Berns Stürmerlegende Chapuisat „Wunderschön, als Schweizer in der Königsklasse zu spielen”
Stéphane Chapuisat gehört zu den erfolgreichsten Stürmern der Bundesliga-Historie. Von 1991 bis 1999 schoss er für den BVB 123 Tore in 284 Spielen, wurde Champions-League- und Weltpokalsieger. Von 2002 bis 2005 spielte er bei den Young Boys Bern und traf auch im reiferen Angreiferalter noch 58 mal. Seit 2008 arbeitet er für RB Leipzigs Gegner in der Champions League (Di., 18.45 Uhr), aktuell als Chefscout und Stürmertrainer im Nachwuchs. Im Interview mit der Mitteldeutschen Zeitung und RBlive berichtet der stille Ex-Torjäger über Berns lange Leidenszeit, die Seele des 125 Jahre alten Traditionsklubs, die aktuelle Phase unter Trainer Raphael Wicky, seine Dortmunder Jahre und die Atmosphäre im legendären Wankdorf-Stadion.
Stéphane, was bedeuten die Champions-League-Teilnahme und dieses Spiel gegen RB Leipzig für die Young Boys Bern?
Stéphane Chapuisat: Es ist für uns immer ein Highlight, wenn wir uns für diesen Wettbewerb qualifizieren. Es ist wunderschön, wenn man als Schweizer in der „Königsklasse” spielen kann.
Was verbinden Sie mit RB Leipzig? Als Sie in der Bundesliga gespielt haben, war an den Klub noch nicht zu denken.
Ich habe das aus der Ferne beobachtet. Mein Eindruck ist: Der Verein arbeitet sehr professionell, hat beste Voraussetzungen und sportlich sehr interessante Perspektiven.
>>> Weiterlesen: „Nehmen alle Schuharten mit” – Wie sich RB auf den Berner Kunstrasen einstellt
Chapuisat: „Leipzig macht es hervorragend”
Sie haben 1994 gegen den VfB in der Bundesliga gespielt. Haben Sie noch Erinnerungen an Leipzig?
Ich erinnere mich, wir haben damals in dem riesigen Zentralstadion gespielt. Ich habe beim 3:2-Sieg ein Tor geschossen.
In Deutschland polarisiert RB stark, wie betrachtet man das in der Schweiz?
Ich sehe in erster Linie das Sportliche und da macht es Leipzig hervorragend. Das ist eine Mannschaft, die probiert, sich ganz vorn in der Bundesliga zu etablieren. Das gelingt auch gut. Dieser Verein ist sportlich hervorragend aufgestellt.
Bei den Young Boys ist der Erfolg in den vergangenen Jahren mit fünf Meistertiteln seit 2018 zurückgekehrt. Was zeichnet die aktuelle Phase aus?
Wir haben sehr lange auf einen Titel warten müssen. Die letzte Meisterschaft lag 32 Jahre zurück, der letzte Pokalsieg 31 Jahre, ehe wir 2018 wieder erfolgreich waren. Aber das Schwierigste im Fußball ist, das auch zu bestätigen. Das haben wir geschafft. Doch wir wissen: Wir müssen immer dranbleiben, um uns weiter zu etablieren. Da zählt nur gute Arbeit.
Was machen die Mannschaft und Trainer Raphael Wicky aktuell aus?
Wir hatten eine schwierige Saison 21/22, als wir Dritter wurden. Dann ist Raphael Wicky gekommen und hat die Mannschaft wieder stabilisiert. Die Art von YB ist es, dominant zu spielen und mutig die Offensive zu suchen.
Lösungen mit weniger Dominanz
Wie wird Bern in der Champions League spielen?
Die Champions League ist ein anderes Niveau für uns. Da werden wir nicht mehr so dominant sein können. Es wird interessant für die Mannschaft, Erfahrungen zu sammeln und Lösungen zu finden, wie man das Spiel mit weniger Dominanz gestalten muss.
Wie gut ist das Team aktuell in Form?
Der Fokus lag voll auf den beiden Play-off-Spielen gegen Maccabi Haifa (0:0, 3:0, Anm.d.Red.), um in die Champions League einzuziehen. Es war für uns sehr wichtig, dass wir in diesen beiden Spielen topfit waren. Da haben wir zweimal sehr gut geschafft. Die kleinen Fußballnationen haben ja oft die wichtigsten Spiele gleich zu Beginn der Saison. Das macht die Vorbereitung speziell. In der Liga sind wir nicht optimal gestartet, haben uns aber zuletzt gesteigert.
>>> Weiterlesen: So schlug sich Bern vor dem Duell gegen RB
Es gab in den vergangenen Jahren tolle internationale Spiele im Wankdorf-Stadion. Was ist für die Young Boys diesmal möglich?
