Überschätzt, zu jung, zu teuer? Beim DFB gibt es offenbar Vorbehalte gegen Nagelsmann als Bundestrainer
Julian Nagelsmann kurvt wie einst in München mit dem elektrischen Longboard lässig zu seinem neuen Arbeitsplatz. Dieses, bislang rein fiktive Bild des jung-dynamischen Trainers am schicken Frankfurter DFB-Campus beflügelt die Phantasie der Fangemeinde im Netz – und sorgt bei dem ein oder anderen altgedienten Funktionär für leichte Panikattacken.
Nagelsmann, zwischen 2019 und 2021 bei RB Leipzig am Amt, mag für viele wie der logische Nachfolger des geschassten Hansi Flick auf dem Posten des Bundestrainers erscheinen, doch so einfach ist die Sache längst nicht.
Verbandsintern gibt es Vorbehalte gegen den Mann, der mit erst 36 Jahren der jüngste Chefcoach in 123 Jahren DFB-Geschichte werden könnte. Die Skepsis speist sich nicht nur aus dem finanziell für den klammen Deutschen Fußball-Bund (DFB) kaum darstellbaren Paket, das ein Engagement kosten würde.
Julian Nagelsmann hat beim DFB nicht nur Fans
Selbst wenn dessen Ex-Klub Bayern München, bei dem Nagelsmann trotz Entlassung im März noch bis 2026 ein fürstliches Gehalt bezieht, dem DFB bei der Ablöse entgegenkäme, müsste man selbst ja noch ein üppiges Gehalt berappen. Plus zwei teure Assistenten bezahlen. Zusätzlich zu Flick und seinem Stab, die noch bis 2024 kassieren.
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Das liebe Geld, hieß es nach SID-Informationen bei der Videokonferenz am Sonntag, auf der Flicks Aus beschlossen wurde, dürfe kein Hindernis sein. Der Name Nagelsmann fiel dort (noch) nicht, doch die Vorbehalte einiger Verbandsfürsten sind nicht allein finanzieller Natur. Mancher hält Nagelsmann für etwas überschätzt, anderen ist das „Trainertalent“ zu jung.
Aber würde Nagelsmann überhaupt wollen? Seit seinem plötzlichen Aus bei den Bayern war er mit verschiedenen Top-Klubs aus England und Frankreich im Gespräch, lehnte aber letztlich überall wegen eigener Bedenken ab. Weil er auf den DFB-Job lauerte?
Julian Nagelsmann ist bei Bundestrainer-Job offenbar nicht abgeneigt
Dass ihn die Mission Heim-EM reizen würde, gilt als offenes Geheimnis. Im Juni, ist zu hören, wäre er gegenüber etwaiger DFB-Avancen aufgeschlossen gewesen. Eine Kontaktaufnahme seitens des Verbandes gab es sehr zur Verwunderung der Nagelsmann-Seite damals nicht – trotz veritabler Flick-Krise. Dass er jetzt ein offensichtliches Himmelfahrtskommando übernehmen würde, gilt zumindest als fraglich.
„Ich glaube, dass er noch nicht so weit ist, dass er lieber die tägliche Arbeit mit einer Mannschaft will und braucht“, meint Rekordnationalspieler Lothar Matthäus. Nagelsmann gilt eher als Entwickler denn als Feuerwehrmann.
Nagelsmann braucht Zeit, seine komplexen, bisweilen überfordenden Ideen den Spielern zu vermitteln. Dazu hat er bei der Nationalmannschaft kaum Gelegenheit; aktuell schon gar nicht, wo es rasch einer Stabilisierung bedarf. Als er damals bei RB begann, schlug ihm aus Team und Verein heftiger Gegenwind entgegen – Nagelsmanns Art, sein Drang zur Selbstdarstellung, die bisweilen nassforsche und überaus selbstbewusste Art des Genies sind ebenso gewöhnungsbedürftig für eine Mannschaft wie viele neue taktische Inhalte des stets vor Kreativität sprudelnden Coaches.
Julian Nagelsmann: Auch der BVB bleibt ein Thema
Das große Plus jedoch: Er kennt die traditionell starke Bayern-Achse der Nationalelf wie kein Zweiter. Führungsspieler wie Joshua Kimmich oder der gerade von Flick ausgebootete Leon Goretzka betrauerten sein Aus in München öffentlich. Sie könnten sich für ihn ab Oktober besonders reinwerfen. Sein Verhältnis zum langjährigen Kapitän Manuel Neuer dagegen gilt als angespannt, das zu Jungstar Jamal Musiala nicht als störungsfrei.
Auch RB Leipzigs Stürmer Timo Werner, zuletzt formschwach und von Flick nicht berücksichtigt, spielte unter Nagelsmann überzeugend. Pikant: Die Personalie Nagelsmann wird nicht ohne die Zustimmung von DFB-Vize Hans-Joachim Watzke entschieden. Dem wurde zuletzt trotz gegenteiliger Beteuerungen nachgesagt, er würde den Coach gerne bei seiner Borussia in Dortmund sehen. Notfalls auch auf dem Longboard.