Josko Gvardiol Exklusiv „Wenn mich jemand wütend macht, ist das nicht gut”
Viel perfekter hätte Josko Gvardiols 20. Geburtstag am vergangenen Sonntag nicht verlaufen können. Erst erzielte der vollbärtige Abwehrhüne von RB Leipzig in der Manier eines Stürmers das 2:0 gegen den VfL Wolfsburg; nach dem Sieg warteten einige Leipziger Fans vor dem Stadion und überreichten ihm Blumen und einen Kuchen. Neben den drei Punkten und dem Treffer sein schönstes Geburtstags-Geschenk, wie er RBlive-Reporter Ullrich Kroemer im Gespräch erzählt.
Kein Zweifel, der junge Kroate zeigt so viel Engagement und Selbstbewusstsein, Körperlichkeit und Kampfgeist, aber auch Offensivdrang und spielerische Intuition, dass er bei RB in kürzester Zeit nicht nur zum Stammspieler, sondern auch zum Publikumsliebling avancierte und inzwischen eines der größten Verteidigertalente Europas ist. Im Interview spricht er angenehm offen über seine Kindheit und Jugend als Sohn eines Fischers in Zagreb, seine spezielle Ausbildung bei Dinamo und sein Schlüsselerlebnis auf dem Weg zum Profi.
Josko, nachträglich noch herzlichen Glückwunsch zum 20. Geburtstag!
Josko Gvardiol: Danke, es war das erste Mal für mich, dass mein Geburtstag auf einen Spieltag fiel. Ich fand es gut, weil ich den gesamten Tag mit meiner zweiten Familie – mit meinem Team – verbracht habe. Wir haben alle zusammen die drei Punkte gefeiert, das war cool. Dazu war auch mein Vater hier in Leipzig.
Neben Ihrem Tor und den drei Punkten: Was war Ihr schönstes Geschenk?
Eigentlich die drei Punkte. Aber nach dem Spiel haben ein paar Fans vor dem Stadion gewartet, die mir Blumen und einen selbstgebackenen Kuchen schenkten. Darüber habe ich mich sehr gefreut.
Um ehrlich zu sein: Sie sehen gar nicht aus wie 20 und wirken auch nicht so.
Das höre ich oft. Aber keine Sorge: Ich bin immer noch ein junger Kerl, der manchmal auch Flausen im Kopf hat (lacht).
Das war der Moment, in dem ich mich im Kopf umstellen musste.
Josko Gvardiol
Woher rührt Ihre Reife?
Lassen Sie mich eine Geschichte erzählen: Als ich bei Dinamo Zagreb war, kam ich mit gerade 17 Jahren aus der Jugend in die zweite Mannschaft. Das war der Moment, in dem ich mich vor allem im Kopf umstellen musste. Ich spielte nicht länger mit und gegen Gleichaltrige, sondern musste mich vom einen auf den anderen Tag anpassen. Das war sicher sehr früh, aber ich will es auch nicht rückgängig machen.
War das der Schlüssel für Ihre schnelle Entwicklung?
Ja, wir spielten zum Beispiel gleich bei einem Turnier in England gegen Bayern München, Southampton und Tottenham. Das sind große Namen und Klubs, und wir erreichten das Finale gegen Bayern.
Was veränderte sich in Ihrem Kopf?
Wenn du jung bist, bist du nicht immer diszipliniert. Du willst Spaß haben, Fußball mit deinen Mitspielern genießen und am besten immer 5:0, 6:0 gewinnen. Als ich zum B-Team kam, war ich plötzlich der Jüngste. Das war wirklich komisch und ungewohnt, als ich zum ersten Mal in die Kabine kam – jeder schaute mich an.
Wie verschafften Sie sich Respekt?
Ich saß zunächst auf der Bank. Doch bei dem angesprochenen Turnier bekam unser zentraler Abwehrspieler eine Rote Karte, sodass ich plötzlich im Halbfinale gegen Southampton und im Endspiel gegen Bayern spielte. Natürlich war mir mit 17 ein wenig bange beim Aufwärmen und in den ersten Minuten, aber danach fühlte es sich ganz normal an, wie in der U15.
