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RB LeipzigRB Leipzigs Stadionsprecher Tim Thoelke vor dem DFB-Pokalfinale: „Fans wünschen sich nichts mehr, als ihre geliebte Stadionroutine”

Von Ullrich Kroemer 13.05.2021, 07:30
Das rote Sakko ist sein Markenzeichen: Tim Thoelke ist seit bald zehn Jahren bei RB Leipzig.
Das rote Sakko ist sein Markenzeichen: Tim Thoelke ist seit bald zehn Jahren bei RB Leipzig. imago/motivio (Montage RBlive)

Fans dürfen nicht im Stadion sein, aber immerhin der Einheizer ist im Olympiastadion beim Pokal-Endspiel zwischen RB Leipzig und Borussia Dortmund (20.45 Uhr/ARD und Sky). RB Leipzigs multitalentierter Stadionsprecher über Pokalstimmung in Corona-Zeiten, eine Saison ohne Fans, seine Anfänge und nun bald zehn Jahre bei RB sowie seine überraschenden Corona-Projekte:

Tim, du bist als Stadionsprecher zum zweiten Mal beim DFB-Pokalfinale dabei – aber anders als vor zwei Jahren ohne Fans. Mit welcher Stimmung reist du an?
Tim Thoelke: Ich fahre nach Berlin und freue mich auch darauf. Aber die Vorfreude ist natürlich viel geringer als vor zwei Jahren, weil ich weiß, dass ich in diesem 75.000-Zuschauer-Tempel nahezu alleine stehen werde. Das ist für einen Stadionsprecher natürlich nicht annähernd so ein Gefühl wie damals vor 24.000 RB-Fans. Trotzdem bin ich aufgeregt, neugierig auf das Finale und voller Zuversicht, dass wir im zweiten Anlauf das Ding mit nach Leipzig nehmen können.

Was plant ihr für die Fans?
Auch im Falle des Titelgewinns darf leider kein großer Empfang mit Fans in Leipzig stattfinden, aber wir wollen die Anhänger zumindest virtuell über Videos und Liveübertragungen einbinden und so – wenn auch „nur“ digital – dabei sein lassen.

Wie geht es dir generell in der emotionsarmen Zeit ohne Fans? Übst du manchmal zu Hause vor dem Plattenregal den Einpeitscher, damit du in Übung bleibst?
Nein, ich glaube, das fänden meine Nachbarn ziemlich seltsam (lacht). Üben muss ich das nicht. Ich freue mich ganz einfach total auf den Moment, wenn ich wieder vor Fans stehen kann, gemeinsam mit dem Block die Mannschaftsaufstellung ansagen oder wir ein Tor bejubeln können. Zwar nehmen mich die Spiele auch vor leeren Rängen emotional mit, aber es ist ohne Zuschauer einfach etwas komplett anderes und macht viel weniger Spaß. Als wir wenigstens 999 Zuschauer hatten, fand ich das Hunderttausendmal besser als ein Spiel ganz ohne Fans.

Tim Thoelke: „Spieler haben sich aktiv Ansagen, Einlaufmusik und Torjubel gewünscht”

Weil Deine Ansagen gerade komplett ins Leere laufen.
Naja, man darf die paar Leute, die im Stadion arbeiten, und die Mannschaft nicht vergessen. Die Spieler haben sich aktiv gewünscht, dass es die Ansagen, Einlaufmusik und Torjubel gibt. Das hilft mir dabei, dass ich nicht das Gefühl habe, völlig ins Leere zu moderieren.

Du hast kürzlich Deinen Vertrag als Stadionsprecher bis 2023 verlängert, gab es andere Angebote und lange Verhandlungen?
(lacht) Ich will gar keine anderen Angebote bekommen und hatte auch noch nie welche. Wir haben uns wie immer kurz getroffen, Kaffee getrunken und die nächste Vertragsperiode besiegelt.

