Kommentar zur Niederlage gegen Rangers Nützliche Lektion in Sachen "real football"
Was kann RB Leipzig aus der Niederlage im Ibrox und bei den Rangers für sich lernen? Vor allem Demut im Umgang mit Europapokalerwartung und eine Besinnung auf die noch fehlenden Grundtugenden bei Spielern und im Umfeld des Klubs.
Viele Gründe stehen nach dem verpassten Europa-League-Finale parat, um zu erklären, wie es passieren konnte, dass RB Leipzig gegen individuell schwächer besetzte Rangers aus Glasgow das Halbfinal-Rückspiel verlor. Nicht knapp, nicht irgendwie. Sondern ziemlich deutlich 1:3. Ein Ergebnis, das nicht über die wahren Begebenheiten hinweglog.
TV-Abend bei Bocki und Bier
Das wummernde „Ibrox“ mit seinen 50.000 Fans, die keine Sekunde Stille an diese Partie heranließen, war einer der Hauptfaktoren für die Niederlage. Es war Anschauungsunterricht die Mitglieder der deutschen Delegation dafür, wie meilenlang der Weg noch ist, bis man an die Tiefe dieses 150 Jahre alten Fanverhaltens in den eigenen vier Wänden heranreicht. Trainer Domenico Tedesco hatte nach dem 1:0 im Hinspiel zurecht darauf verwiesen, dass die Stimmung in der Leipziger Arena dem Abend nicht ganz angemessen gewesen war. In Zukunft mit Fans und Publikum an solchen Missverständnissen zu arbeiten, dass Europapokalabende keine Roger-Whittaker-Konzerte unter freiem Himmel sind, könnte sich langfristig lohnen.
Die Arena kann ein bisschen mehr Rangers-Kultur auf jeden Fall vertragen. Das liegt auch in den Händen des Klubs. Dafür aber müssten eventuell ein paar grundlegende Überzeugungen auf den Prüfstand. Eine davon betrifft die ewige Rede von der Champions League. Die sogenannte Königsklasse des europäischen Fußballs jede Saison als Basisziel auszurufen, das ist nicht nur finanziell ein Problem, Werder Bremen lässt grüßen. Auch für die Kaderplanung ist das kein Segen, genauso wenig für die Erwartungen des RB-Publikums, noch deren Agieren im Stadion. Das gilt auch für die Spieler.
Gut möglich, dass die Europa League gerade viel besser zu RB passt. Dort nämlich, in Spielen gegen Kontrahenten wie die Rangers, sind die Grundtugenden eines Fußballvereins gefragt. Dazu gehört die von Tedesco im Ibrox so schmerzlich vermisste „Körperlichkeit“ bei seinen Spielern. Auch ein Vereinsambiente, in dem die Europa League gefeiert wird wie in Frankfurt. Vor allem aber braucht es ein Selbstverständnis beim gesamten Personal, dass man in dieser Spielzeit zwar gegen Manchester City gewonnen hat, dies aber noch lange nicht bedeutet, auch bärbeißige Schotten mit ein bisschen Matchplan und Einzeltalenten schlagen zu können. Oder Teams wie das des Stadtrivalen Celtic, oder Trondheim, Salzburg, Olympique Marseille. Alles Widersacher, gegen die der talentierte aber oft so schmalbrüstige Kader aus der Red-Bull-Akademie in der Europa League verloren hat.
Jeder Klub will nach ganz oben. Das ist ein natürlicher Reflex. Er hat auch die Rangers in den Neunzigern und Nullerjahren angetrieben. Die eigene Liga, nach neun Meisterschaften in Serie, war zu klein geworden für diesen altvorderen Klub des Weltfußballs, für die Träume der Vereinsspitzen. Sie wollten die Champions League rocken und bezahlten für diese Hybris mit einer kapitalen Insolvenz.
Selbstbild kritisch betrachten
RB ist von solch einem Szenario weit entfernt. Doch dass ein Trainer wie Tedesco mit seiner Einschätzung, dass ein DFB-Pokalfinale, ein Europa-League-Halbfinale und aktuell Platz fünf in der Liga alles andere als ein Desaster sei, bei Fans, Beobachtern und auch bei dem einen oder anderen in der Chefetage nicht durchkommt, spricht Bände über die Erwartungshaltung beim Klub und im Umfeld.
Bei Jugendlichen, die in Krisen geraten, ist es oft sinnvoll zu schauen, ob sie gewisse Entwicklungsphasen übersprungen haben, und dies nachgeholt werden muss, um die Details der Persönlichkeit in Einklang miteinander zu bringen. Vielleicht sollte RB sein Selbstbild mit wachen Sinnen betrachten und schauen, welche Basics eigentlich vorhanden sein müssen, um Abenden gewachsen zu sein wie jenem im Ibrox, an dem der Bundesligist aus Leipzig eine bittere Lektion in Sachen „real football“ lernen musste – oder besser noch: durfte.