RB LeipzigMeistertrainer Felix Magath im Interview: „Natürlich hat RB Leipzig die Chance, Deutscher Meister zu werden”
Pokal-Aus mit dem VfL Wolfsburg? In Leipzig? Da muss Felix Magath tief kramen. Richtig, die 2:3-Erstrunden-Niederlage 2011 beim damaligen Regionalligisten RB. „Das hatte ich verdrängt”, sagt der dreimalige Meistertrainer im Gespräch mit der Mitteldeutschen Zeitung/RBlive. Vor dem Viertelfinale im DFB-Pokal zwischen Rasenballsport und Wolfsburg (20.45 Uhr) spricht 67-Jährige über Leipzigs Titelchancen, Meister-Mut, zu taktisch geprägten Fußball und seine aktuelle Rolle als Kopist des Red-Bull-Fußballsystems.
Herr Magath, sind Ihre Erinnerungen an Leipzigs Pokalsensation 2011 gegen den VfL zurückgekehrt?
Felix Magath: Ich habe wenig Erinnerungen daran. Ich weiß: Wir waren uns zu sicher, auch wenn wir wussten, dass Leipzig damals eine Mannschaft hatte, die besser war als vierte Liga. Wir haben verdient verloren, das war nicht glücklich für RB, sie waren engagierter.
Kannten Sie vorher einen gewissen Daniel Frahn, der in der ersten Hälfte einen Hattrick erzielt hat?
Natürlich haben wir uns auf die Mannschaft und auch auf ihn vorbereitet. Aber das ist eine Frage der Einstellung. Ich habe immer viel Wert darauf gelegt, aber das ist nicht immer hinzukriegen. Ich war als Spieler auch dabei, als wir mit dem HSV 1984 als Europapokalsieger gegen den damaligen Drittligisten Geislingen verloren haben. Da können der Trainer und die Spieler heißen wie sie wollen. Mentalität kann Qualitätsunterschiede ausgleichen.
Dämmerte Ihnen damals schon, dass in Leipzig ein Champions-League-Klub heranwächst?
Das war damals schon klar, RB hatte immer Spieler, die besser als die übrigen in der Liga waren. Eigentlich hätte es keine Überraschung für uns sein dürfen, dass es nicht ohne Gegenwehr gegen eine solche Mannschaft geht.
An diesem Mittwoch gibt es das Duell zwischen RB und Wolfsburg im Pokal schon zum fünften Mal. Welche Mannschaft beeindruckt Sie gerade mehr?
Was heißt beeindruckt? Beide sind … (zögert) … eher besser anzuschauen, wobei bei RB die Taktik eine sehr große Rolle spielt. Fußball ist heute fast ausschließlich taktisch geprägt. Die Leipziger ziehen ihre Spielweise ja völlig unabhängig vom Personal durch, das auf dem Feld steht. Man weiß schon vorher in etwa, wie das Spiel läuft. Das haben sie seit Jahren perfektioniert und sind nun tatsächlich den Bayern auf den Fersen und können auch im Pokal etwas reißen.
Felix Magath: „Fußball ist schematischer und ausrechenbarer geworden”
Halten Sie die Leipziger Spielweise für unattraktiv?
Das hat nichts mit Leipzig zu tun, diese Ansicht vertrete ich schon länger. Ich bin ein ehemaliger Spieler und Trainer, der das Spiel schätzt. Ich behaupte, dass die taktische Ausrichtung in Deutschland in den vergangenen Jahren eine zu große Bedeutung bekommen hat. Das Fußballspiel ist rein taktisch orientiert und organisiert und dadurch schematischer und ausrechenbarer geworden, die individuelle Klasse hat nachgelassen. Das mache ich etwa daran fest, dass ich viele grobe individuelle Fehler auf dem Spielfeld sehe. Nicht der Spieler steht im Vordergrund, sondern die Taktik. Das macht das Spiel an sich langweiliger.
Der VfL Wolfsburg orientiert sich unter Oliver Glasner auch am Red-Bull-Spielstil. Sehen Sie Parallelen beim aktuellen Erfolg beider Klubs?
Ja, aber die Leipziger machen das schon fast seit der Vereinsgründung. Die Wolfsburger haben später damit angefangen. Die Spielweise ist ähnlich, aber bei RB ausgeprägter.
Trauen Sie RB Leipzig in der Liga mehr zu, als nur Verfolger des Bayern München zu sein?
