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RB LeipzigMoritz Volz im Exklusiv-Interview: "Da hängst du ein bisschen am Galgen"

18.02.2020, 08:22
Leipzigs Co-Trainer Moritz Volz.
Leipzigs Co-Trainer Moritz Volz. Imago/EU-Images

Neuling in der K.o.-Phase der Champions League - und zum ersten Mal im Europapokal gegen ein englisches Team. Niemand bei RB Leipzig hat also wirklich Ahnung, was da auf den deutschen Vertreter am Mittwochabend in London zukommt. Niemand - außer einem: Moritz Volz.

Volz ist der Auskenner im Tross der Sachsen, der heute auf die Insel fliegt. Der 37 Jahre alte Assistenztrainer war elf Jahre lang Azubi und Spieler in der Premier League. Wechselte 1999 vom FC Schalke 16-jährig zum FC Arsenal, spielte fünf Jahre mit Fulham in der 1. Liga und war zwischendurch mal an den Wimbledon FC und Ipswich Town verliehen.

Mehr am Spielgeschehen dran

"Volzy", so sein Spitzname in England, weiß also, was RB Leipzig erwartet und wie man sich dagegen wappnet. Im Interview mit RBlive-Reporter Martin Henkel sprach er über Spurs-Coach José Mourinho, sein Faible für London und was es bedeutet, in einem englischen Stadion "am Galgen" zu hängen.

Herr Volz, worauf muss sich RB in London gefasst machen?
Das ganze Drumherum wird eine neue Erfahrung sein. In diesem atemberaubenden Stadion, mit diesem Gegner in zwei Alles-oder-Nichts-Spielen. Aber genau darauf freuen wir uns tierisch.

Das englische Fußball-Publikum funktioniert anders als das Deutsche. Was kann das mit einem, der sich nicht auskennt, anstellen?
Der größte Unterschied ist, dass die englischen Fans viel mehr auf das Spielgeschehen eingehen. Die Partie entscheidet, was drumerhum passiert – und auch umgekehrt. Ich habe Spiele in Anfield und bei Tottenham erlebt, wo du als Auswärtsmannschaft ein bisschen am Galgen hängst und dich über Wasser halten musst. Wenn du ein 0:0 in den letzten 15 Minuten verteidigen willst und du bekommst eine Ecke, sagen wir, vor The Kop (legendäre Fantribüne beim FC Liverpool, Anm. Red.), dann macht das was mit dir. Die Stimmung rauscht zu dir runter. Dann ist die Frage, wie du damit umgehst.

Was kann man dagegen tun?
Es in positive Energie umwandeln, es als Ansporn sehen, konzentriert bleiben und darauf vorbereitet sein.

Advantage Tottenham

Während Ihrer Zeit beim FC Arsenal und später beim FC Fulham war Jose Mourinho, der aktuelle Spurs-Coach, Trainer des FC Chelsea. Wie gut kennen Sie ihn?
Mourinho ist eine Hausnummer, er hat eine Wahnsinnserfahrung und sehr viel Rückhalt bei seinen Spielern. Mourinho hat die Premier League sehr geprägt, auch die Champions League.

Welchen Einfluss kann er auf den Ausgang des Duells mit RB nehmen?
Wer als Trainer den Ton angibt, der hat natürlich eine enorme Auswirkung auf Spiele. Das ist bei Julian Nagelsmann nicht anders. Mourinho hat zudem enorme Erfahrung, das heißt, er weiß, wie man solche Partien angehen muss. Das Team ja übrigens auch, es stand vergangene Saison im Finale.

Darauf kann RB nicht zurückgreifen.
Stimmt, diese Erfahrung fehlt. Es ist das erste Mal für uns alle in der K.o.-Phase.

Ein Nachteil.
In einer engen Runde kommt es auf Nuancen an. In der Hinsicht sprechen die Nuancen auf dem Papier vielleicht eher für die Spurs. Aber wir können zeigen, dass wir einen unglaublichen Willen haben, Hunger darauf, unseren Weg fortzuführen. Es ist grundsätzlich im Fußball die große Kunst, Ernsthaftigkeit und Lockerheit in Einklang zu bringen. Wenn uns das gelingt, sind wir definitiv nicht chancenlos.

