Willi Orban exklusiv „Komm, lass' reingehen, wir haben es wieder versemmelt”
Der RB-Routinier geht in seine achte Saison mit Leipzig. Im Trainingslager spricht er über die Vernetzung von Gehirnhälften, warum er im Pokalfinale gern nach Hause gegangen wäre, und wie es sich anfühlt, ein unwiderstehliches Karriereangebot zu bekommen.
Ausführlicher Gesprächstermin im Teamhotel Schloss Pichlarn in Irdning, Österreich: RB Leipzigs unumstrittener Abwehrchef Willi Orban nutzte die Mittagspause zwischen Vormittags- und Nachmittagseinheit im Trainingslager, um mit den RBlive-Reportern Martin Henkel und Ullrich Kroemer über die Vernetzung von Gehirnhälften zu sprechen, warum er nach der Roten Karte für Marcel Halstenberg im Pokalfinale gern nach Hause gegangen wäre, und wie sich das anfühlt, nochmal ein unwiderstehliches Karriereangebot zu bekommen.
Willi Orban, Sie sind bekannt dafür, dass Sie selbst, wenn Sie im Urlaub sind, das Training an sich und Ihren Qualitäten nicht unterbrechen. Wie war das diesmal?
Willi Orban: Ich habe mich erholt. Aber tatsächlich auf meine Weise.
Was muss man sich darunter vorstellen?
Ich kann keine zwei Tage am Stück am Pool liegen. Dann muss ich wieder ein bisschen Action haben. Ein bisschen Jetski fahren, ein bisschen was für die Kraft machen. Irgendwann brauche ich dann auch meine zwei Trainingseinheiten pro Tag wieder.
"Meine Bilanz liest sich gut"
Sie gelten bei RB als derjenige Profi, der am meisten nach einem Optimum für Körper und Geist sucht. Das hat Sie weit gebracht: von der 2. Liga aus Kaiserslautern hin zum Stammspieler bei einem Champions-League-Klub. Schauen Sie manchmal zurück und denken: Wow, der Weg war weit und steil?
Es ist schon der Wahnsinn, was wir und ich alles erreicht haben, und wie schnell die Jahre vergingen. Aber durch die vielen Spiele auch mit der Nationalmannschaft hatte ich nie so richtig Zeit, alles zu reflektieren und zu analysieren. Es geht immer weiter, gerade stand ich noch mit Ungarn in England auf dem Platz; jetzt steht schon der Saisonauftakt mit RB mit dem Supercup gegen Bayern München bevor. Du hast als Fußballer so viele Erlebnisse, die du in der normalen Welt gerade in jungen Jahren so nicht hast. Sowas lässt dich schneller reifen.
Sie können zufrieden auf Ihre Statistiken schauen.
Langsam liest sich die Bilanz gut: Ich habe 150 Spiele in der Bundesliga und 20 in der Champions League. Ich war 30 Mal mit der ungarischen Nationalmannschaft unterwegs, war bei der Nations League und der EM dabei. Aber mein Gefühl ist, dass ich mich jede Saison weiter entwickeln kann. Da ist bisher kein Ende in Sicht.
Woher rührt diese immense Eigenmotivation?
Ich habe schon sehr früh in meiner Karriere immer neue Dinge ausprobiert, sei es im Krafttraining, mental oder bei der Ernährung. Ich habe meinen Weg gefunden, weiß genau, was ich brauche und was weniger. Die Profilaufbahn geht sehr schnell vorbei, ich will mein Potenzial optimal ausschöpfen.
Auf welche Techniken und Praktiken schwören Sie aktuell?
Schlaf ist sehr wichtig. Ich habe zum Beispiel einen speziellen Schlafcocktail mit Magnesium und anderen Zutaten, den ich zu mir nehme, um das Nervensystem auch nach späten Spielen schneller herunterzufahren. Dazu arbeite ich an anderen Themen auch mit Experten außerhalb des Vereins, zum Beispiel mache ich Life Kinetik. Das ist eine Gehirnbewegungsschule für mehr Stresswiderstand und die Vernetzung der Gehirnhälften.
Wie macht sich das im Spiel bemerkbar?
