Balkan-Experte über Hardcore-fans von Roter Stern „Serbischer Nationalismus, orthodoxe Religiosität, organisierte Kriminalität, Militarismus”
Der österreichische Sozialwissenschaftler Dario Brentin von der Uni Graz beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Verbindung zwischen Politik und Fußball auf dem Balkan. Im Interview mit RBlive-Redakteur Ullrich Kroemer analysiert und beschreibt er Ambivalenz und Ideologie der „Delije” – Hardcore-Fans von Roter Stern Belgrad –, berichtet von deren Verbindungen zu serbischen Sicherheitsapparat auf der einen und organisierter Kriminalität auf der anderen Seite und dem Einfluss in den Verein hinein.
Herr Brentin, die Stimmung im Stadion von Roter Stern gilt einerseits als unglaublich euphorisch, andererseits gelten die aktiven Fans auch als nationalistisch und kriminell. Wie ambivalent ist die Fanszene von Roter Stern Belgrad?
Dario Brentin: Da können wir den Konjunktiv weglassen. Die Grundmauern der „Delije”, Hauptgruppe der organisierten Fans von Roter Stern, liegen eindeutig im patriotisch-nationalistischen Spektrum, das nach rechts hin offen und nach links recht geschlossen ist. Man sollte nicht alle „Delije” über einen Kamm scheren und behaupten, das seien 15.000 Faschisten. Aber Grundkonsens sind serbischer Nationalismus und orthodoxe Religiosität, die immer wieder zur Schau gestellt werden.
Wie verträgt sich das mit Werten der Ultrakultur?
Das geht einher mit einer Fetischisierung europäischer Fußballfankultur gegen den modernen Fußball: Pyrotechnik, Fanatismus, enorme Lautstärke im Stadion. Das existiert beides nebeneinander. Ambivalenz ist ein treffendes Wort dafür: Es gibt diese Gleichzeitigkeit zwischen einer tollen Pyro-Show auf der einen Seite, die euphorisiert. Aber zugleich besteht auf der anderen Seite immer die Möglichkeit, dass sich hinter dem roten Schein der Bengalos eine extrem nationalistische Parole versteckt – in Bezug auf den Kosovo oder andere Themen-Schwerpunkte. Man sollte da genau hinschauen, bevor man sich von den ästhetisch sehr ansprechenden Formen von Fußball-Fankultur in den Bann ziehen lässt.
„Symbiotisches bis parasitäres Miteinander von staatlichen Strukturen und organisierten Fans”
Wird diese Fanszene von staatlichen oder anderen Institutionen instrumentalisiert?
Instrumentalisiert nicht. Es gibt eher ein symbiotisches bis parasitäres Miteinander – je nach Perspektive – von staatlichen Strukturen und organisierten Fans. Das ist mittlerweile auch durch juristische Prozesse erwiesen. Beide Seiten können punktuell voneinander profitieren und kooperieren eher, anstatt sich zu konfrontieren.
Wie ist das entstanden?
Das hat historische Gründe und rührt von der Verquickung des serbischen Sicherheitsapparates mit der serbischen Fußballszene her, die in der mafiösen Struktur des Staates der 1990er Jahre ihren Ursprung hat. In einer Zeit als Ex-Jugoslawien von internationalen Wirtschaftswegen abgeschnitten gewesen ist, waren mafiöse Strukturen schlichtweg notwendig, um das Leben aufrecht zu erhalten – sei es durch den Schmuggel von Zigaretten oder Erdöl. Diese Strukturen existieren noch immer nebeneinander. Heute haben sich Teile der Fans in andere kriminelle Bereiche zurückgezogen: Rotlicht-, Security- und teilweise auch das Drogenmilieu. Da gibt es große Überschneidungsflächen zwischen organisierter Kriminalität und organisierten Fußballfan-Gruppierungen.
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Immenses Mobilisierungspotenzial und Bedrohungsszenarien
Wie nah ist Russland der Belgrader Fanszene? In einer Choreo auf den Rängen des Marakana wurden stilisierte Gräber vor ukrainischer Flagge gezeigt.
Die serbisch-russische ideologische Bruderschaft wird bei den „Delije” sehr hoch gehalten. Es gibt die Achse der Fanfreundschaften zwischen Spartak Moskau, Roter Stern Belgrad und Olympiakos Piräus, die sich ideologisch dem Nationalismus und religiös der Orthodoxie versprochen haben. Zwischen Moskau und Belgrad ist diese Achse viel enger. Die Hoffnung auf ein starkes Russland, das sich auch in einem starken Serbien widerspiegeln würde, spielt eine große Rolle.
Von wie vielen Personen reden wir eigentlich bei den „Delije”?
Schwer einzuschätzen. Ob das 500 oder 1000 in der Kerngruppe sind und 20.000 oder 30.000 als Mobilisierungspotenzial, kann man kaum sagen. Ich möchte mich da auf keine sichere Zahl festlegen. Es dringen sehr wenige Informationen nach außen. Die „Delije” als Gruppe geben ja aus Prinzip keine Interviews und schon gar nicht an internationale Medien.
