erinnerungen an das "marakana" in belgrad Bruno Galler im Interview: "Wir hatten zum Essen Polizei-Eskorte"
Bruno Galler war einer der berühmtesten Schiedsrichter des Weltfußballs in den Achtziger und Anfang der Neunziger Jahre. Der heute 77 Jahre alte Schweizer pfiff u.a. das EM-Finale 1992 zwischen Deutschland und Dänemark, eines von zwei Finalspielen des Uefa-Cups 1984 und das Endspiel des Europapokals der Pokalsieger 1990.
Mit dem Trabi nach Leipzig und Dresden
Ein weiteres ging in Deutschland in die Geschichte denkwürdiger Spiele ein. Es war das Halbfinalrückspiel zwischen Roter Stern Belgrad und dem FC Bayern im legendären „Marakana“-Stadion der serbischen Hauptstadt, in dem am Dienstag RB Leipzig in der Champions League auf Roter Stern trifft. RBlive-Reporter Martin Henkel hat vor der Partie mit Bruno Galler über den Mythos des Marakana gesprochen, Trabi-Fahrten über die innerdeutsche Grenze und die Faust von Jupp Derwall.
Herr Galler, Sie pfiffen im April 1991 das zweite Halbfinalspiel zwischen dem FC Bayern und Roter Stern. Für die Serben war es ein einzigartiges Spiel.
Bruno Galler: Ich erinnere mich. Es ging 2:2 aus, oder?
Ja. Der späte Ausgleich war ein Eigentor von Bayern-Keeper Raimund Aumann, der sich in der 90. Minute eine Bogenlampe von Klaus Augenthaler ins eigene Tor gelegt hatte. Roter Stern hatte das Hinspiel 2:1 gewonnen, stand damit im Finale, das es später gegen Marseille gewann.
Ich habe es vor Augen. So ein Tor sieht man selten.
War die Nervosität auch der Atmosphäre im Stadion geschuldet? Es waren damals 80.000 Menschen im Marakana.
Die Stimmung war gewaltig, laut, sehr pulverisiert. Aber ich erinnere vor allem, dass das Spiel unfassbar schnell war. Es ging hin und her, von einem Tor zum anderen. Ich bin damals an die 16 Kilometer gelaufen. Mehr als jemals zuvor und auch danach nicht mehr.
Wie noch haben Sie die Partie in Erinnerung?
Damals gab es ja noch Jugoslawien als Land. Ich erinnere, dass man zu uns kam und meinte: ‚Passt auf, wir haben auch Kroaten im Team, die sind feurig.‘ Aber das Spiel war gesittet, ich habe damals, glaube ich, nur eine Gelbe Karte verteilt.
Stimmt, an Thomas Strunz.
Überhaupt war es verhältnismäßig ruhig, wenn man bedenkt, wie wichtig den Serben die Partie damals war. So nah am Finale dran. Ich erinnere mich, wie wir selbst zum Essen von Polizei eskortiert wurden. Wir waren vermutlich eine ganz besondere Fracht und man wollte sicherstellen, dass wir wohlbehalten bis zum Spiel kamen (lacht). Man hat damals sogar den Verkehr für uns angehalten.
Welche Stadien waren besonders schwer zu pfeifen?
Ich erinnere keines, das ich als herausfordernd empfunden hätte. Ich hatte einmal einen Spielabbruch, das war bei Ajax Amsterdam gegen Austria Wien, als Ajax-Fans Wiens Torhüter Franz Wohlfahrt mit Eisenstangen bewarfen. Ich hatte ein anderes Spiel in Valencia, in dem bestimmt ein Zentner Mandarinen auf mich geflogen kam. Solche Partien habe ich geliebt. Nicht, weil es vielleicht gefährlich für uns Unparteiische war, das habe ich nie so erlebt. Sondern weil die Atmosphäre so aufgeladen war.
Der Weltverband hat Sie damals gern auch für politisch herausfordernde Spiele eingesetzt, als Schweizer waren Sie sozusagen per Reisepass neutral.
(lacht) Ja, das stimmt. Ich erinnere eine Partie in Istanbul zwischen Galatasaray und Uerdingen. Gala-Trainer war damals Jupp Derwall gewesen. Das Hinspiel war von Krawallen begleitet gewesen. Derwall hat mir damals die Faust gezeigt. Was für ein verrücktes Spiel! Ein anderes fand in Alger (?) zwischen Algerien und Marokko statt. Wer gewann, war für die WM qualifiziert. Im Stadion waren 120.000 Menschen. Keine einzige Frau, alles Männer. Das war so unfassbar laut und aufgeheizt - unglaublich beeindruckend. Die Leute sind damals alle zu Fuß wieder in die Stadt, das war wie ein Meer, und wir im Auto da mittendurch.
Wie haben Sie bis zum Fall der Mauer die Spiele im ehemaligen Ostblock wie solche in Belgrad erlebt?
Ich war einmal in Leipzig, erinnere ich mich. Auch in Dresden. Ich pfiff Lok Leipzig gegen Lok Moskau. Das gab eine ganz spezielle Stimmung, denn das waren ja eigentlich Bruder-Duelle. Aber unglaublich einsatzvoll mit fast unglaublicher Brutalität auf dem Platz.
Wie kam Ihnen der sogenannte Osten vor?
Meine Linienrichter und ich sind zu dem Spiel in Dresden damals von Berlin aus mit dem Trabant über Check Point Charly bis vor die Semperoper gefahren. Das war ein Abenteuer, wir hatten das Gepäck auf den Beinen, weil kein Platz im Auto war. Die Menschen waren sehr freundlich, das weiß ich noch, und sehr vorsichtig. So richtig frei konnte man sich mit ihnen nicht unterhalten. Sie waren immer auf der Hut. Aber sie haben sich gegenseitig immer geholfen, das war mein Eindruck. Das hatte mich damals sehr berührt.