benjamin henrichs exklusiv "Europa League ist keine Option"
Benjamin Henrichs gehört zu den rätselhaften Spielern im Kader von RB Leipzig. Er ist hochbegabt, rief dieses Potenzial in den vergangenen zwei Spielzeiten aber nur hin und wieder ab. Unter Trainer Marco Rose scheint er einen Reifesprung gemacht zu haben, mit dem er sich zuletzt in die Stammelf gespielt hat. RBlive-Reporter Martin Henkel sprach mit dem 25-Jährigen über emotionale Höhen und Tiefen, und über die Ausgangssituation für die Rasenballsportler vor den sechs anstehenden Endspielen in Liga und Pokal.
Herr Henrichs, war Ihre Rückkehr nach Leverkusen vergangenen Samstag zu Ihrem Ausbildungsclub bereits der emotionale Höhepunkt in dieser Saison?
Benjamin Henrichs: Wieso sollte er das gewesen sein? In Leverkusen zu spielen, ist für mich grundsätzlich speziell.
Zwei Höhepunkte könnten noch folgen, der Einzug ins Pokalfinale und auf Champions-League-Rang vier zu springen. Doch ob das gelingt, steht momentan in den Sternen. Nach drei Siegen in Folge gab es bei Bayer ein schmerzhaftes 0:2…
Ich bin in Leverkusen groß geworden, mit sieben Jahren dahin gewechselt. Wenn ich frühmorgens am Stadion vorbeifuhr, habe ich immer gedacht: Hier drin will ich spielen! Freunde und Familie waren alle da, das war wunderschön. Aber wir haben verloren, also lag ein Schatten drauf.
Wie sehen Sie die Chancen auf den erfolgreichen Abschluss einer Saison, in der RB bislang Achterbahn gefahren ist?
Wenn man sich die Konstellation anschaut, dann haben wir es in unserer Hand, wie die Spielzeit ausgeht. Gewinnen wir gegen Freiburg im Pokal, stehen wir im Finale. Gewinnen wir gegen Freiburg in der Liga, sind wir wieder Vierter. Das kann uns dann keiner nehmen – außer wir selbst.
Ihr Team ist aktuell unberechenbar. Sie haben in Leverkusen bei allen Spieldaten dominiert, trotzdem verloren. Verstehen Sie das?
Es ist eigentlich ganz einfach: kein Tor bekommen, vorne mindestens eines machen. Beides ist uns nicht gelungen.
Es schließt sich die Frage an, wieso nicht?
Wir waren leider in manchen Situationen nicht konsequent genug.
Das klingt ein bisschen nach Phrase. Der Kader ist top besetzt, sie können alle überdurchschnittlich gut Fußball spielen, sie machen das seit über 20 Jahren, trainieren vier Tage Minimum die Woche. Wie kann man da zum Beispiel vor dem Tor nicht konsequent genug sein?
So ist es eben manchmal im Fußball. Es gibt Phasen, in denen 18 Spiele lang alles läuft. Und dann gibt es Phasen, in denen dir nicht alles aus einem Flow heraus gelingt, dann musst du wirklich arbeiten, scharf sein, dir Dinge erzwingen und dir den Flow zurückholen.
Das läuft auf eine Einstellungsfrage hinaus, auf Klarheit, Bewusstsein, „Schärfe“, wie es Ihr Trainer Marco Rose beschreibt.
Ja, genau dort liegt der Schlüssel. Mehr kann man dazu nicht erklären.
Welche Rolle spielt dabei das Training?
Wenn du es schaffst, auf Wettkampfniveau zu trainieren, dann nimmst du das mit ins Spiel. Die Schärfe macht den Unterschied, und dann müssen wir ehrlicherweise sagen, dass wir in den Spielen, die wir verloren haben, diese Schärfe nicht in ausreichendem Maße hatten. Das hatte zum Beispiel Leverkusen. Die hatten drei Chancen im Spiel und machen daraus zwei Tore. Sie sind im Flow, sie sind scharf, dann kommen solche Partien dabei heraus. Wir wollen auch wieder dorthin kommen und glauben sie mir, wir tun alles dafür.
Sie haben Ende der 2. Halbzeit sich mit einem Hackentrick und einer Drehung sehr ansehnlich um ihren Gegenspieler herumgewunden. Das macht man eigentlich nur, wenn man selber gerade im Flow ist. Ist das so?