Wie groß ist der Einfluss der Delije in den Verein hinein?
Signifikant. Ob es bis zur Mannschaftsaufstellung geht oder nicht ist eigentlich sekundär, aber wenn etwas auf der Agenda steht und durchgesetzt werden möchte, dann wird das auch durchgesetzt. Das Drohpotenzial ist deutlich größer im Vergleich zu westeuropäischen Beispielen von Fanpartizipation. Ob Dortmunds Gelbe Wand oder die „Delije“ Druck machen – das sind natürlich zwei völlig unterschiedliche Bedrohungsszenarien.
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Es gab 1990 schwere Krawalle zwischen Fans von Roter Stern Belgrad und denen von Dinamo Zagreb. Diese Randale werden auch als eines der Ursprungsereignisse des Jugoslawien-Krieges bezeichnet. Inwiefern?
Ich bin da vorsichtig, weil es eine starke Mythologisierung dieser Krawalle gibt. Aus meiner Perspektive war das Aufeinandertreffen eher Ausdruck der tiefen Krise, in der sich der jugoslawische Staatssozialismus in diesem Moment befand, und der Unfähigkeit der Staatsspitze mit diesem Gewaltpotenzial umzugehen. Das war eine Zuspitzung von Verhältnissen, die sich in den Jahren zuvor aufgebaut hatten. Gewalt war etwas Allwöchentliches in der jugoslawischen Liga. Diese Ausschreitungen wurden nun durch einige Faktoren amplifiziert: Die Unabhängigkeitspartei hatte zwei Wochen zuvor die ersten freien Wahlen gewonnen; das Ganze passierte in einem stark ethnonationalistisch aufgeladenen Kontext; dazu war es eines der entscheidenden Spiele der Saison und es wurde live übertragen. Der Gewaltexzess spielte sich im Stadion vor laufenden Kameras ab. Das ganze Land konnte sehen, wie heillos und maßlos überfordert Polizei und Militär gewesen ist.
Kurz darauf rekrutierte „Arkan”, einst Sicherheitschef des Vereins, der zuvor für den jugoslawischen Geheimdienst arbeitete, serbische Hooligans für die Front. Welche Rolle spielt er heute noch?
Eine folkloristische. Er ist Teil der Identität, aber er wird wenig offen glorifiziert. Sie sind sich dessen schon bewusst, welche Rolle sie im Balkan-Krieg hatten und sind auch stolz darauf, in paramilitärischen Verbänden in den Krieg gezogen zu sein. Aber sie haben letztlich alles verloren, worum sie gekämpft haben.
„Militarismus ist einer der zentralen identitätsstiftenden Momente”
Die militaristische Identität ist in der Fanszene noch immer verankert, erst in diesem Jahr wurde eine Panzer-Choreo gezeigt. Im Spiel gegen Young Boys Bern 2019 fuhren Fans mit einem Panzer aus dem Jugoslawien-Krieg bis vors Stadion. Wie präsent ist das?
Der Militarismus ist einer der zentralen identitätsstiftenden Momente der „Delije”. Der Gedanke, dass das Militär eines Tages in den Kosovo einmarschiert und diesen aus ihrer Sicht befreit, steckt in vielen Hinterköpfen dieser jungen Männer. Der Staat weiß, dass er hier auf einen Pool von jungen, gewaltbereiten und -erprobten Männer zurückgreifen kann.
Wie gespalten ist die Fußballstadt Belgrad mit den beiden großen Klubs Partizan und Roter Stern?
Belgrad ist eine gespaltene Stadt. Man muss schon aufpassen, mit welchen Farben man sich wo bewegt. Es gibt in Belgrad keine klare, geografische Trennlinie wie in anderen europäischen Großstädten mit zwei großen Vereinen. Partizan ist ein bisschen mehr der Underdog, zum bürgerlichen Spektrum hin geöffnet, hat eine größere Breite von Fans und erlaubt auch eine größere demokratische Bandbreite als Roter Stern. Die Erzählung bei Partizan ist nicht die eines großserbischen Nationalismus‘. Das ist der große Unterschied. Doch die Trennlinien verlaufen durch die Viertel und Hochhäuser.
„Gefahrenpotenzial für Fans aus Leipzig überschaubar”
Wie schätzen Sie die Situation für Gästefans von RB Leipzig ein?
Einerseits: Wenn man in Bezug auf die Fußballfan-Gruppierungen als Gegner nicht ernst genommen wird, hat man eigentlich nichts zu befürchten. Andererseits: Red Bull steht für alles, wogegegen sich traditionelle Fußballfans verwehren. Aber ich denke, dass der sogenannte lack of respect überwiegt. Ich glaube, dass das Gefahrenpotenzial für Fans aus Leipzig überschaubar ist.