RB LeipzigPro & Contra: Stimmt die Marsch-Route bei RB Leipzig?
Tauglicher Rückkehr-Fußball zu den Wurzeln - oder der Zeit hinterher: Diese Frage stellt sich gerade bei RB Leipzig im Angesicht von nur vier Punkten aus fünf Ligaspielen. Martin Henkel und Ullrich Kroemer haben darauf zwei völlig verschiedene Antworten gefunden.
Pro: Fürs Auge eine Wonne - Marschs Festwiesen-Fußball geht in die richtige Richtung
von Martin Henkel
Zugegeben, ein Punkt gegen den Beinahe-Absteiger aus dem Vorjahr Köln sind zwei zu wenig. Fürs Auge aber war dieser offene Festwiesen-Schlagabtausch eine Wonne, und selbst wenn RB gerade seinen Möglichkeiten immer noch hinterherrennt, alles über den Haufen werfen, woran der Trainer glaubt, muss Jesse Marsch deshalb nicht.
Sein grundsätzlicher Ansatz mit einer Viererkette, zwei Sechsern sowie einem überladenen Mittelfeld mit so exzellenten Spielern wie Olmo, Nkunku, Szoboszlai, Forsberg und vorn im Sturm Silva/Poulsen ist nicht der schlechteste. Eine Viererkette per se stellt jedenfalls kein Problem her.
Das Team braucht nur Zeit, um sich nach zwei Jahren Fünferkette und Ballbesitzfußball umzugewöhnen. Bei Marschs Ansatz darf beim Gegenpressing wenig schiefgehen, sonst ist die Viererkette zu entblößt.
Braucht es einen wie van Dijk?
Das größte Problem stellt deshalb momentan eher dar, die richtigen Spieler für die neuralgischen Punkte in seinem System zu finden. Das betrifft in erster Linie die Besetzung der Viererkette und der zwei Sechser davor. Und er muss sein Personal von diesem laufintensiven Spiel erneut überzeugen. Es ist ja nicht so, dass RB mit diesem Stil nichts drauf hätte. So wurde das Team 2016/2017 Vizemeister und 2018/2019 Dritter.
Bei Profis wie Emil Forsberg, mit 30 mittlerweile im Routinier-Alter, ist das aber sicherlich eine Herausforderung. Gleichzeitig wäre vielleicht ein flexibler Umgang mit den Grundsätzen gerade vonnöten. Man kann sein defensives Mittelfeld u.a. auch mal mit drei Sechsern bestücken, wenn es nottut.
Wer die Nachteile einer Viererkette hin und wieder so ausgleicht, ist Jürgen Klopp. Der deutsche Trainer des FC Liverpool ist ein ebensolcher Heavy-Metal-Coach wie Marsch. Als seine Abwehr in der Saison 2017/2018 so anfällig war wie gerade die von RB, operierte er immer mal mit einer Triple-Sechs, um seine Gegentrefferquote zu minimieren. Trotzdem wurde sein Team am Ende mit 38 zugelassenen Toren nur Vierter.
Also besorgte Klopp sich im Transfersommer 2018 für seine Innenverteidigung einen Spieler, der in den zwei Jahren danach eine Schlüsselrolle beim Gewinn der Champions League und der englischen Meisterschaft einnehmen spielen sollte: Weltfußballer Virgil van Dijk.
Es griffen sich die Experten an den Kopf, dass Klopp für den Niederländer damals 84 Millionen Euro ausgab. Heute gilt dieser Transfer als seine smarteste Entscheidung. Aus dem Stand reduzierten sich in van Dijks erster Saison die Gegentreffer auf 22, am Ende gewannen die "Red's" die Königsklasse und galten als das attraktivste Team Europas. Vielleicht muss RB im Winter doch nochmal ein bisschen Geld in die Hand nehmen.
Contra: Stilbruch beraubt RB seiner Fähigkeiten
von Ullrich Kroemer
Spieler und Trainer von RB Leipzig werteten das Remis gegen Köln als „Schritt in die richtige Richtung”, weil RB den ersten Auswärtspunkt in dieser Saison geholt hat – beim Abstiegs-Relegationsteilnehmer der Vorsaison. „Ein Unentschieden als Mutmacher” titelt die Agentur.
Dabei war es vielmehr erschreckend zu sehen, auf welch offenen Schlagabtausch sich der Vize-Meister (Kader-Marktwert: 500 Millionen Euro) bei Steffen Baumgarts Kämpfertruppe (Marktwert: 75 Millionen Euro) einlassen musste. RB wirkte wie ein Box-Champion vergangener Tage, der plötzlich wie ein Kirmesboxer ohne Deckung austeilt und selbst ein ums andere Mal schwere Treffer kassiert. Run and gun, rauf und runter. Mit Dominanz und Reife, Kontrolle und Klarheit hatte das nichts zu tun, vielmehr spielen die Leipziger plötzlich Harakiri-Spektakel-Fußball.
Harakiri-Fußball passt weder zum Team, noch zum Status von RB Leipzig
RB beraubt sich durch den krassen Stilbruch seiner erworbenen Fähigkeiten und begibt sich auf das Level von Teams wie Köln, die mit ihren Mitteln alles herausholen. Doch diese Stufe hatte Leipzig auf dem Weg zum Topteam eigentlich schon überwunden. Dieser atemlose Hop-oder-Top-Fußball passt nicht zum Team und nicht zum Status, den sich RB international erworben hatte.
Die Hoffnung war, dass Trainer Jesse Marsch nach dem in der Schlussphase der Vorsaison zu ballverliebten und verkopften Nagelsmann-Fußball wieder ein paar mehr Pressing-Elemente einbringt und beide Stile mischt. Dass RB wie alle Topteams gekonnt zwischen hohem und aggressivem Gegenpressing sowie Ballbesitzphasen mit viel Kontrolle variiert. So wie das etwa Marco Rose in den vergangenen beiden Spielzeiten mit Gladbach geschafft hat. Das würde zur Leipziger Mannschaft, die beide Stile kennt, passen.
Die aktuelle Eindimensionalität, mit der Marsch ausschließlich auf die offensive Dreierreihe plus einem Stoßstürmer setzt, aber die Balance vernachlässigt, ist ein Rückschritt, den die erfahrenen Spieler nicht mit Überzeugung mittragen und der in dieser Form nicht zum erwarteten Erfolg führen wird. Nicht gegen Köln, und schon gar nicht gegen bessere Mannschaften.
(RBlive/ukr/hen)