Erster Teil: der kader Trainer, Kader, Funktionäre: Die Gründe für den Absturz von RB
Mit 38 Punkten nach 24 Spielen haben RB-Trainer Marco Rose und sein Team den Negativrekord von Ralph Hasenhüttl aus der Saison 2017/2018 eingestellt. Trotzdem sind beide Krisen nicht vergleichbar. Eine Analyse in vier Teilen.

Leipzig – Es mag RB-Trainer Marco Rose trösten, dass er nicht allein ist mit seinen 38 Liga-Punkten nach 24 Spielen. Denselben Tiefstwert erreichte Ralph Hasenhüttl in der Saison 2017/2018. Am Gefühl, dass Rasenballsport in einer ganz anderen Krise steckt als vor acht Jahren, ändert das freilich nichts. Das Leipziger 1:2 gegen Mainz war der nächste Nackenschlag für den Trainerstab, die Mannschaft und die Verantwortlichen des ehrgeizigen Red-Bull-Klubs, der aktuell vor einem „Trümmerhaufen“ steht, wie es Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus am vergangenen Wochenende ausdrückte.
Früher die Krise rigoros bekämpft
Momentan erinnert nichts mehr an den perlenden RB-Fußball der vergangenen Jahre. Sicherlich, Krisen hat es am Cottaweg immer schon gegeben, doch die wurden bereits nach drei verlorenen Spielen in Serie rigoros bekämpft, so wie 2021 unter Trainer Jesse Marsch, der nach dieser Pleiten-Kleinstserie seinen Hut nehmen musste. Mittlerweile kann Roses Personal reihenweise Punkte herschenken, und trotzdem ist alles beim Alten.
Statt mit klarer Linie zu handeln, hat sich offenbar Ratlosigkeit breitgemacht ob der freilich erstmals auch so offenkundig komplexen Gemengelage, die zu der Talfahrt in der Meisterschaft und im Europapokal geführt hat. Nicht nur der Trainer hat seinen Anteil an der aktuellen Verfassung des Teams, sondern auch die Spieler sind Teil des Problems. Ebenso die Zusammensetzung des Teams, für die Kaderplaner, Scouts und die sportliche Leitung verantwortlich sind, und auch Berater und Einflüsterer sowie der mächtige Aufsichtsratsvorsitzende, Red-Bull-Geschäftsführer Oliver Mintzlaff. Nicht zuletzt aber scheint RB auch die eigene Identität abhandengekommen zu sein. Wofür diese Mannschaft steht, ist jedenfalls nicht zu erkennen.
In einer vierteiligen Serie geht RBlive der Krise auf den Grund. Erster Teil: der Kader.
Hartnäckige Erzählung vom talentierten Kader
Es hält sich hartnäckig die Erzählung von den besonders talentierten Rasenballsportlern, die eigentlich unter ihren Fähigkeiten punkten. Ergo sei es nur eine Frage der Zeit sei, bis sie ihr wahres Vermögen offenbaren. Das mag sein und auf ein paar Spieler zutreffen, doch der Kader ist in der Breite weniger top-talentiert, als behauptet. Und er ist vor allem nicht stimmig zusammengebaut, was gerade dazu führt, dass er auch als Kollektiv nicht funktioniert.
Dabei geht es nicht darum, sich zu mögen oder gern zum Training zu kommen. Es geht darum, aus einem Guss zu spielen, mit einem Team-Bewusstsein, füreinander, nicht so viel für sich. Doch zu offenkundig sind die teils krassen Leistungs-, Reife- und Persönlichkeitsunterschiede. Diese Themen belasten die Saison:
Orban zu still?
Mentalität: Kapitän ist Willi Orban, der ein Musterprofi in Sachen Berufsethos und Entwicklungswille ist. Doch der Abwehrchef ist keiner, der einem Kollegen auch mal an den Kragen geht und ihn zurechtweist, vor allem während eines Spiels nicht. Der ihn schüttelt oder daran erinnert, dass 90 oder auch nur 100 Prozent nicht genug sind, um oben mitzuspielen. Mit anderen Worten, nämlich denen seines Trainers: Willi Orban strahlt seine Autorität nicht durch Worte, sondern durch seine Leistungen auf dem Platz aus. Klingt schön, ist momentan aber nicht das, was das Team braucht. Das gilt übrigens für das gesamte Team, dem nachgesagt wird, dass es nicht in der Lage ist, die ganz großen Ziele Woche für Woche in den Blick zu nehmen. Schon Erfolgstrainer Julian Nagelsmann hatte die Genügsamkeit seines Personals bemängelt, was wiederum auf ein grundsätzliches Problem im Klub hinweist.
