Mbappe-wechsel rückt näher Vornehm allürenfrei: Wohin entwickelt sich RB-Gegner Real Madrid?
In den Nullerjahren entwickelte Real Madrid die Idee von einem Team voller Weltstars. Bis das Projekt im Exzess scheiterte. Im Jahr 2024 stellt sich das Team von Coach Carlo Ancelotti ganz anders dar - aber wie lange noch?
Madrid - Carlo Ancelotti hadert gerade ein wenig mit seinem Job. Der Italiener ist Trainer von Real Madrid, heute Abend führt er seinen Kader ins Rückspiel des Champions-League-Achtelfinales gegen RB Leipzig. Ein Heimspiel für den Tabellenführer der spanischen Meisterschaft, der das Hinspiel 1:0 gewonnen hat. Es gibt schlechtere Ausgangslagen und auch schlechtere Momente im Leben eines Fußballtrainers. Vor kurzem erst hat Ancelotti einen neuen Vertrag bis Sommer 2026 unterschrieben.
Ancelotti: Im Leid immer allein
Doch Ancelotti zog am gestrigen Dienstag in Reals Sportstadt am Stadtrand von Madrid den Bogen über das Duell mit den Rasenballsportlern hinweg. Wie es ihm gerade ginge, wurde er gefragt. „Gut!“, antwortete der Italiener, „für einen Trainer gibt es vermutlich keinen besseren Club.“ Aber, und diesem Aber folgte eine seltene Offenheit des 64-Jährigen. „Es überwiegen die Momente des Leidens. Selbst bei einem Sieg gibt es immer jemandem, dem irgendetwas nicht gefällt. Und verliert man, ist man als Trainer bei diesem Club immer allein.“
Ancelotti klang, als würde es demnächst zu Ende gehen mit ihm an der Spitze des „königlichen Personals“, was im Widerspruch steht zu seiner Arbeit. Seit er zum zweiten Mal nach 2013 bis 2015 Cheftrainer des mit 14 Titeln im Landesmeisterpokal und in der Champions League erfolgreichsten Clubs des Weltfußballs ist, hält seine Arbeit dem Ruf stand. 2022 gewann er zum zweiten Mal nach 2014 die Königsklasse, in der Liga hat er sieben Punkte Vorsprung auf Girona, und die Chancen, dass sein Team RB Leipzig heute schlägt, sind bei weitem höher, als dass es die Partie gegen die Gäste aus Sachsen verliert.
Doch seine Arbeit wird nicht allein daran bemessen, welche Erfolge er der Geschichte des Clubs hinzufügt, sondern in welcher Manier. Als er vor anderthalb Jahren im Finale der Champions Leage den FC Liverpool 1:0 besiegte, litt sein Kader bei der Verteidigung des Strafraums wie die Griechen gegen die Perser in der Schlacht bei Marathon. Von der „Vornehmheit“ jedenfalls, die Club-Chef Florentino Perez zum hundertjährigen Vereinsjubiläum 2002 in einer Art Spielerknigge als zentrale Verhaltensregel festschreiben ließ, war in diesem Endspiel nicht so viel zu sehen.
Gleichzeitig ist eine Real-Mannschaft schon lange nicht mehr so sehr als Kollektiv aufgetreten, wie unter dem selbst bis in jede Faser vornehmen Fußballlehrers aus Reggiolo. Ein Umstand, der nicht nur mit seiner väterlichen Spielerführung zu tun hat, sondern auch mit dem Profil seiner Profis. In Vinicius Jr., Rodrygo, Jude Bellingham oder den Altvorderen Toni Kroos und Luca Modric trainiert Ancelottis zwar exzellente Fußballer, aber er muss nicht auch noch Glamourfragen in der Kabine moderieren.
