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Domenico Tedesco im exklusiv-interview "Alle haben gesagt: 'Mach' es nicht, dort gehen die Lichter aus!'"

Vor dem Spiel gegen den FC Bayern spricht Leipzigs Trainer über seinen Kontrahenten und früheren Lehrgangskollegen Julian Nagelsmann, seine Verehrung für Italiens Europameisterteam und wie ihn ein Kindergärtnerjob zum Fußballtrainer gemacht hat.

Von Martin Henkel Aktualisiert: 05.02.2022, 08:47

Vor dem Spiel gegen den FC Bayern spricht Leipzigs Trainer Domenico Tedesco mit RBlive-Reporter Martin Henkel über seinen Kontrahenten und früheren Lehrgangskollegen Julian Nagelsmann, seine Verehrung für Italiens Europameisterteam und wie ihn ein Kindergärtnerjob zum Fußballtrainer gemacht hat.

Herr Tedesco, Sie treffen heute auf ihren alten Weggefährten Julian Nagelsmann, mit dem Sie als Nachwuchstrainer der TSG 1899 in der Saison 2015/2016 ein Jahr lang von Sinsheim nach Hennef bei Köln zum Trainerlizenzlehrgang fuhren. Wie muss man sich diese Fahrgemeinschaft vorstellen?
(lacht) Wie eine Fahrgemeinschaft eben. Einer fährt und man redet viel.

Wer saß am Steuer?
Wir haben uns abgewechselt. Wir waren ja auch nicht zu zweit, sondern die meiste Zeit zu viert.

Keine Allerweltskarriere

Demnach fast schon eine Combo?
Gar nicht mal. Ich kam damals gerade vom VfB Stuttgart in die Hoffenheimer U16. Jule (Julian Nagelsmann, Anm. Red.) war zu dieser Zeit für die U19 verantwortlich. Ich war der Neue, und auch beim Lehrgang war wenig Zeit, sich noch besser kennenzulernen. Ein paar Monate später ist Julian dann Cheftrainer geworden.

Wie haben Sie ihn im Auto wahrgenommen?
Sehr humorvoll und schlagfertig.

Fachkompetent?
(lacht) Davon muss man ausgehen. Aber wir haben gar nicht so viel über Fußball gesprochen. Wir waren alle jung und haben uns viel übers Leben unterhalten.

Sie beide schlossen als Jahrgangsbeste ab - Nagelsmann mit 1,3, Sie mit 1,0. Bedeutet Ihnen dieser kleine Unterschied etwas?
Im Leben nicht. Eine Einser-Prüfung bedeutet nicht automatisch, dass man das, was abgefragt wurde, auch wirklich verstanden hat. Prüfungen testen im Grunde genommen eigentlich nur die Art, wie man strukturiert lernt.

Ihre Prüfungsnoten waren zumindest bei Ihnen beiden ein Nachweis ihrer Talente und Fähigkeiten. Sie trainieren die zwei besten deutschen Teams der vergangenen Saison. Dabei sind Sie erst Mitte 30. Nehmen Sie sich manchmal als besonders wahr?
Nein.

Sie haben mit 20 Ihre ersten Trainerscheine gemacht, nebenbei eine Ausbildung absolviert, Ihr Fachabitur nachgeholt, zwei Studiengänge beendet und wurden mit 32 Jahren sowohl Zweitliga- als auch Oberhaustrainer, waren zwei Jahre bei Spartak Moskau, dem populärsten Klub Russlands, und sind jetzt Trainer in Leipzig. Das ist keine Allerweltskarriere.
Vermutlich nicht. Aber ich nehme das so nicht wahr.

