RB-Co-Trainer Zickler im Interview „Irgendwann all den Input als Cheftrainer weitergeben”
RB Leipzigs Co-Trainer Alexander Zickler ist nach drei Jahrzehnten im Profifußball nach Sachsen zurückgekehrt. Im Interview mit den MZ-/RBlive-Reportern Martin Henkel und Ullrich Kroemer spricht der 49-Jährige über Heimatgefühle und die WG mit seinem Sohn Jakob, der bei Dynamo Dresden spielt. Der einstige Joker erinnert sich an seinen ersten Tag beim FC Bayern, beschreibt sein besonderes Verhältnis zu Marco Rose und denkt über eigene Cheftrainer-Ambitionen nach.
Herr Zickler, Sie haben insgesamt 24 Jahre in der Nähe der Alpen gewohnt, zwölf Jahre in München, zwölf in Salzburg. Jetzt, in Leipzig, sind Berge und Schnee Mangelware. Wie verkraften Sie das?
Alexander Zickler: (lacht) Kein Problem. Ich kann mich zum Beispiel zu meiner Zeit in Salzburg an keine weiße Weihnacht erinnern. Und Skifahren ist auch nicht so mein Ding. Ich würde überall runterkommen, aber es sieht einfach nicht so gut aus.
Und ihre Frau, die ist Österreicherin?
Da wird es schon schwierig. Sie hatte als junge Frau zwei Prinzipien: Keinen Mann, der nicht Skifahren kann – und keinen Deutschen. Sie hat beides bekommen.
Was sagt das aus über Ihr Eheklima?
(lacht) Das ist top! Schnee fehlt mir nicht wirklich, aber meine Familie schon.
Die wohnt in Salzburg?
Wir sind mittlerweile ein bisschen verstreut. Mein Großer spielt jetzt in Dresden bei der U19, meine Tochter studiert in Wien, meine Frau wohnt mit den zwei Kleinen in Salzburg.
Sie pendeln?
Ja, viel. Nicht nur nach Salzburg, sondern auch täglich nach Dresden Ich habe dort eine WG mit meinem Sohn.
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„Abends nicht allein”: Dresdner Männer-WG von Vater und Sohn Zickler
Wie lebt es sich in der Männer-WG?
Ruhig. Ich vermisse trotzdem den Krach meiner Kleinen und meine Frau. Ich glaube, für meinen Sohn ist es aber ganz wichtig, dass er abends nicht alleine ist. Und für mich auch.
Sie wurden in Bad Salzungen in Thüringen geboren, wuchsen in Dresden auf, bevor Sie mit 19 nach München und später nach Salzburg gingen. Was bedeutet Ihnen der Begriff Heimat?
Als Fußballer kommt man viel herum, aber wenn ich mir meine Vita anschaue, dann war ich als Profi eigentlich nur bei zwei Vereinen länger: München und Salzburg. Jetzt, wo ich wieder in Dresden wohne, merke ich: Ja, das ist schon alles sehr vertraut. Meine Eltern wohnen auch noch in Dresden.
Wieso nicht Leipzig?
Den Gedanken, dass mein Sohn und ich getrennte Wohnungen haben, obwohl nur 100 Kilometer zwischen uns liegen, fand ich seltsam.
Sie haben in Dresden einen klingen Namen, arbeiten aber für einen Klub, der im Umfeld von Dynamo abgelehnt wird. Werden Sie damit konfrontiert?
Komischerweise überhaupt nicht. Ich hab‘ mir schon Spiele meines Sohnes angeschaut, war auf dem Dynamo-Gelände, aber es gab nie ein kritisches oder aggressives Wort.
Man hört nach 30 Jahren in der Fremde nicht mehr, dass Sie in Sachsen aufgewachsen sind. Wie lange wird es dauern, bis Sie ihren Heimatdialekt wieder annehmen?
Das wird nicht mehr durchkommen. Aber ich bin mit Dresden sehr verbunden. Neulich war ich abends laufen und kam zum Beispiel an meinem alten Bolzplatz vorbei – den es nicht mehr gibt – und an meiner alten Grundschule. Dort bin ich groß geworden, das hat mich geprägt.
Wenn man Sie reden hört, könnte man denken, Sie seien Bayer. Wie kommt’s?
Als ich nach München kam, habe ich mit meinem Sächsisch an vielen vorbeigeredet. Sie haben mich nicht verstanden, ich sie nicht. Nach einem halben Jahr habe ich angefangen, mich anzupassen.
Hermann Gerland fragte Zickler am ersten Tag in München: „Bist du was Besseres?”
Als Sie zum großen FC Bayern gingen, waren Sie mit 19 Jahren und nur 18 Bundesligaspielen mit Dynamo Dresden nicht nur blutjung, sondern auch weitgehend unerfahren. Wie müssen wir uns Ihre ersten Tage in der Bayern-Kabine vorstellen?
