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RB LeipzigUnwiderstehlich oder fahrlässig? Pro und Contra des Wechsels von Diego Demme nach Neapel

Von Ullrich Kroemer, Martin Henkel 09.01.2020, 13:38
Leichtsinn oder kluge Politik? Diego Demmes Abgang zum SSC Neapel
Leichtsinn oder kluge Politik? Diego Demmes Abgang zum SSC Neapel Imago/Christian Schroedter (Montage)

Diego Demme wechselt zum SSC Neapel. Dass es den Routinier irgendwann zu seinen italienischen Wurzeln ziehen würde, war absehbar. Doch warum gerade in der Winterpause, wenn im Sommer die Meisterschaft möglich ist? Das ist nur eine der Fragen, die der überraschende Abgang des 28-Jährigen aufwirft. Demme bestritt in de Hinrunde jedes der vergangenen 17 Ligaspiele, dazu fünf in der Champions League, zwei im Pokal. Kann sich der Tabellenführer der Bundesliga diesen Transfer tatsächlich leisten?

RBlive-Reporter Martin Henkel sagt: Nein! Kollege Ulli Kroemer meint: Ja! Beide debattieren an dieser Stelle Pro und Contra des Transfers.

Pro: Demmes Abschied kommt genau zum rechten Moment

Der Abschied von Diego Demme schmerzt. Keiner machte mehr Kilometer für RB, keiner kämpfte aufopferungsvoller, keiner brachte so konstant Leistung, keiner stellte sich so unprätentiös und unaufgeregt in den Dienst der Mannschaft wie der gebürtige Herforder. Genau wie Yussuf Poulsen steht Demme prototypisch für den Aufstieg von RB Leipzig. Seit der 3. Liga nahm der Deutsch-Italiener jede neue Entwicklungsstufe mit dem Klub und war dabei fast jederzeit Leistungsträger.

Sein plötzlicher Abgang in der Winterpause kommt nun höchst überraschend – und natürlich wäre es stimmiger gewesen, Demme wäre erst nach Saisonende gewechselt. Doch Napoli wird deutlich gemacht haben: Jetzt oder nie! Letztlich waren sich alle Beteiligten einig: Ein solches Angebot, mit dem alle zufrieden sind, kann man nicht ablehnen.

Dass Demme als uneingeschränkter Stammspieler geht, spricht für ihn. Andere wie Dominik Kaiser sahen ihren Stern bereits sinken, als sie Rasenballsport verließen. Demme sagt nun auf dem Zenit „Ciao”, auf der Spitze seines Leistungsvermögens. Dass sich das nach der Rückrunde schon wieder ganz anders darstellen kann, zeigte die vergangene Saison, als Tyler Adams plötzlich an ihm vorbeizog, Demme seit März nur noch ein paar Minuten spielte und auf der Bank verzagte.

RB kann elegant den Umbruch einleiten

Ähnliches zeichnet sich aktuell ab. Adams und Kevin Kampl, die beide spielerisch noch mehr Impulse nach vorn setzen können, brennen auf Einsätze. Auch der wahrscheinliche Neuzugang Benjamin Henrichs sowie Youngster Ethan Ampadu können auf der Position spielen. Insofern wäre es fahrlässig – von Demme ebenso wie von RB –, diese Chance auszuschlagen.

Dem Klub bietet Demmes Abgang zudem die Gelegenheit, elegant den Umbruch mit jüngeren und noch talentierteren Spielern einzuleiten und gleichzeitig auch noch Geld zu verdienen. Aus dem Verein, der sich bestens mit den Marktgepflogenheiten auskennt, heißt es: Eine solche Summe würde man für den international immer etwas unter dem Radar fliegenden Mittelfeldackerer nie wieder geboten bekommen.

Demmes Abschied kommt also für alle Beteiligten genau zum richtigen Moment. Auch wenn er schmerzt. (ukr)

Contra: RB schwächt sich ohne Not selbst

Den bemerkenswertesten Satz über Diego Demme hat Trainer Julian Nagelsmann am Montag zum Trainingsauftakt geäußert. Er sprach über die Verbesserung der Flügelverteidigung. "Über die Außen", sagte Nagelsmann, "haben wir die meisten Tore in der Hinrunde kassiert", und fügte hinzu: "Durchs Zentrum war es nur eins."

