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RB LeipzigRB-Leipzig-Keeper Peter Gulacsi im Interview: „Ich kann noch viel besser werden”

Von Martin Henkel, Ullrich Kroemer 16.01.2021, 07:01
„Es war immer mein Ziel, dass ich alle drei Wettbewerbe durchspielen kann”: Peter Gulacsi hat bei RB Leipzig sein Glück gefunden.
„Es war immer mein Ziel, dass ich alle drei Wettbewerbe durchspielen kann”: Peter Gulacsi hat bei RB Leipzig sein Glück gefunden. imago/motivio

Peter Gulacsi ist aktuell der statistisch beste Keeper der Bundesliga. Beim 1:3 gegen Dortmund erlebte der 30-Jährige zuletzt aber einen bitteren Abend. Vor der Chance am Samstag (15.30 Uhr) in Wolfsburg, wieder auf die Erfolgswelle zu kommen, sprachen die MZ-/RBlive-Reporter Martin Henkel und Ullrich Kroemer mit dem Ungarn ausführlich über die Gründe für Leipzigs Topspiel-Komplex, seine persönliche Entwicklung und Chancen gegen Deutschland bei der EM im Sommer.

Herr Gulacsi, vor genau einer Woche hat RB mit dem 1:3 gegen Dortmund eine herbe Niederlage einstecken müssen. Sie hätten an die Tabellenspitze springen können. Konnten Sie schlafen in der Nacht auf Sonntag?
(lacht) Nach späten Abendspielen schlafe ich aufgrund des vielen Adrenalins generell nicht so gut. Aber ich habe geschlafen, ja. So wie ich normalerweise auch nach Siegen schlafe.

Es hat Sie die Niederlage demnach gar nicht so sehr beschäftigt?
Doch, natürlich. Wir hätten das Spiel gern gewonnen. Die Chance, vom BVB wegzuziehen war da, auch auf die anderen Konkurrenten, Bayer Leverkusen, Wolfsburg, Union, die nicht gewonnen haben, hätten wir Boden gutmachen können. Aber es ist nicht das Ende der Welt. Wir haben es aufgrund der zweiten Halbzeit verdient verloren.

Für sich betrachtet, ist das Ergebnis kein Drama. Im größeren Kontext ergibt dich Frage, ob RB an einem Topspielkomplex leidet. Den letzten Sieg gegen BVB oder FCB gab es 2018.
Wir haben vorige Saison 3:3 gegen Dortmund gespielt, diese Saison 3:3 gegen die Bayern. Wir waren oft nah dran, zu gewinnen. Und auch jetzt gegen den BVB waren wir lange gut im Spiel. Wir wollen das Thema auch nicht größer machen als es ist. Wir haben Manchester United geschlagen, Paris St. Germain, einmal Atlético, zwei Mal Tottenham.

Wie erklären Sie sich, dass das in der Bundesliga nicht gelingt?
Weil die deutschen Mannschaften sehr stark sind momentan. Die Bayern sind Champions-League-Sieger, der BVB hat extrem gute Qualität. Auch gegen Bayer Leverkusen haben wir diese Saison nicht verloren und vergangene Spielzeit Gladbach auswärts geschlagen. Ja, wir spielen gegen diese Teams in der Liga oft unentschieden, und ja, wenn wir noch einen Schritt nach vorne machen wollen, dann müssen wir diese Spiele auch gewinnen. Aber es ist alles kein Drama, und ist nicht so, dass uns diese Teams immer schlagen.

Sind die Erwartungen im Umfeld von RB vielleicht zu hoch?
Sich große Ziele zu setzen, ist grundsätzlich nicht schlecht. Nur so kann man sich weiterentwickeln. Gleichzeitig muss man realistisch bleiben, und sehen, welche Chancen man hat. Wir haben im Sommer mit Timo Werner und Patrik Schick gut 50 Tore verloren, das mit neuen Spielern zu kompensieren, braucht Zeit. Und die muss man sich nehmen. Wir haben zurzeit wenig Training und trotzdem stehen wir im DFB-Pokal, mit dem Champions-League-Achtelfinale und als Zweiter der Meisterschaft gut da und haben in allen Wettbewerben gute Chancen. Wir haben jetzt noch zwei Hinrundenspiele. Wenn wir die gewinnen, sind wir einen Punkt über unserem Vereinsrekord.

Peter Gulacsi über die Titelambitionen von RB Leipzig: „Nicht das Alter ist ausschlaggebend, sondern die Mentalität”

Ihr Kollege Willi Orban meinte vergangene Woche, das Team sei immer noch sehr jung und müssen lernen. Ist die Erzählung vom unerfahrenen RB-Team nicht auserzählt?
Nein. Willi meinte nicht, dass wir im Team dem Alter nach jung sind, sondern mental, was die Erfahrung vieler immer noch junger Spieler bei uns auf Toplevel anbetrifft. Es gehört in jungen Jahren dazu, dass man nicht in jedem Spiel die nötige Konstanz hat und mehr Fehler macht. Trotzdem sind wir alle natürlich hungrig auf mehr.