Gab es Themen oder Wünsche von Dir oder des Vereins für die nächsten zwei Jahre?
Es gab generell noch nie große Diskussionen. Aber normalerweise halten wir es so, dass wir Ideen und Pläne besprechen. In diesem Jahr gab es allerdings nichts zu besprechen, da wir fast alle Spiele ohne Zuschauer bestritten haben. An den Abläufen wird sich also im Vergleich zur Zeit vor Corona nichts ändern. Ich habe das Gefühl, dass sich die Fans nichts mehr wünschen, als ihre geliebte Stadionroutine. Es geht jetzt überhaupt nicht darum, Dinge zu verändern, sondern alle wollen einfach nur, dass es wieder so wird, wie es mal war und die Rituale wiederkehren.

In diesem Juli bist du eine Dekade bei RB. Wie hat dich der Verein eigentlich 2011 im dunklen Keller des Indie-Klubs Ilses Erika entdeckt?
Jemand von der Geschäftsstelle war damals zufällig bei meiner Show „Riskier Dein Bier” (Thoelkes kultiges Live-Showformat vor damals etwa 100 Gästen, Anm.d.Red.). Als es dann darum ging, einen neuen Stadionsprecher zu finden, fiel wohl mein Name. Daraufhin kam eine Delegation von RB-Mitarbeitern ins Ilses Erika und hat sich angeschaut, was ich da mache. Als die Show vorbei war, stürmte direkt jemand auf die Bühne und fragte mich: „Kannst du dir vorstellen, auch mal was mit Fußball zu machen?” Ich fand die Idee gleich sehr spannend. So fing das an.

Als das alles anfing, habe ich die Relevanz, die RB Leipzig mal bekommen würde, überhaupt noch nicht erahnt.

Tim Thoelke, Stadionsprecher bei RB Leipzig

Dass der Ilse-Keller mal Sprungbrett für den heutigen Bundesliga- und Champions-League-Stadionsprecher Tim Thoelke sein würde, war so auch nicht absehbar.
Diese Aufstiegsgeschichte klingt heute immer so logisch, aber damals war das zumindest für mich überhaupt nicht vorherzusehen. Als mir jemand in einem Büro am Neumarkt sagte: „Wir planen hier die Bundesliga”, dachte ich mir: „Plan du mal. Ich habe auch Pläne” (lacht). Kurzum: Als das alles anfing, habe ich die Relevanz, die RB Leipzig mal bekommen würde, überhaupt noch nicht erahnt.

Du hattest vorher wenig mit Fußball zu tun, oder?
Beruflich gar nicht. Ich habe gern Sportschau geguckt, war auch gern mal irgendwo in Deutschland im Stadion, hatte aber nicht mal einen Verein, dem ich besonders die Daumen gedrückt habe.

Du kommst ja aus der Leipziger Underground-Kulturszene. Wie fanden und finden es eigentlich die Leute aus der Kulturbranche, dass du dich mit RB eingelassen hast?
Mittlerweile haben sich eh alle dran gewöhnt. Aber auch am Anfang fanden es die Leute, die ich persönlich kenne, cool und haben sich mit mir gefreut, weil es eine positiv verrückte Geschichte ist. Ich habe dann bei den Spielen in der Regionalliga auch immer mal ein paar verschlafene Nachtschwärmer gesehen, die sonst gar nicht ins Stadion gekommen wären, wenn ich nicht auch da gewesen wäre. Die wollten sich mal angucken, was ich da so mache. Häme gab es überhaupt nicht.

Thoelke über Kritik in sozialen Medien: „Das lasse ich weder an mich heran, noch nehme ich es für voll”

Du hast die Rolle von Beginn an anders interpretiert als deine Stadionsprecher-Kollegen. Musstest du dich erst daran gewöhnen, dass du mit deiner Art polarisierst und Fans anderer Vereine die Auftritte auch befremdlich finden?
Überhaupt nicht. Die Rolle, die ich jetzt einnehme, hat sich ja nach und nach entwickelt. Ich hatte anfangs enorm viele Freiheiten, da es im Verein andere Baustellen gab, als sich darauf zu konzentrieren, was der Stadionsprecher macht. Also habe ich viel ausprobiert und geschaut, was funktioniert und was nicht. Da waren auch Dinge darunter, die nicht so gut ankamen. Aber dass mich auch Leute für meine Performance kritisieren, habe ich erst viel später in der 2. Liga oder der Bundesliga gehört. Ich meide es zu lesen, was von Fans der gegnerischen Mannschaften in den sozialen Medien über mich geschrieben wird. Das lasse ich weder an mich heran, noch nehme ich es für voll.