Das Zentrum ist Demmes Habitat. Für gewöhnlich an der Seite von Konrad Laimer. Beide teilen sich die Postion zentral vor der Abwehr, und kein weiteres Paar im Kader von RB hat nicht nur für die Gegentorbilanz einen ganz zentralen Beitrag geleistet, sondern überhaupt für die Entwicklung des Teams vom reinen Überfallfußball hin zu einem Mix aus Verteidigen, Bälleklauen, Umschalten und Ballbesitz. Das jetzt auseinanderzureißen, provoziert vor allen anderen die Frage: Warum - und warum gerade jetzt?

Demme zu verkaufen, bedeutet, sich ohne Not zu schwächen. Und zwar dort, wo Schwäche noch eher mit Gegentoren bestraft wird als über die Flügel. Nicht umsonst war die Mitte in der Hinrunde dicht, weil dort nämlich zwei agierten, die wissen, wie man die "Sechs" spielt - was bekanntermaßen nicht jeder Fußballer kann: mit einem über viele Jahre verfeinerten Gespür für das Anpressen von Gegnern, das Bälleklauen, Stressen und Nerven. Und im Spiel nach vorn mit plötzlich feinen Füßen, gutem Auge und sogar Toren - Laimer hat vier geschossen, Demme eines.

Jetzt heißt es, Kevin Kampl sei ja bald zurück und hätte Demme, der nur ein einziges Spiel vor der Winterpause verpasst hat, vermutlich eh auf die Bank verdrängt. Aber wann und in welcher Verfassung kehrt der Slowene zurück? Eine Fußgelenks-OP ist ja keine Blinddarm-Entfernung, und ein Herantasten des 28-Jährigen an seine Topform kann sich RB auf der Position gar nicht leisten. Sind die Sachsen nicht vom ersten Spiel an an ihrer Leistungsgrenze, ist schnell Essig mit Tabellenplatz eins.

Adams muss sich erst noch beweisen

Tyler Adams, so ein weiteres Argument, könne Demme ebenfalls ersetzen. Ist das so? Der US-Amerikaner hatte es ein halbes Jahr lang mit den Leisten, kam in dieser Spielzeit erst einmal zum Einsatz, und wie prädestiniert die Weichteile für chronische Beschwerden sind, zeigt der Fall von Emil Forsberg. Zumal Adams erst noch beweisen muss, dass er Demme in der Verfassung der Hinrunde das Wasser reichen kann.

Dann eben Geld einnehmen, muss ja mal sein. Das ist auch so eines der Dafür-Argumente. Nur, welches Geld? Zwölf Millionen Euro für einen gerade erst 28 Jahre alt gewordenen Stammspieler des deutschen Tabellenführers sind ein Witz verglichen mit dem, was auf dem Markt sonst so an Summen bezahlt wird. Und dass RB angeblich zwölf Millionen Euro short ist, um Benjamin Henrichs aus Monaco zu lotsen, entbehrt vor dem Hintergrund der angepeilten 300 Millionen Euro-Umsatzmarke im Geschäftsjahr 2020 jeglicher Grundlage.

Nein, der Wechsel ergibt nur dann einen Anflug von Sinn, wenn RB sich von Demme selbst hat erweichen lassen, ihn, den Sohn eines kalabrischen Vaters mit dem Vornamen der Napoli-Legende Diego Maradona zu seinem Herzensklub ziehen zu lassen, der zudem von Demmes Jugendidol Gennaro Gattuso trainiert wird. Aber das beantwortet noch immer nicht die Frage, warum einen so wichtigen Stammspieler im Winter ziehen zu lassen, wenn man im Sommer Meister werden will? Allemal einen, der seinen seltenen Wert für den Verein aufblitzen ließ, als er vor zwei Jahren preisgab, was er sich von Gattuso abgeschaut hat: "Er hat die Gegner in den Zweikämpfen fast aufgefressen." (mhe)