War das auch der Moment, in dem Sie begriffen, dass Sie es als Fußballprofi schaffen können?
Mein einziges Ziel in diesem Moment war, es in die erste Mannschaft von Dinamo Zagreb zu schaffen und in der 1. Liga zu debütieren. Das habe ich nur wenige Monate später geschafft, da war ich noch immer 17.
In den Ferien half Josko Gvardiol seinem Vater, dem Fischer
Lassen Sie uns ein wenig über Ihre Kindheit und Jugend in Zagreb sprechen. Wo und wie sind Sie aufgewachsen?
Ich war in dem Stadtviertel Srednjaci zu Hause. Wir wohnten in einem Hochhaus, was 23 Etagen hatte. Es gab vier solcher Häuser nebeneinander, die alle gleich aussahen. Unsere Familie wohnte im fünften Stock, immer wenn ein Kumpel zu Besuch kam, gingen wir auf den Balkon und schauten nach unten. Die anderen waren beeindruckt von der Höhe, aber für mich war das normal.
Spielte der Balkan-Krieg in Ihrer Familie eine Rolle?
(atmet tief durch) Ich war damals zum Glück noch nicht geboren. Das ist für alle Menschen auf dem Balkan ein schreckliches Kapitel, das wir hinter uns gelassen haben. Heute haben wir eine neue Zeit, ich hoffe, so etwas passiert nie wieder. Ich persönlich versuche, mit jedem Menschen – egal aus welchem Land – ein gutes Verhältnis aufzubauen.
Ihr Vater arbeitete als Fischer, heißt es, dabei liegt Zagreb doch gar nicht am Meer?
Stimmt, er brauchte drei Stunden bis zum Meer, fuhr dann um ein Uhr in der Nacht mit seinen Kollegen hinaus, um den Fisch zu fangen. Dann kam er nach fünf Stunden zurück an Land, fuhr zurück nach Zagreb und verkaufte den frischen Fisch auf dem Markt. Das machte er jeden Tag. Das war nicht leicht für ihn. Später wechselte er den Job, konnte so aber in Zagreb bleiben und arbeitete nur noch als Fischverkäufer.
Sie haben mal gesagt: „Wenn ich kein Fußballprofi wäre, wäre ich sicher ein Fischer wie mein Vater.”
Naja, der Job ist richtig hart. Auch als Fischverkäufer hat er den halben Tag in einem Kühlraum gearbeitet. Aber wenn ich als Jugendspieler in der Saisonvorbereitung Zeit hatte, habe ich meinen Vater auf Arbeit besucht und wir haben Zeit zusammen verbracht. Ich bin nicht sicher, ob ich das wirklich hätte machen wollen, aber ich bin ihm damals zur Hand gegangen und habe ihn unterstützt. Aber hey, jetzt bin ich hier (lacht).
Was haben Ihnen Ihre Eltern für Ihr Leben mitgegeben?
Bescheiden zu bleiben und an mich selbst zu glauben. Das ist das Wichtigste.
Mit mentalem Training habe ich mich nie befasst.
Josko Gvardiol
Woher kommt Ihr unerschütterliches Selbstvertrauen?
Ich habe auch schon darüber nachgedacht, aber ich weiß es nicht. Ich bin einfach so. Ich habe mich bisher nie mit mentalem Training befasst. Natürlich beschäftigen mich auch Dinge – auch auf dem Platz. Wenn mich zum Beispiel jemand wütend macht, ist das nicht gut – weder für unser Team, noch für das gegnerische (lacht).
Kommen Sie aus einer Fußballerfamilie?
Mein Vater spielte bei NK Zadar, er hätte nach Bosnien wechseln können, aber meine Großeltern ließen ihn damals nicht gehen. Also blieb er. Meine jüngere Schwester spielt Handball in der 2. kroatischen Liga, die ältere war Volleyballerin.
Haben Sie Ihre außergewöhnliche Physis eigentlich von Ihrem Vater?