Es geht darum, wie schnell ich Situationen wahrnehme, um Entscheidungsfindung unter Druck oder ein dominantes Auge zu haben, aber trotzdem zu registrieren, was auf der anderen Seite passiert. Ich fordere und fördere mein Gehirn einmal pro Woche für eine Stunde auch kognitiv. Seit ich aus der Schule raus bin, habe ich das so nicht mehr gemacht.
Im Unterbewusstsein Meisterschaften gewinnen
Sie gehen in Ihr achtes Jahr bei RB. Mittlerweile bietet sich deshalb der Begriff ‚Routinier‘ an. Wie nehmen Sie selbst sich wahr?
Innere Ruhe hatte ich eigentlich schon immer. Doch über die Jahre vertraue ich mir mehr und weiß einfach, was ich kann. Das habe ich mir in allen Wettbewerben bewiesen. Deshalb besitze ich diese Verlässlichkeit, die mein Spiel ja auch auszeichnet. 90 Prozent Leistung sieht man bei mir immer, alles andere ist situationsabhängig.
Auffällig vergangene Saison waren ihre Qualitäten als Spieleröffner. Wie kam es zu dieser neuen Rolle?
Ich spiele jetzt auch bei RB im Zentrum der Dreierkette, das war zuvor in dieser Konstanz nur bei der ungarischen Nationalmannschaft der Fall. Und das bedeutet eben, mehr das Spiel zu eröffnen. Wenn ich auf meine Entwicklung zurückschaue, dann war das die große Entwicklung bei mir in den vergangenen Spielzeiten.
Sich zu entwickeln, ist einer der zentralen Begriffe im Umfeld von RB. Vom Aufsteiger hin zum konstanten Champions-League-Teilnehmer. Jetzt kam der Pokalsieg hinzu. Wohin führt der Weg für das Team?
Das wird sich über unser Selbstverständnis entscheiden. So wie das bei den Bayern der Fall ist. Die sind nicht nur fußballerisch überragend, sondern haben dieses Mia-san-Mia-Verständnis. Das zeigt sich in der Körpersprache, in der Mentalität. Auf dem Platz entscheidet sich vieles im Unterbewusstsein. Wenn du in ein Spiel gehst, und der Überzeugung bist, dass du das sowieso gewinnst, dann triffst du in den entscheidenden Momenten auch die richtigen Entscheidungen.
Es könnte sich auch Hybris einstellen.
Das Risiko ist bei uns eher gering. Ich bin gespannt, ob der Pokalsieg uns eine ähnliche innere Überzeugung gibt. Dass wir Siegertypen sind und Titel gewinnen können. Wir haben eigentlich alles: Power, Speed, Mentalität und wir können zocken. Es war enorm wichtig für uns, den DFB-Pokal zu gewinnen. Doch er ist nicht das Ende der Fahnenstange.
Ein Ende der Fahnenstange ist die deutsche Meisterschaft. Ein Thema in dieser Saison?
Wir haben Ziele, die sich nicht verändern. Sprich die Qualifikation für die Champions League. Aber wir wollen nach oben attackieren, Platz drei und zwei sind greifbar. Konstanz ist ein wichtiges Thema, die wir vergangene Saison, vor allem in der ersten Halbserie, nicht hatten. International wollen wir in die K.o.-Runde. Im Pokal wollen wir wieder ins Finale. Das sind unsere Ansprüche. Alles andere wird sich zeigen.
Welche Ziele würden Sie anderen vorziehen?
Keines. Aber den Pokalsieg zu wiederholen, das wäre schon was. Es ist einfach etwas Besonderes, wenn man so einen Wettbewerb am Ende auf die Art und Weise gewinnt, wie wir das getan haben…
... Sie lagen 0:1 zurück, dann gerieten sie früh in der 2. Halbzeit in Unterzahl. Hatten Sie in dem Moment noch den Glauben, dass das im dritten Finalanlauf doch noch was wird mit dem ersten großen Titel für Sie und den Klub?
Ehrlicherweise für einen Moment nicht. Nach der Roten Karte dachte ich: ‚Okay, komm, lass’ reingehen, wir haben es wieder versemmelt, einfach nach Hause‘. Aber dann haben wir gespürt, dass die ganze Stimmung, die eher für Freiburg war, enorme Kräfte freisetzt. Diese Energie tat uns gut. Plötzlich war der Druck auf Freiburg zu spüren. Mir war dann schnell klar, dass wir das noch herumreißen. Im Elfmeterschießen haben wir nach 120 Minuten die Dinger reingemacht wie bei einem lockeren Training. Das soll nicht überheblich klingen, es war aber diese innere Überzeugung da. Brutal!
