Porträt Mehr wert als RB? Das steckt im Juve-Kader
Juventus Turin hat seine letzte Meisterschaft vor vier Jahren gewonnen und war letzte Saison mit großem Abstand Dritter der Serie A. Was sagt das über das Team von Trainer Thiago Motta? RB-Coach Rose warnt, er findet, die "Alte Dame" erwacht gerade wieder.
Leipzig – Vergangenen Samstag, nach dem 4:0 in der Liga gegen Augsburg, hatte Marco Rose noch erklärt, er kenne den Champions-League-Gegner Juventus Turin nur schemenhaft. Abseits dessen, was man auch ohne Studium weiß: Ist halt die Juve, ein Klub von Weltformat. Mittlerweile aber hat sich der Trainer von RB Leipzig kundig gemacht. „Sie sind ein Champions-League-Klub“, sagte er gestern mit einer gewissen Vorfreude. „Sehr erwachsen.“
Juve-Coach Motta: nicht von Traurigkeit
Der Hinweis auf den Reifegrad des italienischen Traditionsvereins deckte sich mit den Ansichten David Raums, Roses Linksverteidiger, der am vorigen Wochenende über den Gegner aus dem Piemont frohlockte, der sei eine „Herrenmannschaft“ und „Drecksackfußball“ das bevorzugte Mittel der Wahl. Liegt ja auch nahe, wenn man bedenkt, dass die vermeintlich rustikale Elf vom Brasilianer Thiago Motta trainiert wird, der als langjähriger Profi des FC Barcelona, Inter Milan oder Paris Saint-Germain Zeit seiner Karriere kein Defensivspieler von Traurigkeit gewesen ist.
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Umso erstaunlicher ist es, dass Mottas Kader die Gelbe-Karten-Statistik der Serie A anführt – und zwar als fairstes Team der Liga. Sieben Verwarnungen haben seine Spieler bislang erhalten, in sechs Partien. So zahm ist keine andere Mannschaft zwischen Sizilien und Südtirol.
So viel ist sicher: Juventus Turin im Herbst 2024 ist eine rätselhafte Chimäre aus Geschichte, der älteren, glanzvollen, der jüngeren, weniger schillernden – und einer Gegenwart, in der von der „Vecchia Signora“, der „Alten Dame“ alles zu erwarten ist. Die letzte Meisterschaft liegt vier Jahre zurück. Vergangene Saison wurde der Rekordmeister, der zwischen 2011 und 2020 neun Meisterschaften in Serie gewann, mit 24 Punkten Rückstand auf Meister Inter Dritter - auch wenn das Team zum 15. Mal den nationalen Pokal gewann.
RB gegen Turin: Red Bull gegen Fiat
In dieser Spielzeit ist die Juve aktuell Zweiter (hinter der SSC Neapel), und das weniger mit Holzen, Kratzen, Beißen, sondern mit allerfeinstem Abwehrfußball. In sechs Scudetto-Spielen hat das Motta-Personal kein einziges Tor kassiert und bei drei Remis dreimal gewonnen. Nur in der Königsklasse fing sich die Mannschaft ein Tor beim 3:1 gegen die PSV Eindhoven.
Verteidigen, das können die Italiener traditionell gut. Für Juventus aber ist das neu, denn traditionell will der Fiat-gesteuerte Klub eigentlich nicht sein, nicht so italienisch jedenfalls, dafür weltmännischer, eleganter. Spieler wie Michel Platini, Pavel Nedved, wie Allesandro Del Piero, Zinedine Zidane oder Cristiano Ronaldo standen für diesen Fußball Pate.
Ist freilich alles eine Weile her. So herrschaftlich Juve den italienischen Fußball dominierte, so korrupt und durchtrieben war der Klub in den vergangenen Jahrzehnten auch. Es gab 2004 einen handfesten Dopingskandal, es gab zwei gekaufte Meisterschaften 2004/2005 und 2005/2006, die Juve in die 2. Liga schickten, und es gab frisierte Bilanzen, die vor zwei Jahren den gesamten Vorstand zum Rücktritt zwangen.
Juve-Team: Mehr wert als Leipzigs Personal?
Der Skandale in der Führungsetage nicht genug, ist aktuell der ehemals teuerste Profi des Weltfußballs, Paul Pogba, wegen Dopings für vier Jahre gesperrt. Dass er immer noch zum Juve-Kader gehört, liegt an einem Berufungsverfahren, das noch nicht abgeschlossen ist. Zudem musste Spielmacher Nicolo Fagioli vergangene Spielzeit sieben Monate zwangspausieren. Er hatte auf Fußballspiele gewettet, was in Italien verboten ist.
Von den Turbulenzen ist die Kaderplanung nicht unberührt geblieben – möchte man auf den ersten Blick meinen. Star des Teams ist Dusan Vlahovic, ein Stürmer, den außerhalb Italiens kaum jemand kennt. Doch auch beim Personal ist Juve ein Rätsel.
Der zweite Blick präsentiert ein Juve-Team mit einem Marktwert von insgesamt 575 Millionen Euro. Das sind 62 Millionen Euro mehr als RB. Zu den teuersten Spielern gehören zwei Brasilianer, die ebenso wenig Blitzlicht-Format haben wie Vlahovic: Bremer, Verteidiger, 60 Millionen Euro wert und Douglas Luiz, zentrales Mittelfeld, 70 Millionen Euro wert.
Marco Rose ist deshalb gewarnt, das vermeintlich holzhackende Noname-Team zu unterschätzen. Er hat erkannt, die Juve, eines der großen Teams des Weltfußballs, werde nach den paar turbulenten Jahren zuletzt vermutlich wieder „eine richtig gute Saison spielen. Ich denke, sie sind am Erwachen.“