RB LeipzigChampions League ohne Fans: Die große Leere
Der Praca Dom Pedro im Herzen Lissabons glänzt in diesen Tagen. Der europäische Fußballverband Uefa hat zum Finalturnier eine überdimensionale Champions-League-Trophäe errichten lassen. Doch der silberne Henkelpott strahlt weitgehend unbeachtet vor sich hin. Hin und wieder macht jemand ein Selfie. Alte Frauen mit Begegnungsschals der Partie zwischen RB Leipzig und Atlético Madrid über den Armen versuchen vergeblich, ihre Ware an den Fan zu bringen. Doch es sind keine Anhänger da, die Schals kaufen könnten. Ein israelischer Kameramann filmt die nicht vorhandene Atmosphäre. Champions-League-Tristesse in Lissabon.
Überhaupt ist sonst so flirrende, pulsierende, überfüllte Metropole, dieser Tage wie verwandelt. „Es ist leise und leer in Lissabon”, sagt eine Mitarbeiterin der Touristeninformation am zentralen Praca do Comercio. Wo sich sonst Tausende Touristen täglich tummeln, verlieren sich gerade einmal ein paar Dutzend Besucher. 16,19 Millionen Besucher wurden 2018 in der portugiesischen Hauptstadt gezählt, die über 20 Milliarden Euro Umsatz machten. So war es, bevor das Coronavirus die Touristenströme kappte. Aktuelle Zahlen gibt es noch nicht. Doch ohne die Menschenmengen wirkt die ausgestorbene Metropole wie zu groß geraten. Und so ähnlich ist es ja gerade auch mit dem Fußball – Geisterkulissen allenthalben.
Keine Fans vor Ort
In Lissabons riesigen Fußballtempeln Estádio da Luz von Benfica und Estádio José Alvalade, wo Sporting spielt, findet sich in diesen Tagen die erste Garde der europäischen Topklubs zum Champions-League-Finalturnier ein. Die besten acht Teams Europas sind zu Gast, um den Sieger der Champions League zu ermitteln. Normalerweise brächte das eine außergewöhnlich fußballverrückte Stadt wie Lissabon zum Beben. Doch ohne Fans ist vielen Portugiesen, mit denen man hier spricht, das Turnier einerlei.
Im Café Restaurante Martinho da Arcada, dem ältesten Kaffeehaus Lissabons, wo normalerweise kaum ein Platz zu kriegen ist, warten die Kellner auf Kundschaft, die nicht kommt. Nuno, der Benfica-Fan ist, klagt über einen Umsatzrückgang von 50 Prozent bis zu zwei Dritteln. Wenn Fußballteams in der Stadt sind, bevölkern Trikotträger normalerweise in großer Zahl das Kaffee. Diesmal sind kaum Anhänger zum Bewirten gekommen. Es sind schon mal Abende dabei, da bewirten er und seine Kollegen nur zwei Tische. Mehr Leute kommen nicht.
Auch die RB-Fans sind vernünftigerweise zu Hause geblieben. Selbst Allesfahrer unter den RB-Anhängern, die sonst bei jedem Spiel auch international dabei sind, haben sich gegen einen Besuch entschieden. Und auch Fans der anderen Turnier-Teilnehmer sind nur vereinzelt angereist.
„Warum findet das Turnier überhaupt in Lissabon statt?”
Die Lissaboner haben andere Sorgen, als sich um die weltweit besten Fußballer zu kümmern. Augusto, der Taxi fährt, fragt: „Warum findet das Turnier überhaupt in Lissabon statt? Das macht für mich gar keinen Sinn.” Aus seiner Sicht hätte der Wettbewerb ebensogut in Deutschland oder anderswo ausgetragen werden können. Beliebigkeit statt Begeisterung.
Nur ein paar Schritte vom Praca Dom Pedro entfernt, wo der Pott vor sich hin spiegelt, rücken auf einmal ein halbes Dutzend Kamerateams an. Der Präsident kommt, heißt es. Von welchem Klub? „Nein, nein, der portugiesische Staatspräsident”, sagt ein Reporter. Marcelo Rebelo de Sousa besucht an diesem Donnerstag Hotels, um den Hoteliers Mut und Hilfe in der Krise zuzusprechen. Er unterhält sich mit Straßenkehrern und grüßt Straßenbahnfahrer. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise sind Portugals Thema gerade, nicht der Fußball.
Immerhin kann das Turnier dazu beitragen, dem darbenden Tourismus in Lisboa etwas unter die Arme zu greifen. Wie genau der portugiesische Fußball-Verband (FPF) und die Stadt Lissabon von der Runde der letzten Acht profitieren, mochten weder die Uefa, noch die FPF auf Nachfrage beantworten. Laut einer Studie des portugiesischen Instituts für Verwaltung und Marketing profitiert Lissabon angeblich mit insgesamt 50 Millionen Euro. Doch diese Zahl scheint angesichts fehlender Fans nicht besonders glaubhaft.
So ist in Lissabon dieser Tage auch zu beobachten, dass die Fußballbranche ein gefährliches Spiel treibt, indem sie ihr Geschäft auch ohne ihre Seele – die Anhänger – weiterbetreibt. (RBlive/ukr)