"Der Kevin ist herrlich verrückt"
Im Nachgang kochten wieder Anti-RB-Ressentiments hoch, vor allem nachdem Kevin Kampl in den Pokal den Inhalt einer Dose ihres Sponsors gekippt hatte. War das als Aktion überzogen?
Die Bewertung war meiner Meinung nach drüber. Der Kevin ist ein herrlich verrückter Typ, das war eine spontane Aktion. Man hat mehr daraus gemacht, als nötig war.
Verwundert Sie die wieder auflodernde Stimmung gegen den Klub?
Bis zum Finale war es eigentlich ruhig. Da waren wir mehr oder weniger ein Klub unter den anderen. Kurz davor wurden wir dann wieder etwas mehr thematisiert. Aber wir haben auch daraus als Team unsere Kraft gezogen, das Ding noch zu drehen.
Sich nach diesem Finale noch verbundener miteinander zu fühlen, wie stark ist das für Sie wahrnehmbar?
Der Trainer hat es danach gut beschrieben: Es wird nie jemand fragen, wer genau wie viele Minuten auf dem Platz gestanden hat. Es wird nur heißen: Pokalsieger. Jeder von uns kann das jetzt von sich sagen. Das ist die Erfahrung, die man nur als Gruppe macht.
Aus Ihrer Gruppe stach trotzdem auch im Finale einer heraus: Christopher Nkunku, der RB mit dem 1:1 überhaupt erst das Elfmeterschießen ermöglich hat. Jetzt hat er verlängert. Wie haben Sie seine Entscheidung aufgenommen?
Christo hat eine richtig starke Saison gespielt. Es ist wichtig für uns, dass er bleibt. Nicht nur sportlich, sondern weil er auch als Typ überragend ist. Deswegen hat mich das sehr gefreut.
Sie haben in Ihrer Profikarriere nur in zwei Klubs gespielt. Würde Sie ein Wechsel nochmal reizen?
Wenn nochmal ein super Angebot käme, das ich nicht ablehnen kann, dann würde wahrscheinlich jeder ins Grübeln kommen. Aber man muss immer reflektieren, was man an seinem Verein hat. Über die Jahre entwickeln sich starke emotionale Verbindungen mit dem Klub, da wird das Bedürfnis, nochmal woanders zu spielen, eher kleiner. Und: Ich bin ein Riesenfan der Bundesliga. Das Komplettpaket ist das Beste auf der Welt. Klar kann man in England mehr Kohle verdienen, aber was die Stadien, die Fans und die Fußballkultur angeht, ist die Bundesliga überragend.
Vielleicht nochmal zurück zum FCK
Können Sie sich vorstellen, im Herbst Ihrer Karriere nochmal für Ihren Heimatklub Kaiserslautern aufzulaufen?
Es hat mich gefreut, dass sie in die 2. Liga aufgestiegen sind. Das ist ganz wichtig für die Region, weil diese vom FCK lebt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ich dort nochmal ein oder zwei Saison dranhänge, wenn ich paar Jahre älter bin.
Haben Sie noch Drähte zu Ex-RB- und -HFC-Stürmer Terrence Boyd, der nun in Lautern der neue Publikumsliebling ist?
Terrence ist ein sehr spezieller, guter Typ. Es hat mich gefreut, dass er dahin gewechselt ist. Er kommt bei den FCK-Fans super an, die mögen solche Typen.
Ist er der verrückteste Profi, mit dem Sie je zusammengespielt haben?
Nein, ganz vorn ist Mo Idrissou (Ex-Bundesliga-Stürmer aus Kamerun, Teamkollege von Orban in Kaiserslautern, Anm.d.Red.). Er hatte seine eigene Mentalität und Selbstvertrauen, hat viel Quatsch gemacht. Über seine Interviews bei YouTube kann ich mich heute noch schlapp lachen. Er ist ein super Junge, und war auf dem Platz ein Krieger. Wenn er bei Defensivstandards am ersten Pfosten stand, konntest du einen Kaffee trinken gehen, weil du wusstest, dass er die Flanke mit Wucht rausschädelt.