RB Leipzig"Trainer für einen ehrgeizigen Verein": Ralf Rangnick über seine Philosophie und den deutschen Nachwuchs
Ralf Rangnick ist seit seinem endgültigen Ausscheiden aus der Fußballsparte des Red-Bull-Universums im Sommer ohne Verein. Im Interview mit der spanischen Tageszeitung El Pais sprach er ausführlich über seine Ambitionen und seine Philosophie als Trainer und bemängelt eine Schwäche an der Ausbildung von Talenten in Deutschland.
Während seiner acht Jahre, die er bei Red Bull Salzburg und RB Leipzig Aufbauarbeit leistete, prägte er mit dem Ansatz, junge und hungrige Spieler passend für seine Fußballphilosophie des hohen Pressings zu verpflichten, eine Ära. Dass die Toptalente zunehmend nicht aus Deutschland kommen, spiegelt sich auch in Leipzig wieder. Das Nachwuchsleistungszentrum stand bei RB immer wieder in der Kritik, Julian Nagelsmann rüffelte zuletzt die Einstellung mancher junger Spieler.
Nachwuchs in Deutschland schwächelt
Ralf Rangnick sieht darin einen größeren Trend. "Die Anzahl der hochtalentierten Spieler, die wir in den 60er, 70er, 80er und sogar 90er Jahren hatten, war viel größer als jetzt", so der 62-Jährige. Bei seinem Scouting für RB habe er deutlich gemerkt, dass die Anzahl der wirklich begabten Kicker aus der U14, U15 und U16 gesunken ist. Das führt er darauf zurück, dass Fußball hierzulande kein Alleinstellungsmerkmal als Karriereoption darstellt. "In Deutschland haben wir nicht so viele Kinder, die Fußball als die beste Möglichkeit für eine berufliche Karriere ansehen. Dies bedeutet, dass die Vereine ernsthaft überlegen müssen, wie sie den Straßenfußball ersetzen können", so Rangnick.
Warum deutsche Mannschaften und die Nationalmannschaft dennoch vergleichsweise erfolgreich arbeiten, liege an den Trainer. Denn dort hat sich laut Rangnick viel getan. "Franz Beckenbauer sagte 1995, dass man bei deutschen Spielern keine Raumdeckung mit einer Viererkette spielen kann, weil sie das nicht verstehen würden." Das eigentliche Problem aber sei gewesen, dass es keine Trainer gab, die mutig genug waren, dies umzusetzen. "Bis 2000 waren wir Deutschen berühmt für unsere deutschen Tugenden, aggressiv zu sein und Gras zu fressen, aber nicht für unsere Strategie."
Klopp und Rangnick als Vorreiter für Tuchel und Nagelsmann
Er selbst und Jürgen Klopp, der im Vorjahr mit dem FC Liverpool die Champions League gewann, seien die Wegbereiter gewesen für einen fußballerischen Ansatz, der heute von der zweiten Generation vertreten wird. "Jetzt setzen Löw, Flick, Tuchel, Klopp, Nagelsmann und ich einen Trend. Das ist neu." Dabei betont er, dass dieser Erfolg auch bei großen Vereinen einsetzen kann, und nicht nur dort, wo er wie in Hoffenheim und Leipzig selbst die Basis schaffen konnte. "2008 verließ Klopp Mainz nach Dortmund, einem der größten und traditionellsten Vereine Deutschlands. Und dort hat er gezeigt, dass man genau das kann, was er in Mainz gemacht hat. Und jetzt in Liverpool hat er nicht nur die Messlatte des Clubs höher gelegt, sondern auch zum Aufblühen der Stadt beigetragen", so Rangnick.
Rangnick: Zeitpunkt für Erneuerung des Kaders nicht verpassen
Trotzdem hält er daran fest, dass er bei einem möglichen neuen Engagement umfängliches Vertrauen braucht, damit er mehr sein kann als ein Übungsleiter. "Die Hauptsache ist eine Corporate Identity des Vereins", so der frühere RB-Trainer. Dieser sei jede Personalentscheidung untergeordnet, auf und neben dem Platz. Und das gilt nicht nur für Neuverpflichtungen: "Es ist genauso wichtig, die richtigen Spieler zu verpflichten, wie nicht die falschen zu holen. Und genauso, zum richtigen Zeitpunkt wieder zu verkaufen, um das Team zu regenerieren, selbst wenn es gut lief. Barça ist ein Beispiel: Nachdem sie so lange so erfolgreich waren, verpassten sie die Gelegenheit, ihren Kader zu erneuern."
Zuletzt scheiterten mit dem AC Mailand die Verhandlungen über ein neues Engagement auch an den Machtzugeständnissen, die der Verein nicht machen wollte. Jüngste Gerüchte über Gespräche mit der AS Rom dementiert Rangnick. Aber sagt klar, dass er wieder bereit ist für einen neuen Klub. "Meine Absicht ist es, in einem traditionellen Verein zu arbeiten, entweder in Deutschland oder in England. Ich sehe mich aber auch als Trainer für einen ehrgeizigen Verein, der von Anfang an Titel jagt."