Was waren denn Elemente, bei denen du dich erst an den Geschmack der Fans herangetastet hast?
Zum Beispiel das rote Sakko. Als ich das in der 3. Liga zum ersten Mal anhatte, habe ich ganz viele Nachrichten bekommen, dass die Fans das klasse finden, weil es zum Verein passt. Auch Alexander Zorniger fand das damals sehr witzig und hat das kommentiert. Ich habe dann schnell gemerkt, dass die Fans fast ein bisschen genervt waren, wenn ich es nicht anhatte. Dann habe ich irgendwann entschieden, es immer zu tragen.

Wie viele rote Sakkos hast du eigentlich?
Drei. Ein dünnes für den Sommer, ein dickes für den Winter, und eins, was schon ein bisschen „oll” ist, und das ich nur noch hin und wieder mal trage, weil es schon viele Spiele auf dem Buckel hat. Und für Minusgerade gibt es noch den rot-karierten Mantel.

Da stand Timo Röttger schon mal mit einem Bier in der Hand in der Vodkaria an der Bar ...

Tim Thoelke, Show-Multitalent

Wie eng ist eigentlich dein Kontakt zur Mannschaft?
Ich bin mit ein paar wenigen Spielern befreundet, mit anderen habe ich nur an den Spieltagen Kontakt, der dann aber immer ausgesprochen nett ist. Das war früher natürlich anders, da stand Timo Röttger schon mal mit einem Bier in der Hand in der Vodkaria an der Bar. Sowas gibt es heute nicht mehr. Der Verein hat sich rasend schnell professionell weiterentwickelt, und durch die große Aufmerksamkeit können Trainer und Spieler Privates, zum Beispiel nach einem erfolgreichen Spiel, auch in Leipzig kaum noch ausleben.

Wie ist das bei dir, kannst du dich noch unerkannt in Leipzig und der Region bewegen?
Ich habe schon meine Möglichkeiten, mich zu tarnen, wenn ich mal für mich sein will. Aber natürlich werde ich sehr häufig erkannt und nach Selfies und Autogrammen gefragt. Das hat die große Relevanz, die RB mittlerweile in der Stadt hat, mit sich gebracht.

Du warst in der Corona-Zeit kreativ, hast ein Buch über 44 RB-Fans geschrieben und eine Platte veröffentlicht. Was sind die Ideen dahinter?
Ich habe generell versucht, die 14 Corona-Monate für ein paar Dinge zu nutzen, für die man sonst weniger Zeit hat und die mir am Herzen liegen. Das Buch erscheint am 27. Mai, dazu gern später mehr. Ich kann nur jetzt schon sagen, dass es wegen der Leute, Fotos und Geschichten sehr schön geworden ist.

Dazu hast du das Konzeptalbum „Böse See” mit sehr atmosphärischen Singer-Songwriter-Stücken über das Meer veröffentlicht. Was hat es damit auf sich, du hast doch früher mal Punk gemacht?
Stimmt, das war so um 1990 herum. Ich habe in den 90ern in diversen Bands gespielt und viel Musik gemacht. Als ich nach Leipzig zog, hatte ich dazu keine Lust mehr und habe mich mehr damit beschäftigt, Musik zu sammeln und aufzulegen. Vor zwei Jahren hat es mich aber nochmal gepackt: Da saß ich in Estland in einem Hotel direkt am Meer auf dem Balkon, und es zog über der Ostsee ein gewaltiger Sturm auf. Das war so beeindruckend, dass ich dazu ein paar Zeilen verfasst habe, um die Grundstimmung in Worte zu fassen.

Was begeistert dich an dem Sujet?
Das Meer als Sehnsuchtsort hat mich schon immer fasziniert, da spielen Abenteuerlust, Romantik, Fernweh und Gefahr eine Rolle. Über dieses große Thema wollte ich schon immer mal eine Ballade schreiben. Ein Musiker hat mir dazu Songs geschrieben und schließlich ist daraus dann ein ganzes Album geworden. Ich freue mich schon fast so sehr darauf, die Lieder live dem Publikum vorzustellen, wie wieder vor Fans auf dem Platz zu stehen.

Das Interview führte Ullrich Kroemer.

(RBlive/ukr)