Karrieren nehmen oft durch Zufälle Ihren Lauf. Wie war das bei Ihnen?
Wenn es einen Zufall gab, dann den, dass ein Kumpel von mir in Aichwald bei meinem Heimatverein die ganz Kleinen trainierte. Damals war ich noch Spieler. Eines Tages sagte er zu mir: "Du, Dome, hast du nicht Bock, mir zu helfen, eine zweite Mannschaft auf die Beine zu stellen? Wir haben zu viele Kiddies." Ich hab‘ sofort zugesagt. Zwar war ich mehr Kindergärtner als Fußballtrainer, aber ich fand es großartig. Wie die Bambinis gestrahlt haben, wenn ich sie vor dem Tor aufgereiht hatte, sie mich anspielen mussten, ich ließ klatschen – und dann drauf auf die Hütte! Das hat mich sehr berührt.

Sie hatten Feuer gefangen.
Ja. Ich habe mich zwei Jahre später beim VfB Stuttgart beworben. Ich kannte Thomas Albeck, den langjährigen Nachwuchskoordinator, der später auch bei RB gearbeitet hat und leider viel zu früh verstorben ist.Ich schrieb ihn per E-Mail an und hab‘ gesagt: "Ich hätte Lust, was zu machen. Wenn ihr mal was braucht, sagt Bescheid." So ist es dann gekommen. Ein paar Wochen später rief Thomas mich an und bot mir einen Co-Trainer-Posten bei der U9 an.

Was für ein Spieler waren Sie eigentlich?
Ich wollte immer Tore schießen. Stürmer, Zehner - das war  mein Ding.

"Ästhetik eine Klärwerks"

Wer sich näher mit Ihnen beschäftigt, stößt auf zwei unterschiedliche biografische Details. Das eine meint, Sie hätten als Fußballer nie höher als Kreisliga A gespielt. Das zweite, Sie wären beinahe Drittligaprofi bei den Stuttgarter Kickers geworden. Welches stimmt?
Ich hatte tatsächlich mal ein Probetraining bei den Kickers. Ich war für den gescouteten Jahrgang aber zu jung. Der Trainer fand mich trotzdem gut, also vereinbarten wir eine Art Leihe zum FV Zuffenhausen. Dort habe ich ein paar Monate in der Landesliga gespielt. Ich musste aber jeweils eineinhalb Stunden quer durch Stuttgart fahren. Das war mir zu lang, ich war 18, voll in der Ausbildung. Deshalb habe ich es gelassen und bin wieder zurück zum ASV Aichwald.

Als Sie bereits Coach auf Schalke waren, beschimpfte Ex-Nationalspieler Mehmet Scholl ihre Generation als die „Tedescos“ der Liga, sogenannte „System“- oder Laptoptrainer, die zwar „18 Systeme rückwärts furzen“ könnten, aber nie selbst Profis gewesen seien, und deshalb von echtem Topfußball nichts verstünden. Hatte er Recht mit der Annahme von so außergewöhnlichen Fähigkeiten
(lacht) Nein, da lag er falsch.

Traf Sie die Kritik?
Hätten Mehmet Scholl und ich uns gekannt, hätte mich das sicherlich bewegt. Aber wir kannten uns nicht, deshalb hat es mich nicht weiter beschäftigt, da er meine alltägliche Arbeit aus der ferne nicht bewerten konnte. Alle Trainer haben es in erster Linie mit Spielern, Betreuern, Assistenten und dem weiteren Staff zu tun. Man könnte jederzeit auf den Laptop verzichten, auf die eigentliche Arbeit mit Menschen nicht. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass es auch nur einen professionellen Trainer gibt, der keine Computerdaten nutzt.

Es heißt, Sie hätten sich zu Beginn ihrer Trainerkarriere viele Spiele von Jose Mourinho und Pep Guardiola angeschaut. Stark zugespitzt steht der eine für einen eher pragmatischen Ansatz, der andere für eine Idee von Fußball. Wer hat Sie mehr angezogen?
Vornweg, ich habe auch sehr genau hingeschaut, wie Teams von Massimiliano Allegri gespielt haben, von Antonio Conte oder Marcello Lippi. Und wenn Sie mich fragen, mit welchem Team ich mich unbedingt identifizieren kann, dann mit dem unter Roberto Mancini, das vergangenen Sommer Europameister wurde. Aber zurück zu Ihrer Frage: Das ist schwierig zu beantworten. Jeder Trainer ist in gewisser Weise Pragmatiker. Die einen lassen sich dabei nur eher von einer Idee leiten, andere von Umständen vor Ort.

