Dariusz Wosz vor Gastspiel in Bochum „RB Leipzig ist eine Wundertüte”
Der Ex-Hallenser Dariusz Wosz ist in Bochum heimisch geworden. Der Klub-Repräsentant und Leiter der VfL-Fußballschule über das Duell Bochum gegen RB, Herbert Grönemeyer und das Image der einstigen Grauen Maus sowie die Versäumnisse des DFB in den vergangenen Jahren.
Leipzig/Bochum – Dariusz Wosz hat gerade Spaß, wenn er seinem VfL Bochum zuschaut. Der heute 54-Jährige, der 1992 den Halleschen FC verließ und es bis zum Nationalspieler und EM-Teilnehmer brachte, spricht vor dem Gastspiel von RB Leipzig beim VfL (Sa., 15.30 Uhr) über die Situation bei seinem Herzensklub, für den er 383 Spiele bestritt. Als die Sprache auf die Nationalelf und DFB sowie den HFC kommt, nimmt der einst außergewöhnliche Spielmacher kein Blatt vor den Mund.
Herr Wosz, was machen Sie am Samstag? Verfolgen Sie den HFC gegen Dynamo Dresden oder sind Sie beim Spiel VfL Bochum gegen RB Leipzig im Stadion?
Dariusz Wosz: Ich hätte mir beides gern angeschaut, aber Bochum gegen RB ist wichtiger für mich. Wir spielen 1. Liga, wenn ich Zeit habe, bin ich im Stadion dabei. Aber ich schaue auch gern zu Hause, im Stadion werde ich ständig angesprochen, da sitzen ja nur Trainer und Experten auf der Tribüne (lacht).
Was macht Bochum aus, dass es eben an guten Tagen möglich ist, auch Bayern München zu schlagen?
Das ist in Bochum einfach etwas ganz Besonderes. In diesen Spielen hat man die Möglichkeit, sich mal in den Fokus zu spielen. Wenn du gegen Bayern gewinnst, redet man eine Woche lang nur von dir und deiner Mannschaft.
„Auch machbar, RB Leipzig zu schlagen”
Welche Energie ist im Stadion zu spüren, wenn die Bochum-Hymne von Herbert Grönemeyer erklingt?
Das freut jeden Spieler. Ich fand Grönemeyer schon immer gut, auch bevor ich nach Bochum gewechselt bin. Die Verbindung zwischen Stadt und Verein wird durch das Lied noch enger. Ich habe so viele Spiele für Bochum gemacht, das brennt sich richtig ein. Die Atmosphäre kommt, wenn du gut spielst. Die Zuschauer sind so nah am Spielfeld dran, dass du alles mitkriegst. Und die aktuelle Situation ist ja perfekt für die Spieler: Du weißt, du hast 14 Tage vorher Bayern München hier geschlagen, jetzt kommt Leipzig – das ist auch machbar, die zu schlagen.
Als Sie 1992 nach Bochum wechselten, galt der Verein noch als Graue Maus; Sie wurden Zaubermaus genannt. Wie hat sich das Image des Vereins gewandelt?
Das Wichtigste ist, wie du Fußball spielst. Zu meiner Zeit hieß es, Bochum ist grau und genauso spielt der VfL. Ich habe damals durch meine Dribbelstärke ein paar Glanzpunkte gesetzt. Ich hatte damals noch einen Manndecker, der ständig hinter mir her war. Früher wurden die Spielmacher in der Bundesliga ja viel enger gedeckt. Aber zurück zum Image. Heute sage ich: Wir sind der VfL Bochum, unser Ziel muss es sein, ähnlich wie Freiburg und Mainz, immer in der 1. Liga dabei zu sein.
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Was hat Sie damals eigentlich überzeugt, nach Bochum zu wechseln? Sie hatten sicher auch andere Angebote.
Ja, schon. Aber ich habe mir eine Mannschaft ausgesucht, in der ich sicher spielen würde. Ich wusste: Ich werde Bundesligaspieler. Das war mein Ziel. Ich wollte nicht auf der Ersatzbank sitzen. Und ich wusste, dass noch ein paar andere Jungs aus der früheren DDR-Oberliga wie Jörg Schwanke, Heiko Bonan und Rocco Milde dabei waren.
Eine kluge Wahl. Bochum ist für Sie Heimat und Herzensverein geworden.
Deswegen bin ich auch nach meinem Engagement bei Hertha zurückgegangen, weil ich wollte, dass der VfL aufsteigt und in der 1. Liga spielt.
Wosz über Trainer Letsch: „Weltklasse”
Wie beurteilen Sie die Arbeit von Trainer Thomas Letsch, der aus Salzburg ja eine Red-Bull-Vergangenheit hat?
Da müssen wir bei seinem Vorgänger Thomas Reis anfangen, der es geschafft hat, in die 1. Liga aufzusteigen. Ich habe damals gesagt: Ich erlebe es nicht mehr, dass wir den Aufstieg schaffen, wenn man gesehen hat, welche Spieler wir hatten. Und als dann im zweiten Jahr Thomas Letsch kam, hätte ich auch nie geglaubt, dass wir in der 1. Liga bleiben. Das war überragend von ihm – Weltklasse. Er hat in Salzburg viel gelernt, ist dann in Aue missverstanden worden hat in Holland sehr gute Arbeit gemacht. Ich schätze seine Arbeit außerordentlich.
