Wie fremd sind sich RB und Union tatsächlich? Von wegen Klassenkampf
Die einzigen beiden in Ostdeutschland ansässigen Bundesliga-Klubs RB Leipzig und 1. FC Union Berlin gelten als Gegenpole im Oberhaus und sind nun erstmals Konkurrenten im Meisterschaftskampf. Obschon das Spitzenspiel zwischen Viertem und Zweitem (18.30 Uhr) bereits das 14. Duell beider Klubs ist, werden die 4586 Unioner im ausverkauften Leipziger Stadion aus Protest gegen den Gegner in der ersten Viertelstunde wieder schweigen. Doch wie fremd sind sich beide Klubs abseits der Fanfolklore eigentlich tatsächlich?
Höchstes Kompliment in Fischers Fußball-Welt
Trainer & Spielweise: Beide Teams haben Coaches, die ideal zu den Mannschaften passen. Der in sich ruhende Schweizer Urs Fischer ist mittlerweile hinter Christian Streich der dienstälteste Trainer der Liga und bereits im fünften Jahr in Köpenick. Er vermittelt seiner Mannschaft stringentes Positionsspiel und Automatismen, die das Team tragen – ganz egal, welche Spieler auflaufen. Nur RB und Bayern lassen weniger Torchancen zu als Union, gleichzeitig benötigt der FCU nur 6,7 Torschüsse für einen Treffer. Effizienz pur, die Fischer in jedem Training predigt. „Unser Gesicht muss auf den Platz, dieses Unermüdliche. Du musst kompakt sein und gut organisiert, dir aber auch im Spiel mit dem Ball etwas zutrauen”, forderte er vor dem brisanten Duell.
An seinen Kollegen Marco Rose richtete er das höchste Kompliment, das es wohl in Fischers Fußball-Welt gibt: „sehr solidarisch mit wie gegen den Ball”, spiele RB unter Rose. Die Spielweise als Ausweis des Teamgefühls eint beide. Ebenso wie bei Union ist das Gegenpressing gerade das Prunkstück der Leipziger. Nach Ballverlusten stressen beide Teams den Gegner maximal, investieren viel, um sich die Kugel sofort wiederzuholen und kontern. „Man sieht über die ganze letzte Phase, dass auch wir sehr unangenehm und eklig für die Gegner sein können, sehr schwierig zu bespielen”, sagte Leipzigs Wühler Xaver Schlager unter der Woche. „Das ist unser Ziel. Ich hoffe, dass Union das am Wochenende zu spüren bekommt.”
Rose über Union-Transfers: „Hohes Maß an Identifikation, Leidenschaft, Physis und Bereitschaft”
Transfers: Natürlich greift RB Leipzig auf dem Transfermarkt in höhere Regale als Union. Und doch eint beide Teams eine stringente Transferpolitik mit hoher Trefferquote. „Sie konzentrieren sich vor allem darauf, Spieler zu holen, die zur Spielidee und zum Verein passen – das macht total Sinn“, lobte Rose. Das bedeute automatisch ein „hohes Maß an Identifikation, Leidenschaft, Physis und Bereitschaft zu arbeiten“.
Das macht RB Leipzig nicht anders, nur dass Leipzigs Spieler eben zu den talentiertesten in ganz Europa zählen und entsprechend kosten, während Unions Manager Oliver Ruhnert und Fischer mehr Fantasie brauchen, in Spielern wie Rani Khedira oder Paul Seguin künftige Leistungsträger zu sehen. In den letzten zwei Transferjahren stieß Union jedoch in neue Sphären vor und leisteten sich Spieler wie Taiwo Awoniyi und aktuell Rechtsverteidiger Josip Juranovic (beide 8,55 Millionen Euro) – auch weil sie viel höhere Transfereinnahmen haben. „Es ist verrückt, welche Vereine unsere Spieler haben wollen, das konnte man sich vorher nicht vorstellen, dass plötzlich Klubs aus der Serie A oder der Premier League Spieler von Union Berlin wollen“, staunt Ruhnert selbst.
RB Leipzig und Union steigern Umsätze beide um 50 Millionen
Finanzen: Union erwirtschaftet durch steigende TV-Gelder und Transfereinnahmen gerade Rekordumsätze und sogar Gewinne. 2021/22 steigerte die Union-Gruppe ihre Einnahmen um knapp 50 Millionen Euro auf über 122 Millionen. RB steigerte den Umsatz um die gleiche Summe und liegt nun mit 370 Millionen auf Rang zwei hierzulande.
Fans & Umfeld: Die „Eisernen“ haben 48.364 Mitglieder und nur 22.000 Plätze im Stadion zur Verfügung. Bis 2025 soll die Alte Försterei auf 37.700 Plätze ausgebaut werden. „Das ist ein Schlüssel des Erfolges der letzten vier Jahre“, betonte Fischer. „Dieses Umfeld kann einem helfen, da zähle ich den ganzen Verein dazu.” RB (22 stimmberechtigte Mitglieder) hat bereits umgebaut und füllt die über 47.000 Plätze bei Topspielen wie gegen Union auch. Das Spiel ist komplett ausverkauft. Klassenkampf eben, auch wenn sich die Kontrahenten in der Arbeitsweise gar nicht so fremd sind.