Mentalleader Willi Orban im Interview „Ich bin wie ein Trüffelschwein”
Für Marco Rose ist er unersetzbar: „Wir haben auf vielen Positionen verschiedenen Konstellationen gesehen in dieser Saison, aber eine fixe Größe gibt es immer in unserem Spiel: das ist Willi Orban”, sagte der RB-Trainer über seinen Abwehrchef. Nach Hähnchenleber mit Zwiebeln zum Mittagessen nahm sich der Kapitän am Himmelfahrtstag Zeit für ein Gespräch mit MZ/RBlive über Mentalitätstore, das Spiel gegen den FC Bayern (Sa., 18.30 Uhr), seine durchaus kritische Saisonanalyse und das bevorstehende Pokalfinale.
Willi, Sie halten in dieser Saison nicht nur den Laden in der Abwehr zusammen, sondern schießen wie am Sonntag gegen Bremen auch ganz wichtige Tore in den Schlussminuten. Woher kommt dieser zusätzliche Mentalitätsschub bei Ihnen?
Willi Orban: Das habe ich mich auch schonmal gefragt. Das fing letztes Jahr an, als ich am 34. Spieltag das 1:1 gegen Bielefeld zur Champions-League-Qualifikation erzielt habe. Ich versuche einfach, mich als Spieler weiterzuentwickeln. Und natürlich bin ich auf die Flanken meiner Kollegen angewiesen. Jetzt war es ein super Ball von Christo Nkunku. Ich bin wie ein Trüffelschwein, habe den Stürmerinstinkt in mir, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin. (lacht)
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Was hatten Sie eigentlich da vorn zu suchen?
In der 87. Minute geht man schonmal ein bisschen mehr Risiko. Kevko (Kevin Kampl, Anm.d.Red.) hat sich im Aufbau zwischen mich und Josko Gvardiol fallen lassen. Wir haben verinnerlicht, dass man sich als ballferner Halbverteidiger schon mal mit nach vorn einschalten kann. Also bin ich mit in die Box gegangen. Das ist dann fast nicht zu verteidigen, weil wir dann eine Vier-gegen-Drei-Situation am zweiten Pfosten haben. Ich habe den Ball gut getroffen, mit ordentlich Wucht.
Willi Orban über RB-Saison: „Waren nie in der Lage, wirklich ernsthaft oben anzugreifen”
Nicht nur in diesen Aktionen zeigt sich, dass Sie der Mentalleader der Mannschaft sind.
Sie kennen mich: Ich habe immer Verantwortung übernommen. Solche Spieler brauchst du in einer Mannschaft. Das war schon immer so, das ist mein Naturell. Jetzt kann ich das auch durch entscheidende Tore noch mehr zeigen.
Das Spiel gegen Bayern München ist doppelt brisant. Mit welcher mentalen Ausgangsposition fahren Sie dahin?
Wir haben gar nicht so sehr im Kopf, dass wir die Meisterschaft entscheiden können. Dortmund muss auch erstmal in Augsburg gewinnen. Unsere erste Priorität ist es, unser Ziel Champions-League-Qualifikation klarzumachen. Wir haben den Fokus auf uns, haben eine gute Ausgangsposition, fahren mit breiter Brust nach München. Und natürlich wissen wir, dass es für Bayern um viel geht. Aber ich habe von keinem im Team gehört, dass er Dortmund den Titel mehr gönnt als Bayern oder andersherum.
Sie hätten lieber selbst in München um die Schale gespielt?
Wir waren unter‘m Strich in dieser Saison in einigen Bereichen nicht gut und konstant genug, hatten leider einige Leistungsträger verletzungsbedingt nicht immer zur Verfügung. Das ist Fakt. Wir müssen bis zum letzten Spieltag um die Champions League kämpfen. Es sind zwar nur sieben, acht Punkte auf Dortmund und Bayern. Aber wir waren nie in der Lage, wirklich ernsthaft oben anzugreifen. Wir wollten da sein, wenn die Bayern mal nicht so performen. Das haben wir nicht geschafft und daran müssen wir arbeiten. Jeder hier bei RB hofft natürlich, dass wir mal ganz oben angreifen können. Deswegen arbeiten wir jeden Tag an uns.
„Das eine Jahr erwischen, wo wir wirklich oben dran sind”
Wurmt es Sie, dass RB nicht zur Stelle war und nicht um die Meisterschaft mitspielen?
Schon, es liegt ja in unserer Verantwortung. Man träumt vor einer Saison immer, dass am Ende das Optimale herausspringt. Aber es ist jetzt kein verlorenes Jahr. Wir können noch einen Titel gewinnen und aus diesem Jahr nehmen wir Fragen mit: Was können wir besser machen, was verändern? Wir müssen auch mitnehmen, was wir gut gemacht haben, um das eine Jahr zu erwischen, wo wir oben wirklich dran sind.
Das klingt dennoch danach, als hätten Sie einen anderen Anspruch an die Saison gehabt.
Viele sagen jetzt wieder, wir seien im Flow. Wir haben mit Ach und Krach zu Hause gegen Bremen gewonnen, auch wenn es verdient war. Den Flow müssen wir uns immer hart erarbeiten.
Woran liegt das. Gibt es auch Verletzungen, die nicht hätten sein müssen?
Eine Verletzung ist nicht immer nur Zufall, sage ich. Es ist auch die Frage: Was machst du präventiv? Man kann Strukturen stärken. Wir Spieler haben da Potenzial, um uns zu hinterfragen. Wir hatten aber auch Pech durch viele Kontaktverletzungen mit fünf Syndesmoseband-Rissen.
Dass es nicht für ganz oben gereicht hat, ist also ein Formproblem der einzelnen Spieler durch die vielen Verletzungen?