Was erwarten Sie fußballerisch von der Reise?
Das ist die K.o.-Phase der Champions League, mehr geht kaum. Und dass in meiner Lieblingsstadt in einem neuen Stadion, von dem es heißt, es sei das Beste der Welt. Darauf freue ich mich riesig.

Fulham-Profi Volz
Fulham-Profi Volz
Imago/Colorsport

Wie gut kennen Sie die Spurs?
Als ich nach England kam, war Tottenham die graue Maus. Sie wussten damals nach einer ruhmreichen Vergangenheit gerade nicht, wer sie sind oder sein wollen. Bis Trainer Harry Redknapp kam, eine Ikone des englischen Fußballers. Die gesamte Familie ist eine Fußballer-Dynastie. Jamie Redknapp, sein Sohn, war Spieler bei den Spurs und Liverpool. Harrys Bruder ist Frank Lampard Senior, also der Vater des jetzigen Chelsea-Trainers und früheren Spielers. Redknapp hat die ersten Schritte der Entwicklung eingeleitet, danach kam Gareth Bale als Spieler und als er für über 100 Millionen Euro an Real Madrid verkauft wurde, war Geld für Investitionen da. Damit haben sie vor allem ihre Infrastruktur aufgebaut. Eine, die komplett auf sie zugeschnitten ist.

Worauf freuen Sie sich persönlich auf der Reise? Elf Jahre in London sind eine lange Zeit.
London ist meine zweite Heimatstadt. Ich bin dort quasi erwachsen geworden, das hat mich sehr geprägt. Gerade abseits des Fußballgeschäfts, sich in einer anderen Kultur zurechtzufinden und für mich als Landei den Schritt von der Provinz in eine solche Großstadt zu meistern.

Sie reisen am Dienstag an und Mittwoch wieder ab. Haben Sie überhaupt Zeit, Leute zu treffen?
(lacht) Ich denke schon, aber sie müssen zu mir ins Hotel kommen. Ansonsten: Meine ehemaliger Englischlehrer Roberto Balbontin ist der Team-Manager der Spurs. Ihn werde ich auch wiedersehen. Ich hoffe, er fragt keine Vokabeln ab.

Allein Ihrer Englisch-Kenntnisse wegen sind Sie im Sommer nicht Assistenz-Coach in Leipzig geworden. Wie kam es zu Ihrer Anstellung?
Durch den Weggang von Jesse Marsch nach Salzburg war eine Stelle frei, Julian Nagelsmann durfte die neu besetzen. Dann hat er ein Anforderungsprofil erstellt – und dahinein habe ich gepasst.

Passende Qualitäten

Was waren das für Anforderungen?
Er wollte gern einen ehemaligen Spieler, der noch nicht zu lange raus ist. Wenn es geht, mit internationaler Erfahrung. Beides habe ich abgedeckt.

Woher kennen Sie sich?
Ich war einige Jahre als Scout unterwegs, dabei haben wir uns kennengelernt. Ich war sehr an dem Job interessiert, weil ich an einem Punkt war, an dem ich im Scoutingbereich meine Lehren gezogen hatte. Ich konnte nicht mehr viel dazulernen. In der Zeit habe ich auch meine Trainerscheine aufgebaut mit dem Ziel, mich als Coach zu versuchen. Dazu brauchte ich einen guten Einstieg, und Leipzig war da natürlich eine großartige Gelegenheit und Chance für mich.

Wie kommen Sie klar als Neuling?
Am Anfang war das echt herausfordernd. Alles war neu: der Verein, das Trainerteam, neues Umfeld.

Was war am härtesten?
Die Stadt war das geringste Problem. Ich bin mit 15 nach London gegangen, war danach in Hamburg, in München. Ich weiß, wie man in einer neuen Stadt ankommt. Aber in die Rolle des Trainers zu schlüpfen, war eine große Sache. Als Spieler ist immer alles vorbereitet, als Trainer ist genau das dein Job. Da musste ich umdenken.

Ihre internationale Erfahrung kommt jetzt zum Tragen. Haben Sie Ihren Vortrag über die Premier League schon gehalten?
Was soll ich noch sagen, was keiner weiß? Die Premier League ist gerade eine Nummer für sich, siehe die vier Europapokalfinalisten vergangenes Jahr. Aber klar, ich habe dort lange gelebt, gespielt und kenne viele Leute. Von daher freue ich mich extrem auf diese Reise.