Sie haben kürzlich gesagt, Sie wollen mit RB gern „Blech“ gewinnen, sprich einen Pokal oder Titel. Wie realistisch ist das, wenn Sie sagen, dass dem Team fünf Jahre nach dem Aufstieg die Reife fehlt?
Wir haben schon das Ziel, irgendwann einen Titel zu gewinnen. Dafür ist aber nicht das Alter der Mannschaft ausschlaggebend, sondern die Mentalität. Und man muss sich vor Augen führen, dass nur die wenigsten Teams was gewinnen. Wenn man aber wie wir in den vergangenen Jahren immer oben mitspielt, oder wie 2019 im Pokalfinale steht, dann soll das irgendwann auch mal klappen. Das ist unsere Motivation. Wir sind überall noch gut dabei.

Sie sind jetzt 30. Was treibt Sie noch an außer Blech oder Titel? Bester Keeper der Liga vielleicht, falls Sie es nicht schon sind. Oder Europas?
Für mich ist das Allerwichtigste, was die Leute bei RB über mich denken. Ich möchte mir den Respekt und die Unterstützung im Verein verdienen. Und ich will der Mannschaft helfen, dass sie Spaß daran hat, zu Null zu spielen. Das ist ja die Basis für unseren Erfolg.

Ihr Trainer sagte neulich, früher hätten sie viel Langholz geschlagen, jetzt geht es mehr über die kurze Distanz. Sprich, Sie sind jetzt öfter als Passgeber gefragt. Was ist die entscheidendste Weiterentwicklung in Ihrem Spiel?
Stimmt. Fußballerisch habe ich noch einmal einen Schritt nach vorn gemacht. Beim flachen Herausspielen geht es darum, kognitiv eine Entscheidung zu treffen und sie technisch bestmöglich auszuführen. In beidem bin ich schon viel besser geworden. Es gibt natürlich immer Situationen, in denen ich noch ein wenig ruhiger bleiben kann, noch länger warten und im letzten Moment öffnet sich vielleicht noch eine flache Anspieloption. Das wird immer präziser, aber da kann ich zugleich auch noch viel besser werden. Ich bin niemals zufrieden. Wenn man irgendwann zufrieden ist, ist der Zeitpunkt gekommen, an dem man verliert. Ich will einfach immer besser werden.

Gulacsi kann endlich durchspielen: „Es war weder für mich, noch für Yvon Mvogo einfach“

Welche Veränderungen hat es noch gegeben?
Es war immer mein Ziel, dass ich alle drei Wettbewerbe durchspielen kann. Wie für jeden anderen Torhüter auch. Als Yvon Mvogo (aktuell verliehen nach Eindhoven, Anm. Red.) hier war, war es weder für ihn, noch für mich einfach, weil er verständlicherweise auch gern Europa League und Pokal spielen wollte und Einsätze bekommen hat. Aber auch aus dieser Situation haben wir beide gelernt und sind gestärkt daraus hervorgegangen.

Sie haben bis dato sieben Partien zu Null gespielt, haben aber auch so wenige Schüsse aufs Tor bekommen, wie kein anderer Keeper der Bundesliga. Woran macht man das fest, einer der besten Torhüter der Liga oder Europas zu sein?
Ich habe nicht weniger zu tun, ich will auch fußballerisch im Spiel präsent sein. Für mich ist ein guter Keeper der, der immer saubere Spiele macht, konstant ist, seine Mannschaft stabilisiert und hin und wieder mit einem big safe was rettet.

Der ungeliebte Zwillingsbruder der großen Parade ist der große Patzer, wie Ihrer im EM-Qualifikationsspiel mit Ungarn gegen Island, der zum 0:1 führte. Wie haben Sie die letzten Minuten das Spiels wahrgenommen, als ihre Kollegen die Partie noch mit zwei Treffern gedreht haben?
Das war das wichtigste Spiel in den vergangenen sechs Jahren im ungarischen Fußball. Drei Minuten vor dem Ende kam der Ausgleich, da habe ich schon gedacht: Okay, wenigstens können wir wieder bei Null anfangen. In der Nachspielzeit fällt dann das 2:1 – das war pure Erleichterung und eine Explosion der Gefühle. So eine Geschichte kann nur der Fußball schreiben!

