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Neues Prognosemodell für die Bundesliga Nur 20 Prozent Erfolgs-Wahrscheinlichkeit: Weshalb RB Leipzig die Champions League verpassen könnte

Von Interview: Ullrich Kroemer Aktualisiert: 26.01.2022, 15:44

Die Leipziger Management-Hochschule HHL untersucht seit 2017 die Managementkompetenzen der Bundesligisten. In der vergangenen Woche hat ein Team um Professor Henning Zülch ein neues Prognosemodell für die Fußball-Bundesliga vorgestellt. Laut dem Modell, das bereits vor der Saison entworfen wurde, beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass RB Leipzig die Champions League verpasst, knapp 80 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit für einen Europa-League-Platz hingegen beträgt über 47 Prozent. Im Interview mit RBlive-Reporter Ullrich Kroemer erklärt Zülch, was RB Leipzig fehlt.

Herr Prof. Zülch, laut Ihrem Prognosemodell für die Fußball-Bundesliga verpasst RB Leipzig mit knapp 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit die Champions League. Warum?
Prof. Henning Zülch: RB Leipzig hat im Vergleich zu anderen erfolgreichen Klubs ein langfristiges Erfolgsrisiko: die Nachwuchsarbeit, wir nennen das in unserem Modell player development. Das ist die Achillesferse bei RB Leipzig.

Inwiefern?
Das betrifft die Ausbildung von Talenten im Verein und wie sie an die erste Mannschaft herangeführt werden, aber auch die Auswahl und Entwicklung von zugekauften Nachwuchsspielern, die den Durchbruch schaffen sollen. Das funktioniert bei den etablierten Champions-League-Vertretern besser. Wenn RB dieses wesentliche Defizit mittel- und langfristig abstellt, ist der Klub in der Planbarkeit der Champions League einen ganz wichtigen Schritt nach vorn gekommen.

Die Wahrscheinlichkeiten der Bundesligisten für das Erreichen von Champions League, Euro League, Mittelfeld, Relefation und Abstieg. 
Die Wahrscheinlichkeiten der Bundesligisten für das Erreichen von Champions League, Euro League, Mittelfeld, Relefation und Abstieg. 

Zülch: „Nachwuchsleistungzentrum von RB Leipzig kann nicht mit Bayern und Dortmund konkurrieren”

Ist es denn für das Erreichen der Champions League tatsächlich ausschlaggebend, ob ein oder zwei Nachwuchsspieler wie Hugo Novoa derzeit bei RB aus dem eigenen Stall im Team stehen?
Auf Basis der Daten der vergangenen Jahre ist das der kritische Punkt, der den Klub von anderen unterscheidet. Sicherlich gibt es noch andere Elemente, die bei der Weiterentwicklung beachtet werden müssen, aber die sind laut unserem Modell bei RB weniger erheblich. Fakt ist: Das Nachwuchsleistungszentrum von RB kann aktuell nicht mit denen von Borussia Dortmund und Bayern München konkurrieren. Dabei geht es um nachwachsende sportliche Qualität ebenso wie um die Möglichkeit, hohe Transfereinnahmen zu erzielen.

Können Sie mithilfe des Modells auch zu anderen strategischen Entscheidungen Aussagen treffen? Die Klubführung stand in der Kritik, etwa weil es Unruhe auf der Trainerposition gab und (zu) viele tragende Spieler abgegeben wurden.
Das betrifft unsere Dimension player/coach characteristics. Da spielt auch die Verweildauer der Trainer eine Rolle. Momentan ist das im Vergleich zu den Konkurrenten noch kein entscheidender Faktor, er kann aber zu einem werden, falls RB da in einen Schlingerkurs geraten sollte und keine Konstanz auf der Trainerbank herstellt.