Ganz sicher nicht, er ist höchstens 1,70 Meter, vielleicht kleiner, und sehr dünn. Ich weiß es nicht, woher die Gene kommen.
Josko Gvardiol über seine Entwicklung: „Meine Karriere verlief nicht immer geradlinig”
Wie waren Ihre Anfänge als Fußballer?
Mit Sechs fing ich bei dem kleinen Verein NK Tresnjevka an. Nach einem Jahr wechselte ich schon zu Dinamo und blieb da, bis ich nach Leipzig ging. Meine Karriere verlief aber nicht immer geradlinig. In der U18 saß ich auf der Bank, weil mein Trainer etwas ganz Spezielles aus mir machen wollte, da ging es nicht voran. Nach einem Jahr fand dann der U19-Coach, Dalibor Poldrugac, die richtige Position in der Innenverteidigung für mich.
Wo spielten sie vorher?
Erst war ich Linksverteidiger, dann wollten sie mich zu einem Stürmer umschulen, dann war ich Linksaußen, Sechser und schließlich zentraler Abwehrspieler.
Klingt nach einer bewegten Nachwuchskarriere. Was war entscheidend bei Ihrer Ausbildung in Zagreb?
Sie haben viele gute Trainer, die wissen, wie sie die talentierten Spieler anpacken müssen. Der angesprochene Dalibor Poldrugac etwa, früher selbst Profi, ist einer der Gründe, weshalb ich heute hier bin.
Ich war bei RB Leipzig am Anfang ein wenig träge im Kopf
Josko Gvardiol
Als Sie zu RB Leipzig wechselten, hatten Sie kaum Probleme, sich an den herausfordernden Spielstil zu gewöhnen. Anderen Spielern bereitet das oft große Schwierigkeiten.
Die ersten Wochen waren nicht so einfach wie Sie sagen (lacht): In der Saisonvorbereitung hatten wir viele Pressingeinheiten, viele intensive Läufe, es war nicht selbstverständlich, sich daran zu gewöhnen. Auch ich brauchte eine Weile, um zu verstehen, dass das hier zum Job gehört. In Zagreb hatten wir 90 Minuten Ballbesitz, als Verteidiger musste man nicht viel laufen. Ich war am Anfang ein wenig träge im Kopf, das war das größte Problem. Aber auch hier habe ich mich wieder recht schnell angepasst und darauf eingestellt.
Junge Spieler haben oft Probleme, wenn das Team instabil spielt. Sie dagegen gehörten auch in der schwachen Hinrunde zu den großen Überraschungen.
Darüber habe ich auch mit meinem Vater gesprochen und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es eher leichter hier für mich als zuvor war, weil meine Mitspieler in Leipzig so gut sind. Das hat es mir einfach gemacht.
Gvardiol über Bayern München gegen RB Leipzig: „Wir wollen drei Punkte, egal wie!”
Kannten Sie Domenico Tedesco eigentlich, bevor er Ihr zweiter Trainer bei RB wurde, und was will er von Ihnen sehen?
Ja, sein Name und seine Vergangenheit waren mir ein Begriff. Aber ich wusste nicht, welche Philosophie er umsetzen will. Jeder weiß, dass Gegenpressing die DNA des Vereins ist. Aber manchmal gibt es auch Phasen, da ist es besser, selbst den Ball zu haben. Das versuchen wir jetzt, öfter umzusetzen, beides zu kombinieren. Das ist ein Prozess, es war noch nicht genug Trainingszeit, daran bis ins kleinste Detail zu arbeiten.
Was haben Sie sich persönlich vorgenommen?
Deutsch zu sprechen, verstehen tue ich schon einiges. Ich bin mir sicher, dass ich die Sprache in ein paar Monaten gut beherrsche, besser als Dani Olmo (lacht).
Im nächsten Spiel geht es gegen Bayern München. Aufgeregt, gegen Robert Lewandowski zu spielen?
Es ist besonders motivierend, gegen einen Stürmer wie ihn zu spielen. Aber in der Bundesliga gibt es so viele große Spieler, ich mache mir da keinen Kopf. Wir wollen drei Punkte, egal wie!