Wie wichtig sind die EM und speziell das Gruppenspiel gegen Deutschland für Sie und den ungarischen Fußball?
Wir spielen gegen die letzten beiden Weltmeister und den aktuellen Europameister. Für uns ist es in erster Linie stark, dass wir in dieser Gruppe dabei sind. Wir haben als Team in den letzten sechs Monaten viele Fortschritte gemacht, unser italienischer Trainer Marco Rossi hat gute Entscheidungen getroffen, junge Spieler zu integrieren. Wir haben jetzt Stabilität im Team, haben unsere Nations-League-Gruppe gewonnen und in den neun Spielen 2020 nur bei der einzigen Niederlage gegen Russland mehr als ein Gegentor bekommen.

Gulacsi über die EM: „Haben kein Problem damit, Frankreich zu schlagen”

Aber?
Wir haben gute Gegner wie die Türkei geschlagen, aber diese Mannschaften sind nicht auf dem Level von Deutschland, Frankreich und Portugal. Wir müssen in Anbetracht der Gegner auch realistisch bleiben. Trotzdem wollen wir versuchen, die Favoriten zu ärgern. Wir versuchen alles, um als einer der vier besten Gruppendritten weiterzukommen. Wer weiß, vielleicht können wir an einem guten Tag gegen einen der Drei Punkte holen?

Doch nicht etwa gegen das DFB-Team?
(lacht) Wir haben auch kein Problem damit, Frankreich zu schlagen. Mit guter Organisation und guter Arbeit gegen den Ball kann man auch große Mannschaften international sehr ärgern.

Den Siegtreffer gegen Island hat Ihr neuer Klubkollege Dominik Szoboszlai erzielt, ein neuer Jungstar des europäischen Fußballs. Was macht ihn plötzlich so stark?
Ich kenne ihn schon ein paar Jahre. Man hat schon in der Jugend gesehen, dass er außergewöhnliches Talent hat – vor allem seine Schusstechnik! Am meisten aber hat sich in der letzten Zeit sein Körper verändert. Nach der Coronapause ist er viel fitter zurückgekommen. Im Spiel ist er jetzt noch besser eingebunden als zuvor, auch gegen den Ball arbeitet er deutlich stärker. Deswegen kann er seine Qualität und sein Potenzial jetzt viel besser ausnutzen.

Wird er so schnell einschlagen wie Erling Haaland bei Dortmund?
Er ist schon jetzt im Nationalteam unsere Nummer zehn. Als Typ ist er ein ganz cooler Junge mit viel Selbstvertrauen, das braucht man auf dieser Position. Aber er muss noch viel lernen und hat noch so viele Möglichkeiten. Es war die richtige Entscheidung für ihn, nach Leipzig zu gehen. Man sieht, was solche Spieler mit viel Potenzial und Hunger bei uns erreichen können. Hoffentlich wird er schnell fit. Vielleicht kann er uns noch in dieser Saison helfen, sicher aber in der Zukunft. Das ist eine sehr gute Verpflichtung für unseren Verein.

Haben Sie ihm zum Wechsel geraten?
Klar hatte er Fragen. Aber er kennt auch viele andere aus unserer Mannschaft noch aus Salzburg. Wenn man in Salzburg spielt und sieht, welches Potenzial es in Leipzig gibt und auf welchem Niveau und in welcher Art und Weise wir in letzter Zeit gespielt haben, kann das sehr attraktiv für Spieler sein.

Rückkehr nach Liverpool: „Fahre mit dem klaren Willen nach Anfield, ins Viertelfinale einzuziehen”

Nur bei Haaland hat das nicht geklappt.
Er ist schon unglaublich gut. Ich denke, er könnte in kurzer Zeit einer der besten Stürmer der Welt werden. Andere Vereine haben auch Scouts und wollen die weltbesten Talente verpflichten. So ist das Geschäft.

Im Februar und März spielen Sie mit RB Leipzig erstmals gegen den FC Liverpool, wo Sie sechs Jahre lang ausgebildet wurden. Ist es eine Genugtuung für Sie, jetzt in zwei so wichtigen Spielen auf Ihren Ex-Klub zu treffen?
Klar ist es schön, mal ein Champions-League-Match in Liverpool zu bestreiten. Aber ich bin kein so sentimentaler Typ. Ich werde nicht in Anfield stehen und die Erinnerungen aus den sechs Jahren Revue passieren lassen oder mir Gedanken machen, was wäre passiert, wenn ... Nein, ich bin da, um mit RB Leipzig ein Spiel zu gewinnen! Ich will in der Champions League weiterkommen. Es wird brutal schwer, Liverpool ist eine der besten Mannschaften der Welt mit einer tollen Philosophie. Wir müssen an die Grenzen unseres Könnens stoßen und zwei gute Tage erwischen. Aber ich fahre mit dem klaren Willen nach Anfield, ins Viertelfinale einzuziehen.

(RBlive/ukr/hen)