reportage Vom Schmuddelkind zum Glamourboy: Die Verwandlung Manchester Citys
Das "Beer House & Kitchen" ist halb gefüllt an diesem Montagmittag. Der Pub in Manchesters Victoria Railway Station ist ein Denkmal aus der guten, alten Zeit: Jahrhundertwendestuck, Marmorboden, die Wände sind in Türkis gekachelt. Dieser Ort zieht seine Gäste aus der Gegenwart hinab in eine Epoche, in der die nordenglische Metropole noch die Stadt der Stahlwerke und Textilfabriken war - samt ihrem Verfall in den Siebziger und Achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Das war die Zeit, in der David Burton seine Weihen als Fan von Manchester City erhielt.
Man City: reich und schön
Burton, 59, sitzt an einem der Holztisch des Pubs. Vor sich ein Pint Bier, das heute genauso viel kostet wie 1976 sein erstes Saisonticket für Spiele der „Citizen“. „4.50 Pfund“, prustet Burton in einem dezenten Anfall von Humor und plötzlichem Erstaunen, wie die Zeiten sich geändert haben.
Als Burton zum regelmäßigen Stadiongänger wurde, lieferten sich der Arbeiterklub aus dem Osten der Stadt wilde Abnutzungsduelle um einen Platz im Tabellenmittelfeld. Gut 50 Jahre später hat Man City vier der vergangenen fünf Meisterschaften gewonnen, ist aktuell Tabellenzweiter und spielt an diesem Dienstagabend in der Champions League gegen RB Leipzig um den Einzug ins Viertelfinale (21 Uhr).
Dass nichts jemals bleibt, wie es mal war, zeigt sich fünf Kilometer entfernt auf dem Etihad Campus. Dort, wo der Manchester City Football Club in der Gegenwart zu Hause ist. Reich und schön ist es hier. Sämtliche Gebäude sind keine zehn Jahre alt, viel Stahl, Glas, alles gestrichen in trendigem Grau und dem typischen Himmelblau des Vereins, der 1880 unter dem Namen St. Marks (West Gorton) gegründet wurde und seit 2008 den Scheichs aus Abu Dhabi gehört, inklusive morgendländischer Opulenz. Über 1,5 Milliarden Euro haben die Emiratis bereits in Team und Infrastruktur gesteckt.
RB und City: wie der Teufel für Christen
Für Fans wie Burton sind solche Transformationen normalerweise eine seelische Herausforderung. Wird er deshalb nostalgisch, wenn er an früher denkt? „Nein“, sagt Burton, der mit drei Freunden die Fanwebseite „St. Marks (West Gorton)“ betreibt. Er hat alles erlebt, den Abstieg des Clubs nach der Meisterschaft 1968 bis hinunter in die 3. Liga. „Du kannst dich nicht entwickeln, wenn du stehen bleibst“, sagt er.
Es ist nicht so, dass britische Fans die Zeitraffer-Modernisierung des Fußballs klaglos hinnehmen, doch sie haben sich schneller arrangiert, als etwa deutsche Fans, denen Teams wie RB Leipzig oder das moderne Man City suspekt sind wie einem Christen der Teufel.
Ein guter Zeuge für diesen Unterschied ist Uwe Rösler, der das alte, raue Man City aus der Innenansicht erlebt hat und heute dem neuen, glitzernden Klub die Daumen drückt, wie er am Telefon berichtet. Der gebürtige Altenburger war Spieler bei Lok Leipzig, in Dresden, Nürnberg. 1994 ging er zu Manchester City, der erste „German“ nach der deutschen Club-Legende Bert Trautmann, der zwischen 1949 und 1964 Keeper im „Estlands“ war.
"Uwes granddad bombed Old Trafford"
Rösler hatte die beste Phase seiner Karriere und seines Lebens hier. „Das alte Stadion an der Maine Road habe ich geliebt. Die Atmosphäre war unvergleichlich – Gänsehaut!“, erinnert er sich an die alte Spielstätte, die 2002 durch das heutige Stadion ersetzt wurde. Die Fans liebten ihn. „Uwe war 100 Prozent ein Citizen“, erinnert sich Burton. Sie widmeten ihm mit „Oooo-veyh“ einen eigenen Fansong. Zudem ließ der Club 5000 Shirts mit der Aufschrift „Uwes grandad bombed Old Trafford“ drucken.
„Das ist typisch schwarzer, britischer Humor“, erinnert sich der heute 54-Jährige an die Stänkeraktion gegen den Stadtrivalen United. Rösler gerät ins Schwärmen, wenn er über seine Zeit in Manchester spricht, als zwar die Wirtschaft in der Stadt zusammenbrach, aus den Ruinen aber ein neues, junges Leben hervorpulsierte.
„Manchester hat sich damals mit Oasis, den Stone Roses und dem Club Haçienda als Musikstadt entwickelt, zum Powerhouse des Nordens”, berichtet Rösler. Die Oasis-Brüder Liam und Noel Gallagher gingen damals bei City ein und aus. „Natürlich kannten wir die. Sie waren nach unseren Spielen mit in der Players Lounge, und wir waren backstage bei ihren Konzerten“, erzählt er. „Oasis sind brutale City-Supporter, wir haben damals immer mal was zusammen unternommen.“
Rösler: Nostalgie steigt auf
Nostalgie steigt auf, wenn Rösler von damals berichtet. Vom Stadion an der Maine Road ist nichts mehr übrig, City verließes 2003, ein Jahr später wurde es abgerissen. Heute befinden sich hier ein Wohnkomplex, eine Grundschule und ein Fußballplatz für Kinder. Man City sichtet bei den lokalen Vereinen ab und zu mal Nachwuchs für die Akademie, erzählt ein Anwohner, der Liverpool-Fan ist. Sonst hat der Klub 20 Jahre nach dem Umzug nichts mehr mit den Menschen hier gemein.
"Rein emotional erlebt man eine solche Stimmung heute im Etihad Stadium nicht mehr“, sagt Rösler. „Das lässt sich emotional nicht vergleichen.“ Doch der heutige Trainer des dänischen Erstligisten Aarhus trauert dem alten City keineswegs nach. Es sei für die Entwicklung unabdingbar gewesen, Viertel und Stadion zu wechseln. „Ich bin sehr froh, dass die neuen Besitzer investiert haben, weil sie alles gehalten haben, was sie versprochen hatten. Jetzt ist die Zeit da, in der regelmäßig Titel gefeiert werden“, sagt Rösler. „Jeder Fan ist den neuen Besitzern sehr dankbar. Das Blatt in Manchester hat sich gewendet.“
Das sieht Burtongenauso. Ja, er vermisst das Stadion an der Main Road manchmal, aber er ist genauso dankbar für funktionierende Toiletten und stabile Sitze. Das macht nicht nur das Alter, sondern es ist nun eben mal wie es ist, sagt er. Burton gräbt aus diesem Spannungsfeld zwischen Bewahren und Loslassen den einen Tag hervor, an dem ihm nicht das alte, sondern das neue Manchester City den schönsten Nachmittag seines Fan-Lebens bescherte.
Es war der 13. Mai 2012: City erzielte am letzten Spieltag gegen die Queens Park Rangers in der vierten Minuten der Nachspielzeit den 3:2-Siegtreffer, und sicherte sich damit die erste Meisterschaft nach 44 Jahren - vor dem punktgleichen Erzrivalen United. „Das“, so Burton“, sei die Verwandlung vom Schmuddelkind zum Glamourboy wert gewesen. „Es war das schönste Spiel meines Lebens.“