Schon. Ich habe gerade fünf sechs Spiele nacheinander gespielt, das ist was anderes, als wenn du öfter nur eingewechselt wirst. Dann bekommst du automatisch Rhythmus und Selbstvertrauen.
Sie sind 26 und haben bereits eine bewegte Karriere hinter sich: Profi mit 19, nach 18 Bundesligaspielen Nationalspieler, mit 21 gehen Sie nach Monaco. Dort kommt es zu einer Art Bruch, sie sind in der zweiten Saison Wechselspieler, kommen auf Leihbasis nach Leipzig, dort pendeln sie auch von der Bank zur Stammelf und wieder zurück, 2022 gehen sie fest zur RB. Dort haben sie bereits vier Trainer kennengelernt, und jeder von denen hat eine Rolle für sie gesucht. Hat Marco Rose sie gefunden?
Es ist kein Geheimnis, dass ich am liebsten auf der Sechs spiele. Rechts oder links macht es auch großen Spaß, ich bin ja als Außenverteidiger Nationalspieler geworden und ja, der Trainer hat großen Anteil an meinen Leistungen gerade.
Was war dafür nötig?
Er hat mir klar gesagt, was er von mir erwartet, wie ich mich in die Startelf spielen kann. Ich hatte im Sommer ein Tief, mein Großvater war gestorben, was mich sehr bewegt hat, und ich habe es nicht zur WM geschafft, obwohl ich zum vorletzten Lehrgang noch nachnominiert worden war. In der Winterpause habe ich wieder einen Schub bekommen und habe im Trainingslager in Abu Dhabi hart gearbeitet.
Wer hilft Ihnen in solchen Momenten: Freunde, Familie, Experten, Sie selbst aus eigener Kraft?
Sie haben alles aufgezählt, was mir generell in meinem Leben wichtig ist und mir hilft. Das sind meine Eltern, meine Familie, Freunde wie Hamudi, Bilel oder Saiffi, die ich schon ewig kenne, Grüße an die Jungs, der Club natürlich auch. Aber wenn ich nicht selbst dazu in der Lage wäre, dann würde das alles nichts bringen. Ich bin in den letzten Jahren schon ziemlich an meiner Karriere gewachsen.
Sie galten als eine Art Wunderkind, waren früh oben auf. Zu früh?
Ich weiß nicht, ob zu früh. Aber man muss damit klarkommen, wenn Trainer auf andere setzen. Ich hab‘ daraus gelernt. Harte Arbeit, Wille, danach das Talent, das ist alles.
Sie gelten als polyvalent, was ihre Einsatzfelder in der Verteidigung anbetrifft. Ein Nachteil, weil Trainer dann vielleicht auf die Idee kommen, sie als Springer einzusetzen für andere?
Ja, die Gefahr besteht. Kommt auf den Trainer an. Der eine sagt, ich baue auf dich und setze dich auf deiner stärksten Position ein. Der andere sagt, du bist überall ganz ordentlich, hast aber keine feste Position. Es ist ein bisschen Fluch und Segen zugleich.
Was ist es mehr?
Ich bin eigentlich ganz froh, dass ich so vielfältig einsetzbar bin und keinen großen Leistungsabfall habe.
Wenn Sie auf die letzten fünf Spiele plus Pokal schauen: RB muss vieles, und darf eigentlich nicht mehr verlieren. Wie fühlt sich das an?
So betrachtet ist das natürlich ein immenser Druck. Aber es gibt da Unterschiede. Wenn du es selbst nicht mehr in der Hand hast, kann dich das ganz schön zermürben. Wenn du es aber direkt beeinflussen kannst, dann gibt dir das was. Hoffenheim jetzt am Wochenende dürfen wir nicht verlieren, da liegt eine gewisse Anspannung drauf – und danach kommen die zwei Freiburg-Spiele. Wir müssen jetzt liefern. Dann werden wir sehen, wohin es läuft.
Sie haben mit Bayer Leverkusen schon mal Europa League gespielt, vergangene Saison mit RB auch: Ist es so viel schlechter als die Champions League?
(lacht) Die Hymne ist eine andere. Und wenn du die in der Champions League hörst, und du kennst sie, seit du ein kleiner Junge bist, kommt da nichts anderes ran. Europa League ist keine Option.