Wie sehen Sie RB Leipzig aktuell unter Trainer Marco Rose?
Von außen betrachtet, sage ich: Besser gehts doch gar nicht. Er ist Leipziger, war selbst Spieler, ist ein meist besonnener Typ. Er weiß ganz genau, wie man die Spieler anpackt. Er hätte es bei Bayern München leichter und würde dort um die Deutsche Meisterschaft spielen. Klar, hat Leipzig ein paar Baustellen und muss in die Champions League kommen – sonst ist es kein Erfolg. Aber er macht aus meiner Perspektive einen ganz souveränen Job.
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Wie betrachten Sie die Ausgangslage für das Spiel in der aktuellen Situation?
Leipzig ist eine Wundertüte. Man kann mit drei, vier Gegentoren gegen sie verlieren, aber man kann auch gegen sie gewinnen. Was die Qualität der Spieler angeht, ist das eine Spitzenmannschaft wie Leverkusen und Stuttgart. Gegen Stuttgart haben wir zu Hause auch gewonnen. Das sind für uns Bonusspiele, zusätzliche Punktchancen. Ich sage: Wir müssen noch dreimal gewinnen, dann sind wir durch, weil die anderen Teams dann sechs Siege bräuchten. Aber das Gute ist: Wir müssen nicht, haben acht Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz. Darmstadt, Mainz und Köln müssen punkten, sonst wird es immer schwieriger für sie.
Wosz über DFB-Elf und EM: „Kann alles in die Hose gehen”
In gut drei Monaten beginnt unter anderem in Leipzig die EM. Wie betrachten Sie als Ex-Nationalspieler die Situation?
Ganz ehrlich? Das kann alles in die Hose gehen. Toni Kroos kann auch nicht der alleinige Heilsbringer sein. Mario Basler hat das ja neulich gut gesagt: Wir können ja versuchen, auch noch Jürgen Klinsmann und Rudi Völler zu reaktivieren. Das Mittelfeld ist nicht das Problem, das größte Problem sehe ich ihm Sturm. Daran, dass Kroos und Mats Hummels immer noch ranmüssen, sieht man doch, welches Ausbildungsproblem der DFB hat.
Was stört Sie?
Das fängt bei den Trainern an. Ich habe mich zweimal ohne Erfolg für den DFB-Fußballlehrer-Lehrgang beworben, weil es hieß, es gebe nicht genügend Plätze und dass nur für die Profis ausgebildet werde. Dabei habe ich fünf Jahre lang die A-Jugend beim VfL trainiert – Ilkay Gündogan, Leon Goretzka, Lukas Klostermann, Atakan Karazor, Daniel Heuer Fernandes und, und, und kamen alle vom VfL Bochum. Gerade auf diesen Positionen braucht es doch die besten Trainer. Da muss sich der DFB fragen: Welche Trainer bildet er aus? Hertha etwa hat die Philosophie, dass die Nachwuchsteams von Ex-Profis geleitet werden. Ex-Spieler können den Jungs auf dem Spielfeld zeigen, wie man zum Beispiel jongliert. So wie ich das damals von Wolfgang Tiffert gelernt habe: jonglieren, dribbeln, den schwachen Fuß trainieren. Das hat mir alles geholfen. Wir machen als Ex-Profis sicher nicht alles richtig. Aber wir können den jungen Spielern vermitteln, wie man mit Vollspann einen Ball schlägt oder einen Pass spielt.
Was noch?
Erst haben alle Vereine die U23 abgemeldet, jetzt machen alle wieder einen Rückzieher und melden die zweiten Mannschaften wieder an. A-Jugend ist Kinderfußball, wenn die 17-, 18-Jährigen dann Männerfußball spielen wollen, brauchen die meisten die Zeit in der Regionalliga. Ich sage immer: Auf die Dörfer gehen und springen lernen! Sie bekommen dort Spielpraxis und spielen auch gegen Klubs wie Rot-Weiß Essen vor 10.000 Fans. Wir sind doch dadurch vier, fünf Jahre zurückgeworfen worden, sind nicht mehr unter den ersten Fünf in Europa, sondern eher auf einem Niveau mit Polen und Tschechien.
„Ich bin hier in Bochum nicht mehr wegzudenken”
Ist es für Sie eine Option, irgendwann zu Ihrem Heimatklub nach Halle zurückzukommen und selbst mit anzupacken?
Nein, ich bin hier in Bochum eigentlich nicht wegzudenken. Ich würde sowieso nicht den Cheftrainer machen wollen. Wir haben neulich erst diskutiert, ob ich Co-Trainer der U23 hier in Bochum werde. Aber ich habe keine Lust mehr, mich mit Eltern, Beratern und Spielern herumzuärgern, die mit 17 alles können. Weshalb soll ich zurückkommen und mich mit gewissen Leuten streiten?
Was ist Ihr Job als Leiter der VfL-Fußballschule.
Ich organisiere viele Fußballcamps, zum Beispiel sind wir dieses Jahr in Eisleben und an anderen Standorten in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Demnächst bieten wir Technik- und Standardtraining für den Bochumer Nachwuchs an. Da arbeite ich mit U9-/U10-Spielern, denen kann man was beibringen, was sie jahrelang mitnehmen. Dazu kommt meine Rolle als Repräsentant für den Verein. Ich möchte keine Mannschaft mehr trainieren, da muss ich mich vor keinem mehr rechtfertigen, wie ich spielen lasse.