große Nähe zwischen Nachwuchs und Profis
Zu den Profis hält Kegel via Co-Trainer Robert Klauß und Sportdirektor Markus Krösche engen Kontakt. „Wir besprechen die Entwicklung einzelner Spieler, wer den nächsten Schritt zum Profitraining machen sollte”, sagt Kegel. Auch Cheftrainer Julian Nagelsmann schaut sich regelmäßig Spiele von U19 und U17 an und verfolgt das vor einem halben Jahr eingeführte und von Kegel und Klauß geleitete Toptalente-Training der besten U15- bis U17-Kicker, die sich auf dem Profiplatz zeigen dürfen.
„Unsere Nachwuchsspieler kommen täglich in unmittelbaren Kontakt mit den Profis. Wir beziehen die Profis auch mit ein, unterstützen uns gegenseitig. Da empfinde ich eine große Nähe”, so Kegel. Bei Elternabenden in der Akademie, wo 49 Spieler im Internat leben, kommt beispielsweise auch mal Yussuf Poulsen vorbei und beantwortet Fragen der Eltern.
Um die Teenager mit den vielen Regeln im Internat nicht zu bevormunden, sondern sie stärker einzubinden, wird gerade ein Spielerrat gegründet, „um mehr Multiplikatoren für unsere Werte und Normen zu finden und ganz nah an den Spielern dran zu sein”, erklärt er. „Wir wollen eine enge Verbindung zwischen allen Menschen schaffen, die hier in der Akademie beisammen sind.” Viele weiche Faktoren also, die harte Trennungen wie die Rauswürfe von Touré und Vitaly Janelt nach Undiszipliniertheiten verhindern sollen.
Tom Krauß und Fabrice Hartmann müssen wohl dennoch vorerst weiter bei der U19 jubeln, denn im Titelrennen kann Nagelsmann keine Rücksicht auf Talente nehmen. Man müsse „fairerweise sagen, dass er aktuell noch schwächer ist als die anderen”, hatte Nagelsmann zum Rückrundenstart über Krauß gesagt. Eine zu frühe Einwechslung sei „nicht förderlich für eine junge Karriere”. Doch Nagelsmann, der selbst jahrelang als Nachwuchstrainer arbeitete, hat ein Händchen für hochveranlagte Talente. Im Sommer wird sich entscheiden, ob Krauß und Hartmann dazugehören. (RBlive/ukr)