Konstanz: Der einzig konstante Spieler im Kader ist Torwart Peter Gulacsi. Mit Abstrichen schaffen es auch Orban und Nationalspieler David Raum, in den meisten Partien ein Mindestmaß an Leistung abzurufen. Der Rest taumelt von Spiel zu Spiel wie betrunken. Mal leuchtend, wie zuletzt Benjamin Sesko, der allerdings genauso seine Stolperphasen hatte, wie sie gerade Lois Openda erlebt. Wie Super-Star Xavi Simons sie hat, wie Lutsharel Geertruida, wie Routinier Amadou Haidara, wie Christoph Baumgartner, wie Nicolas Seiwald, wie Arthur Vermeeren und zuletzt sogar das Toptalent Castello Lukeba. Keiner dieser Akteure schafft es seit Wochen, zwei herausragende Spiele aneinanderzureihen.
Baumgartner falsch aufgestellt?
Positionen: Ein paar Spieler agieren nicht auf den Positionen, auf denen sie bei anderen Klubs oder in ihren Nationalmannschaften stark performen. Das gilt für Geertruida, der zwischen Innenverteidiger und Außenverteidiger pendelt. Oder Nicolas Seiwald, den Rose mal als Rechtsverteidiger, mal als „Sechser“ aufbietet, je nachdem, wo er ihn gerade als Verletzten-Vertreter braucht. Die Leistungen der beiden sind entsprechend. Noch eklatanter ist das Problem bei Christoph Baumgartner, der eigentlich am besten als verkappter Stürmer oder als hängende Spitze funktioniert. So wie unter Ex-RB-Baumeister Ralf Rangnick im ÖFB-Team, in dem er Schlüsselspieler ist. Im Rose-System kommt er oft im offensiven Mittelfeld zum Einsatz. Eine Rolle, die ihm weniger liegt.
Karrierepläne: RB hat sich zum Sprungbrettklub entwickelt. Junge Talente einkaufen, viel Spielzeit geben und mit Gewinn an andere Klubs weiterreichen: Das ist das Geschäftsmodell. Hat prima bei Naby Keita und Dayot Upamecano geklappt, bei Christopher Nkunku, Josko Gvardiol, Dominik Szoboszlai und Dani Olmo. Den jeweiligen Substanzverlust haben früher allerdings die Aufstiegshelden aufgefangen, die sich RB gegenüber verbunden fühlen. Mittlerweile tummeln sich immer mehr Talente beim Red-Bull-Klub, die bereits an den nächsten Karriere-Schritt denken, wenn sie den Cottaweg zum ersten Mal betreten. Dazu gehören Spieler wie Sesko, den schon nach einem halben Jahr Wechselgerüchte umkreisten. Oder Profis wie Openda, wie Simons, wie Vermeeren, wie Nusa, wie Lukeba, vermutlich auch Geertruida, die alle mit dem Ziel angeheuert haben, dass sie viel Spielzeit bekommen und dann weiterziehen. Mit diesem Mindset lässt sich in guten Zeiten ordentlich arbeiten, in der Krise aber fehlen die wichtigen Motivationsnuancen, um fürs Team und den Klub übers Limit zu gehen. Mit anderen Worten: Rose hat vermutlich gerade zu wenige Spieler, die für den Klub brennen.
Kader zu klein?
Kadergröße: 23 Feldspieler zählen offiziell zum RB-Kader. Das ist nicht üppig, aber auch nicht klein. Allerdings sind darunter drei Spieler, die erst im Winter dazugestoßen sind (Baku, Nedeljkovic, Gomis), einer, der erst 17 ist (Gebel) und drei langfristig Verletzte (Nusa, Schlager, Ouedraogo). Den Kader bewusst kleinzuhalten, um jedem Spieler Entwicklungszeit geben zu können, ist ein nachvollziehbarer Ansatz. In dieser Saison ist die Größe dem Trainer aber auf die Füße gefallen, denn eine Welle an Verletzten hat den Restkader derart überfordert, dass auch der alsbald am Stock ging. Es gab im Winter Phasen, da saßen drei U19-Spieler auf der Bank. Für einen Champions-League-Klub kaum zu verkraften. Eine dritte Reihe mit genügsamen Profis, wie es vergangene Saison Christopher Lenz gewesen ist, täte der Mannschaft gut.