Es muss alles passen. Aber was den Plan angeht, waren wir in den meisten Spielen gut vorbereitet. Dann stellen sich die Teams auf einen ein und man muss sich etwas Neues einfallen lassen. Man sieht es ja, Dortmund, Bayern, die haben auch ihre Probleme gegen andere Mannschaften. Es ist nicht mehr so einfach, zu gewinnen.
Ist das Niveau in der Breite besser geworden, durch Trainer, Spieler, Ausbildung, strategisches und taktisches Level?
Ja, auf jeden Fall. Bei allen Klubs wird sehr gut gearbeitet, in allen Bereichen.
„Beweisen, dass wir einen Topgegner auch auswärts schlagen können”
Gerade hat es den Anschein, dass am Saisonende mehr als nur die üblichen zwei Topspieler den Verein verlassen oder verlassen wollen. Wie nehmen Sie das wahr, Sie sind immerhin seit acht Jahren im Verein?
Ich sehe das nicht so dramatisch. Ich denke, es werden uns weniger Spieler verlassen, als es gerade den Anschein hat. Aber was ich in den letzten Jahren gemerkt und gelernt habe, ist, dass es wichtig ist, Spieler zu haben, die nicht nur Verantwortung für ihren Vertrag übernehmen oder ihre Karriere, sondern für das Team und den Erfolg des Klubs. Das ist immer ein Vorteil.
Punkt, Punkt, Punkt …
Wenn wir Dominik Szoboszlai nehmen: Der übernimmt Verantwortung, der marschiert 90 Minuten gegen den Ball, der arbeitet fürs Team. Es geht nicht darum, dass man so lange bei RB sein muss, wie vielleicht wir Aufstiegsspieler. Sondern dass man Verantwortung übernimmt über die eigenen Interessen hinaus. Alles andere kommt dann automatisch.
Ein Spiel bei den Bayern, Samstagabend 18.30 Uhr, ganz Deutschland schaut zu. Geht es aufregender?
In dem Spiel steckt schon ein bisschen was drin. Ich bin in erster Linie froh, dass wir das Spiel gegen Bremen gedreht haben, das war unglaublich wichtig, weil wir jetzt ohne Riesendruck in die Bayern-Partie gehen können. Ich bin gerade weitgehend entspannt und wenn es Richtung Spiel geht, dann wird die Anspannung schon kommen. Wir haben noch nie in München gewonnen, das ist ein Thema, das mich zum Beispiel anspornt. Der Ausgang der Meisterschaft steht bei uns nicht im Vordergrund.
Das kann man sich nur schwer vorstellen.
Mir ist egal, wer Meister wird. Ich würde uns gern beweisen, dass wir einen Topgegner auch auswärts schlagen können.
Sie sind in München mal vom Platz geflogen, mit Rot in der 10. Minute.
Das ist lange her, 2017, glaube ich. Es war meine einzige Rote Karte.
Also ist es doch speziell, wenn man nach München fährt?
In der Bundesliga sind das die Highlight-Spiele. Aber die Champions League ist nochmal eine andere Bühne, finde ich.
Sie haben vergangenen Sommer vor dem Start der Saison in einem Interview mit uns über das Selbstverständnis gesprochen, wie es die Bayern mit ihrem „Mia san mia“ haben. Wie fällt knapp zehn Monate später Ihr Fazit aus?
So etwas entwickelt man über viele, viele Jahre. Das müssen auch die Erfolge untermauern. Wir haben jetzt den ersten Titel gewonnen, das ist unser Grundstein. Wir können jetzt nachlegen und wenn du in den nächsten Jahren noch was Großes dazu holst, dann kann sich so ein Selbstverständnis entwickeln, dass man ein großer Verein ist und die Gegner Respekt allein deswegen vor einem haben, wenn es darauf ankommt.
Ein möglicher zweiter Pokalsieg, wäre der nochmal so groß in Ihrer Wahrnehmung wie der erste?
Es ist schon etwas Besonders, es haben noch nicht viele Teams den Pokal verteidigt. Es ragt heraus, dass wir im fünften Jahr zum vierten Mal im Finale stehen. Irgendwie liegt uns der Wettbewerb. Es wäre schon ein Ausrufezeichen, wenn wir ihn nochmal gewinnen. Gerade gegen so einen Gegner wie Frankfurt.
„Frankfurt war mein Lieblingsgegner fürs Finale”
Für Duelle mit der Eintracht braucht es Mumm, das liegt Ihnen, oder?
Auf jeden Fall. Frankfurt war mein Lieblingsgegner fürs Finale, perfekt für ein Endspiel. Es muss kribbeln und von außen muss Energie kommen. Das sind die Spiele, die du spielen willst.
Es könnte zur Invasion der Eintracht-Fans kommen und sie ein Auswärtsspiel bekommen.
Man weiß ja, dass die versuchen werden, an jedes verfügbare Ticket zu kommen. Kennt man ja, und ist ja auch cool. Das macht so eine Partie aus, und wenn du sie gewinnst, ist das dann doppelt so wertvoll, weil du so viele gegen dich hattest. Aber auch unsere Fans sind in Berlin immer in Massen da und machen richtig viel Stimmung. Darauf freue ich mich einfach.
Gegen jeden Widerstand, das ist Ihr Ding?
Das ist mein Ding. Ich habe neulich in einem Buch über RB („Elf Helden”, Anm.d.Red.) gelesen: „Willi liebt Widerstände“. Genau das trifft es!
Wird man Sie in München in der 87. Minute wieder vor dem gegnerischen Tor sehen?
Man wird sehen, hoffentlich ist es nicht nötig. Wenn es unentschieden steht, bleibe ich diesmal lieber hinten. Dann nehmen wir den Punkt mit.