Diese Gruppe hat sicher zwei Topfavoriten auf die ersten beiden Plätze: Manchester City und Leipzig. Wir sind mit Roter Stern Belgrad auf ähnlichem Niveau. In so einer Gruppe müssen wir realistisch betrachtet versuchen, Dritter zu werden. Aber ein Spiel nach dem anderen: Zuerst freuen wir uns auf das Match gegen Leipzig.
„Atmosphäre am Dienstag wird mitreißend sein”
Sie sind schon lange in Bern dabei. Was zeichnet diesen 125 Jahre alten Verein aus?
Wir haben viele kompetente Mitarbeiter, die schon lange im Verein sind. Das spricht für die Young Boys. Wir können hier stabil und in Ruhe gut arbeiten – auch finanziell sind wir solide aufgestellt. Es ist immens wichtig, dass man diese Ruhe im Verein und in der Öffentlichkeit hat, aber natürlich muss man intern auch immer neue Reizpunkte setzen.
Bern gilt als der Klub mit den meisten und besten Fans in der Schweiz. Sind die Young Boys der BVB der Schweiz?
Das ist ein schwieriger Vergleich. Aber wir haben viele und gute Fans, die lange leiden mussten und uns dennoch die Treue gehalten haben. Es ist schön, wenn man ein so begeisterungsfähiges Publikum hat.
Wie ist die Atmosphäre im neu erbauten Wankdorf-Stadion?
Es steht wie in Leipzig auch am gleichen Ort wie das alte Stadion. Natürlich ist alles moderner, es ist einfach ein wunderschönes Fußballstadion. Die Atmosphäre am Dienstag wird mitreißend sein.
Weshalb spielt Bern eigentlich auf Kunstrasen?
Wir haben keine guten Trainingsmöglichkeiten, probieren aktuell ein zusätzliches Gelände zu bekommen. Wir haben zu wenig Trainingsplätze für alle Mannschaften. Dank des Kunstrasens können drei Mannschaften regelmäßig im Stadion trainieren. Hier in der Schweiz wird viel auf Kunstrasen gespielt, weil überall Plätze fehlen. Dazu ist der Winter ab Dezember bis März härter, sodass die meisten Rasenplätze gesperrt sind. Die jungen Spieler hier wachsen mit Kunstrasen auf.
„Aktuelle Spieler haben sich mit Titeln selbst zu Legenden gemacht”
Sie stammen ursprünglich aus Lausanne. Weshalb sind Sie eigentlich 2002 nach Bern gewechselt – wegen der schwarz-gelben Farben?
Das passte damals einfach, es war fast der letzte Schritt in meiner Karriere. Und der Verein und ich passen auch heute noch gut zusammen. Nach meiner aktiven Karriere arbeite ich ja seit 2008 wieder hier – das war eine gute Entscheidung. Ich bin hier heimisch geworden, wohne seit 20 Jahren 20 Minuten von Bern entfernt, wo wir ein Haus gebaut haben.
Sie sind zum besten Young-Boys-Spieler der Geschichte gewählt worden. Was bedeutet Ihnen das?
Es ist schön, wenn man diese Anerkennung für eine ganze Karriere bekommt. Aber wichtiger ist, dass sich die aktuellen Spieler mit Titeln selbst zu Legenden gemacht haben.
Wie gut ist die Verbindung zum BVB noch?
Ich bin in meinem Job selbst viel unterwegs, schaffe es leider selten, die Spiele von Dortmund vor Ort zu schauen. Vergangenes Jahr waren wir mit den Young Boys mal ein Jahr nicht international dabei, da war ich mal wieder bei einem Spiel im Stadion – gegen Man City. Da kamen natürlich viele schöne Erinnerungen hoch.
„Hoffe, dass Dortmund mal wieder ganz vorn in der Meisterschaft mitspielen kann”
Sie haben für Dortmund über 100 Tore geschossen, wurden Champions-League- und Weltpokalsieger, zweimal Deutscher Meister. Was bedeuten Ihnen die Dortmunder Jahre?
Die schönste Zeit als Fußballer habe ich in Dortmund erlebt. Das sind unvergessliche Momente. Ich hoffe, dass Dortmund mal wieder ganz vorn in der Meisterschaft mitspielen kann – auch wenn der Start vielleicht nicht optimal war.
Sie arbeiten auch als Stürmertrainer der U15 und U16. Was können Sie jungen Stürmern mitgeben?
Technisch-Taktisches, Laufwege, Abschluss. Wir arbeiten daran, dass die Stürmer vor dem Tor Sicherheit bekommen. Es macht mir großen Spaß, mit den Jungs zu arbeiten und etwas weiterzugeben.
Welche Pläne haben Sie persönlich für die Zukunft?
Ich habe nach meiner Laufbahn meinen Weg im Scouting gemacht. Diese Arbeit macht mich sehr glücklich. Es ist für mich kein Thema, an etwas anderes zu denken. Für mich ist das Wichtigste, aufzustehen und mit Freude zur Arbeit zu gehen.