Ich war recht entspannt und hatte nicht die Erwartung, sofort zu spielen, Stammspieler zu werden. Ich wollte lernen, mir was abschauen. Ich hab‘ damals gedacht: Drei Jahre, du spielst mit den Besten Deutschlands, bist danach gereifter, hast Erfahrung, danach gehst du woanders hin.
Matthäus, Scholl, Ziege, Thon, Hamann, Helmer, Valencia – das waren Ihre neuen Mitspieler. Sie hatten kein Herzklopfen am ersten Tag?
Was mir geholfen hat: Ich war eine Woche früher da. Die Amateure hatten schon mit dem Training angefangen. Am ersten Morgen klopft’s an meiner Tür. Trainer Hermann Gerland steht davor und fragt mich: ,Bist du was Besseres?’
Und Sie?
Hab mich angezogen und drei, vier Tage mit den Amateuren trainiert. So hatte ich schon ein paar Leute kennengelernt und bin nicht unvorbereitet zu den Profis gekommen. Und bei denen war es dann so, dass wir am ersten Tag gleich ein Spiel auf irgendeinem Dorf hatten. Ich habe sehr früh im Bus gesessen und sehr oft meinen Platz wechseln müssen, bis ich einen hatte, auf dem noch keiner saß. Aber: Spieler wie Lothar (Matthäus, Anm. Red.) oder Raimund (Aumann, Torhüter, Anm. Red.) haben mir sofort geholfen. Hinzu kam, dass zu der Zeit einige junge Spieler hoch kamen, Christian Ziege, Didi Hamann, Christian Nerlinger, Markus Münch. Wir waren schnell eine Gruppe.
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Opel-Fahrer Zickler hatte Mühe, Lothar Matthäus zu folgen
Matthäus galt als Platzhirsch, auch in der Kabine. Wie haben Sie das erlebt?
Da muss ich echt sagen: Er hat mir sehr geholfen. Ich erinnere mich, wie er ziemlich früh kam und meinte: ,Hey, willst du mit, wir fahren zu Freunden was essen?’ Die Herausforderung war eher, ihm zu folgen. Lothar fährt nicht langsam. Ich fuhr damals Opel. Ich war eigentlich schnell drin im Kader. Mit Christian Ziege war ich dann auf dem Zimmer, da hat sich sofort eine gute Kameradschaft entwickelt. Von ihm habe ich an Anlehnung an den berühmten Brasilianer auch meinen Spitznamen „Zicko”.
Oliver Kahn hat gern demonstrativ die Handtücher junger Spieler benutzt, wie etwa die von Bastian Schweinsteiger. Ihres auch?
Ich glaube nicht. Er saß auf der anderen Seite der Kabine.
Funktionieren Kabinen heute was Hierarchien und Spirit angeht anders als damals?
Das ist bei jeder Mannschaft anders. Hier in Leipzig haben wir ein super Klima mit einer guten Mischung. Es ist immer wichtig, dass du den ein oder anderen dabei hast, der mal von sich aus auf den Tisch haut. In München war das zu meiner Zeit kein Problem: Es gab Matthäus, Helmer, Klinsmann, Effenberg – viele Spieler, die von Haus aus diese Leitwölfe gewesen sind. Der Trainer war dafür da, das in eine Reihenfolge zu bringen. Ich glaube, dass es auch jetzt in München noch Spieler gibt, die stärker die Rolle annehmen, ihre Mannschaft zu führen. Bei uns wird das mehr über den Mannschaftsrat geregelt.
„Es gibt durchaus Situationen, in denen ich mit meiner Erfahrung helfen kann.”
Inwiefern helfen Ihnen diese zwölf Jahre Kabinenerfahrung in München bei Ihrem Job heute?
Man nimmt vielleicht mal einen Spieler beiseite, wenn es gerade nicht so läuft. Dann redet man auch mal drüber, wie es früher war und welchen Eindruck ich gerade von der Kabine habe. Ich ermutige meine Mannschaften, Dinge auch mal im Team aktiv zu besprechen, ohne dass der Trainer dabei ist oder das einfordert. Führungsrollen dürfen aber nie gespielt sein, das ist eine Frage des Charakters. Wir haben Spieler, die dürfen und können das, aber es ist ihre Entscheidung, die Mannschaft mal zusammenzurufen. Das hat es bei uns auch schon gegeben. So wie damals in München, als wir uns auch immer mal ausgesprochen haben. Da gabs auch nicht nur rosige Zeiten.
Weiß etwa Lois Openda eigentlich, mit wem er es zu tun hat, wenn Sie ihm Hinweise geben?