Welche Rolle spielt es, dass RB gerade keinen Sportdirektor hat?
Das kann unser Modell frühestens zur nächsten Saison abbilden, weil der ja erst seit dem Sommer fehlt. Die Frage ist aber generell: Welche Funktionen und Befugnisse hat ein Sportdirektor? Die Position muss organisatorisch geklärt sein. Immens wichtig ist die Vertragsgestaltung. Toptalente müssen auch vertraglich top an den Klub gebunden werden, damit dieser immer am Weiterverkauf partizipieren kann. Das ist Schalke 04 zum Beispiel auf die Füße gefallen. Also: Die Lücke zwischen Nachwuchs und Profiteam zu schließen sowie das Vertragsmanagement – etwa hinsichtlich der Länge der Verträge – sind ganz wesentliche Punkte als Umsatztreiber und stabilisierende Maßnahme einer langfristigen Umsatzgenerierung.

„Entscheidende Phase für RB Leipzig, wie nachhaltig der Erfolg ist”

RB hat bis auf eine Ausnahme in den vergangenen Jahren immer die Champions League erreicht. Ist das dann bisher immer gegen jede Wahrscheinlichkeit Ihres Modells geschehen?
Unser System ist lernend, das heißt, je länger wir die Daten erheben und RB in der Bundesliga spielt, desto genauer wird es und desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, kritische Erfolgsfaktoren zu identifizieren. In der Vergangenheit hat RB von einer außergewöhnlichen Passung zwischen Trainern, Spielern und Spielsystem profitiert – verstärkt durch die Euphorie der ersten Bundesligajahre. Jetzt ist der Klub aber in der entscheidenden Phase zu zeigen, wie nachhaltig dieser Erfolg ist. Jede Entscheidung, die im sportlichen Bereich getroffen wird, kann immense Auswirkungen haben, weil Rasenballsport eben nicht mehr das Überraschungsteam mit der Aufstiegsgeschichte ist.

Wie zufrieden sind Sie mit der Trefferquote des Modells? Frankfurt taucht als klarer Champions-League-Aspirant auf (33,6%), die Überraschungsklubs Union (7,5%) und Freiburg (11,6%) hingegen kaum.
Wir haben ja erst den 20. Spieltag, aktuell ist das Feld so eng – das können wir erst zum Ende der Saison beurteilen. Aber wir haben zumindest aktuell – gerade wenn man das Beispiel RB sieht – viele Treffer, was die Europapokalplatzierungen angeht.

Für den Laien erklärt: Wie ist dieses Prognosemodell entstanden?
Wir erheben seit 2017 den FoMa-Q-Score, in dem wir die Managementkompetenzen der Bundesligisten anhand verschiedener Kriterien bewerten, die die Klubs ausmachen. Das haben wir mit den historischen Tabellenplatzierungen korrelieren lassen. So konnten wir identifizieren, welchen Beitrag die einzelnen Unterdimensionen für die Wahrscheinlichkeit leisten, die Champions League zu erreichen, im Mittelfeld zu landen oder abzusteigen.

Tedesco-Effekt hilft nur kurzfristig

Unter dem neuen Trainer Domenico Tedesco hat RB zum Rückrundenstart neue Impulse bekommen und einen Lauf, den man mit Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht vorhersagen kann. Bleibt es Ihrer persönlichen Meinung nach dabei, dass RB die Champions League wahrscheinlich nicht erreicht?
Ich glaube trotz unserer Daten, dass RB die „Königsklasse” in dieser Saison erreichen wird, weil die Abstände zwischen den Teams sowohl in der Tabelle als auch in unserem Modell sehr gering sind. Kurzfristig wird der Tedesco-Effekt helfen.

Aber?
Wenn RB langfristig oben mitspielen und zweite oder dritte Kraft im deutschen Fußball werden will, muss der Klub die Nachwuchsarbeit zu einem der absoluten Aushängeschilder machen. Die entscheidende Frage ist, wie nachhaltig der 2020 propagierte Fünf-Punkte-Plan im Nachwuchs ist und wie konsequent er umgesetzt wird. Wenn das priorisiert wird, glaube ich, dass RB Leipzig dauerhaft einer der führenden Fußballklubs in Deutschland aber auch Europa sein und vielleicht auch mal ganz oben angreifen kann.