Die Meisterschaft ist dem FC Bayern nur zu nehmen, wenn er Schwierigkeiten hat. Bringen die Bayern ihre Leistung zu mindestens 80 Prozent, wird der Meister immer Bayern München heißen – auch in dieser Saison. Auch wir konnten 2009 mit Wolfsburg nur den Titel holen, weil die Bayern intern Probleme hatten. Normalerweise ist die Qualität der Münchner Einzelspieler so viel größer auch als bei RB Leipzig, dass der Deutsche Meister eigentlich nur Bayern heißen kann. Wenn sie allerdings weiter straucheln sollten, ist RB erster Anwärter auf den Meistertitel.
„RB Leipzig soll sich an uns mal ein Beispiel nehmen”
Sie waren 2008/09 mit Wolfsburg nach der Hinrunde nur Neunter. Wie haben Sie bei Ihrem Team im Laufe der Rückrunde den Glauben an den Titel entwickelt?
Indem ich schon vor Beginn der Rückrunde darauf hingewiesen habe, dass wir gute Chancen hätten, zumindest noch einen Champions-League-Platz erreichen zu können. Das hat in der Winterpause keiner geglaubt. Aber durch einen guten Start hat sich das bewahrheitet und der Glaube entwickelt. Mit entscheidend war dann das 5:1 im direkten Duell gegen Bayern.
Die Dramaturgie wäre in diesem Jahr ähnlich: RB empfängt München Anfang April fast auf den Tag genau zwölf Jahre später.
Dann soll sich RB an uns mal ein Beispiel nehmen.
Ihre Doppelspitze Grafite und Dzeko hat damals zusammen 54 Tore geschossen. Leipzigs beste Torschützen haben je fünf Treffer. Ist es möglich, ohne Knipser Meister zu werden?
RB zeigt ja gerade, dass das gehen kann. Fußball ist so komplex, dass es viele Arten gibt, erfolgreich zu sein. Das macht es ja so interessant. Wir sind aber nicht nur wegen zwei Stürmern Meister geworden, sondern auch, weil wir gut verteidigt haben.
Die Spezialdisziplin von Wolfsburgern und Leipzigern mit 18 und 19 Gegentreffern bislang.
Es heißt ja nicht umsonst: Meisterschaften werden hinten geholt.
Doch eine gewisse Titelchance für RB?
Natürlich hat RB die Chance, Meister zu werden – keine Frage. Ich weiß nur nicht, ob sie daran glauben und das wirklich schaffen wollen.
Angeblich wollte Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz Sie 2010 für die Doppelrolle in Salzburg und Leipzig haben, die später Ralf Rangnick angenommen hat. Wie weit waren die Gespräche damals?
Es gibt immer viele Gerüchte. Dazu kann ich nix sagen.
„RB Leipzig ist kein Vorbild bei uns”
Aktuell sind Sie als globaler Sportdirektor der Onlinedruckerei Flyeralarm bestrebt, mit Zweitligist Würzburg und dem österreichischen Erstligist FC Admira Wacker Mödling eine Struktur à la Red Bull im Kleinen aufzubauen.
Die finanziellen Möglichkeiten sind sehr unterschiedlich. Ich würde nicht sagen, dass RB Leipzig für uns ein Vorbild ist. Bei uns ist es eher zufällig so, dass einem Eigentürmer ein deutscher und ein österreichischer Klub gehört.
Inwiefern zufällig?
Eigentümer Thorsten Fischer war schon immer Fan von Admira Wacker und hat den Verein unterstützt, als er pleite war, um ihn zu retten. Der Klub wurde also nicht bewusst ausgesucht, um Synergien mit Würzburg zu schaffen.
Beide Teams sind derzeit Letzter in den Tabellen. Was ist Ihr Konzept?
Das Ganze wurde gestartet, bevor man Corona kannte. Ein paar Wochen nach meinem Einstieg vergangenes Jahr brach die Corona-Krise aus. Damit war das, was ich vorhatte, erst einmal hinfällig. Ich wollte über Nachwuchsarbeit und sportliche Entwicklung mit beiden Vereinen vorwärts kommen. Aber Nachwuchs findet seit einem Jahr nicht mehr statt.
Es ist von einem dritten Flyeralarm-Klub die Rede. Was planen Sie?
Das ist verschoben, weil ein Unternehmer in diesen Zeiten gerade schlecht planen kann. Es gibt zwar weiter die Absicht, aber es ist unklar, ob und wann das umgesetzt werden kann.
Interview: Ullrich Kroemer
(RBlive/ukr)