Wie ist das bei Ihnen?
(lacht) Das kommt auf die Umstände an. Nein, Scherz beiseite, mit meiner Vorstellung von Fußball liege ich eher auf der Linie aller Trainer, die ihre Teams gern den Ball haben lassen, trotzdem aber zum Beispiel auch früh pressen und vorwärts denken.

Sowohl in Aue als auch auf Schalke haben Sie eher wie Mourinho spielen lassen. Allein bei den Knappen dominierten in den eineinhalb Jahren, die Sie Trainer waren, die Ergebnisse 1:0, zehn Mal, und 2:0, elf Mal. Ihr Team hat damals nur zwei Mal mehr als drei Tore geschossen.
Ich musste mich den Umständen und meinen jeweiligen Teams anpassen. Ich finde, darin liegt die Stärke eines Trainers, wenn er wenig Zeit zum Trainieren hat und schnell Ergebnisse liefern muss. Das habe ich auch nicht erfunden, das ist so und für alle Trainer die gleiche Prämisse. Aber ich stimme Ihnen trotzdem nicht ganz zu. Nur ein Beispiel: Als ich in Aue anfing, waren wir Tabellenletzter. Wir haben trotzdem offensiv gedacht und mit drei Spitzen gespielt. Das hat uns zum Klassenerhalt geführt. Wir haben damals von elf Spielen sieben gewonnen.

Neben dem vielen Applaus für Ihre Arbeit auf Schalke gab es auch teils deftige Kritik an Ihrem Spielstil. Unter anderem unterstellte man Ihrem Team die „Ästhetik eines Klärwerkes“.
Das ist interessant, ich werde immer nur auf die Zeit bei Schalke angesprochen, dabei war ich zuletzt bei Spartak Moskau. Dort hatten wir einen komplett anderen Ansatz. Wir hatten mit den meisten Ballbesitz aller Teams und über die knapp eineinhalb Jahre gesehen die meisten Torchancen aller Mannschaft pro Partie und sind in der Zeit von Platz zwölf auf zwei geklettert.

Sowohl der Job in Aue als auch der wenige Monate später bei einem so dauererregten Klub wie Schalke war mit dem Risiko unterlegt, dass Ihre Karriere schnell auf die falsche Bahn geraten könnte. Was sagt es über Sie aus, dass Sie beide Angebote trotzdem annahmen?
Als sich die Möglichkeit andeutete, nach Aue zu wechseln,  habe ich ein wenig in meinem Freundeskreis herumgefragt: "Sagt mal, was meint ihr: Soll ich das machen?" Ich wollte ein Stimmungsbild. Alle haben gesagt: "Dort gehen gerade die Lichter aus!" Da wusste ich, das ist genau mein Ding. Ich hatte zwar was zu verlieren, aber vielmehr zu gewinnen.

Es gibt einen Vers von Robert Frost: „Im Wald zwei Wege boten sich mir dar, ich nahm den, der weniger betreten war.“ Trifft das generell auf Sie zu?
Es ist tatsächlich so, dass ich bislang ganz, ganz selten einen einfachen Weg hatte. Egal ob es privat, schulisch oder im Fußball war. Siehe meine Zeit in Moskau. Es macht mich stolz, dass ich diesen Weg gegangen bin. Es war nicht einfach, Richtung Osteuropa geht sonst kaum ein Trainer, jedenfalls selten aus Deutschland. Jetzt arbeiten in Russland Markus Gisdol, Daniel Farke oder Sandro Schwarz. Ja, andere Wege zu gehen, das ist schon mein Ding.