Real gegen RB: unruhige Jahre
Es ist knapp 20 Jahre her, dass ein Team von „Galacticos“ die Vermarktung des Weltfußballs auf eine neue Stufe hob – und die Trainer dieser Ansammlung von Stars vor schier unlösbare Probleme. Auf einen Streich hatte Perez zwischen 2000 und 2003 fünf der damals bekanntesten Kicker der Welt in einem Team versammelt: Zinedine Zidane, Ronaldo, Luis Figo, Roberto Carlos und David Beckham. Spätestens mit der Ankunft von Beckham 2003 hatte der Bauunternehmer an der Spitze des Clubs allerdings den Bogen überspannt. Zur Vorstellung des Engländers kamen zwar 1000 Journalisten aus der ganzen Welt, doch die Erfolge auf dem Rasen blieben aus. Nach dem Gewinn der Champions League 2002 im Finale gegen Bayer Leverkusen musste Real bis zum nächsten Gewinn der Königsklasse elf Jahre warten. 2006 trat Perez von dem Niedergang seiner Geschäftsmodells zerrüttet zurück.
„Es ging ihm damals vor allem um wirtschaftliche Expansion“, analysiert der deutsche Journalist Florian Haupt, der für die „Welt“, die „Neuer Zürcher Zeitung“ und den „Spiegel“ seit Jahren über den spanischen Fußball berichtet, die damalige Strategie des Clubchefs. „Diese Modell hatte sich spätestens 2007, als Beckham, Ronaldo und Roberto Carlos den Club verließen, überholt.“
Auf den Exzess folgten unruhige Jahre, die sich erst mit Zinedine Zidane als Trainer beruhigten. Lediglich Cristiano Ronaldo erinnerte noch an die Bling-Bling-Politik der Jahre zuvor. „Man hatte damit begonnen, statt fertiger Stars junge Spieler einzukaufen und selbst aufzubauen“, sagt Florian Haupt. „Das aktuelle Madrid steht für diesen Trend. Vinicius Júnior und Bellingham sind große Figuren in Spanien, aber keine planetarischen Superhelden. Ihre Löhne sind vergleichsweise bescheiden, die Gehaltstruktur gesund.“
Perez, der 2009 ins Amt zurückkehrte, wäre aber nicht einer der erfolgreichsten Baumeister Spaniens, wenn er nicht verstünde, dass Real ohne Weltstars nicht lange auskommt. Der nächste Entwurf eines schillernden Real-Teams kündigt sich deshalb gerade an. Seit Kylian Mbappe jüngst erklärte, er werde seinen Vertrag mit Paris Saint-Germain nicht verlängern, verdichten sich die Anzeichen eines ablösefreien Wechsels des französischen Topstürmers zu Real im Sommer.
Estadio Bernabeu: Raumschiff aus Edelstahl
Dazu passt es, dass der Rekordmeister sein Stadion nach Jahren des Umbaus gerade fertigstellt. Wie ein Raumschiff aus Edelstahl thront das für etwa eine Milliarde Euro komplett umgebaute „Estadio Santiago Bernabéu“ an diesem sonnigen Dienstag inmitten des Wohnviertels Chamartín. Das nun knapp 85.000 Fans fassende Bernabéu, in dem nicht nur königliche Ballettauftritte stattfinden sollen, sondern auch Konzerte, ist wieder state of the art, die strahlendste Fußballoper der Welt - und soll neue Geldquellen erschließen. Auch, um die 150 Millionen Euro aufzubringen, die der Fünfjahresvertrag des 25 Jahre alten Weltmeisters von 2018 gerüchteweise kosten soll.
Elf Kilometer weiter östlich in der Sportstadt von Real wird Ancelotti natürlich zu Mbappe befragt. So wie zu fast jeder Gelegenheit, sobald der Madrider Coach auf einer Pressetribüne Platz nimmt. Der Italiener rollt ein wenig mit den Augen, wohlwissend, dass in ein paar Monaten vermutlich der nächste "Zirkus Real" in Madrid Einzug hält – mit ihm als Dompteur in der Manege. Vor sich an die 50 Journalisten sitzend, verschafft sich der „Míster“ eine kleine Verschnaufpause von dieser Vorstellung. Er könne, so Ancelotti, „nichts dazu sagen“.