(lacht) Das glaube ich nicht. Das ist eine andere Generation, die Spieler könnten meine Söhne sein. Da geht sicher keiner ins Archiv und kramt alte Videos meiner Tore heraus. Aber Marco Rose baut das immer mal ein, damit sie wissen, wer ihnen gegenübersteht. Die jungen Spieler haben alle selbst schon eine Menge erlebt. Aber es gibt durchaus Situationen, in denen ich mit meiner Erfahrung helfen kann.
Sie waren beim FC Bayern der Joker schlechthin, trafen nach 102 Einwechslungen 18 mal. Was geben Sie Einwechselspielern heute weiter?
Von der Bank zu kommen, ist immer bitter. Aber ich war ein Spieler, der auch in nur zehn oder 15 Minuten in der Lage war, etwas zu bewegen. Wir überlegen heute auch, wenn wir Wechsel besprechen, bei welchem Spieler von der Bank noch etwas kommt. Man sieht natürlich die Enttäuschung in den Gesichtern der Spieler, wenn sie nicht von Beginn an spielen. Doch ich sage dann zum Beispiel Benjamin Sesko: ,Junge, schau dir das Spiel an! Wie der Gegner spielt, wie es unsere Stürmer machen, was du vielleicht anders machen kannst.’ Unsere Spieler sitzen nicht nur draußen, sondern schauen mit dem Fokus auf ihre Räume aktiv zu, um so gut vorbereitet wie möglich ins Spiel zu kommen.
Wie beschreiben Sie Ihr Verhältnis zu Marco Rose?
Cool. (lacht)
Zickler über Rose: „Die ganze Reise zusammen bestritten”
Etwas detaillierter bitte.
Wir hatten in Gladbach und Dortmund eine gemeinsame WG. So etwas macht man nicht, wenn man sich nicht versteht. Als wir uns kennengelernt haben, hatten wir gleich ein super Jahr bei der U16 in Salzburg. Ich habe mir damals viel von ihm abschauen können, da er schon Erfahrung von Lok Leipzig mitbrachte. Dann haben wir die ganze Reise bei den Profis von Salzburg über Gladbach und Dortmund bis nach Leipzig zusammen bestritten.
Sind Sie seelenverwandt?
Er ist Leipziger, ich bin in Dresden aufgewachsen. Das war schonmal eine gute Basis. Dazu haben wir die gleichen Ansichten, was Spielphilosophie angeht – die Kombination aus aktivem Spiel und Ballbesitz. Das mag ich genauso. Und natürlich reden wir auch über private Dinge und tauschen uns aus. Der Trainerjob ist nicht immer nur Champions League. Da sind auch Dinge dabei, die nicht cool sind. Meine kleinen Kinder spielen auch Fußball, der Große hat jetzt im Salzburger Dom gesungen – da bin ich nicht dabei. Das ist die Kehrseite der Medaille.
Wie lange bleibt man zusammen, wenn es im Trainerteam so gut funktioniert? Ist es für Sie ein Thema, eines Tages auch mal getrennte Wege zu gehen?
Mir macht es hier unheimlich Spaß, es ist brutal interessant auf diesem extrem hohen Level. Rosi und ich wissen beide, dass wir drüber reden können, wenn mal was passieren sollte und ich doch mal was Eigenes machen möchte. Aber vielleicht hat ja auch Rosi irgendwann mal keinen Bock mehr, mit mir zu arbeiten (lacht.)
Zickler: „Sauge permanent neue Dinge auf”
Würden Sie es in Betracht ziehen, wenn einer Ihrer Herzensvereine wie Dynamo Dresden anfragen würde?
Ich bin jetzt schon lange als Co-Trainer tätig, sauge permanent neue Dinge auf. Vielleicht möchte ich mich irgendwann auch mal in einer anderen Rolle ausprobieren und all diesen Input als Cheftrainer weitergeben. Wenn es irgendwann mal passt – warum nicht?
Gab es mal eine Alternative zu Fußball in Ihrem Leben?
Ich habe damals bei Dynamo eine Lehre als Industriemechaniker gemacht, aber dann abgebrochen. Mein Vater war Mitinhaber eines Architekturbüros. Technisches Zeichnen und Architektur haben mich auch interessiert. Wenn ich nicht Profi geworden wäre, wäre es sicher in diese Richtung gegangen. Aber ich bin schon froh, dass es mit dem Fußball geklappt hat. Ich habe viel mitgemacht und es ist schön, dass ich immer noch dabei sein darf.
Trotz Ihrer drei Schienbeinbrüche?
Der Nagel ist noch drin, der hält, das war Wertarbeit. Ich merke höchstens Wetterumschwünge, versuche, mich jeden Tag fitzuhalten. Ich kann zufrieden sein, dass es mir anders als anderen Ex-Profis körperlich gut geht und ich diese Lebensqualität habe.