RB LeipzigRB-Stürmer Alexander Sörloth im Exklusiv-Interview: "Ich habe zwei Tage gebraucht, um das aus meinem Kopf zu kriegen"
Eine Reise wie jeder andere Ausflug wird das nicht für Alexander Sörloth zum Freitagabendgegner von RB Leipzig, Arminia Bielefeld. Gegen die Ostwestfalen verschoss der 24-Jährige im Hinspiel einen Elfmeter, der den Tiefpunkt seiner ersten Monate nach dem 20-Millionen-Euro-Wechsel von Tranzonspor an den Cottaweg markierte.
29 Einsätze, vier Treffer
Doch der von seinem Trainer Julian Nagelsmann vormals als "vielleicht gerade zu verkopft" bezeichnete Norweger hat sich mittlerweile gefangen. 29 Einsätze stehen zu Buche, vier Treffer und drei Vorlagen. Nicht die schlechtesten Werte für einen Neuling unter einem so fordernden Coach.
RBlive- und MZ-Reporter Martin Henkel hat sich mit dem Angreifer über Lebenskreise und dunkle Tage unterhalten, und darüber, mit welchem Trick er einen Weg aus seiner Krise fand, was Trabzon von Leipzig unterscheidet und ob es Fußballer gibt, die nicht Playstation spielen.
Herr Sörloth, das Leben steckt voller Kreisläufe. Einer schließt sich für Sie am Freitagabend mit dem Spiel gegen Bielefeld.
Alexander Sörloth: Sie spielen auf meinen verschossenen Elfmeter im Hinspiel an, oder?
Stimmt. Wenn Sie auf diese Partie zurückblicken, welchen Alexander Sörloth sehen Sie dann?
Einen, der zwei Tage gebraucht hat, um das Spiel aus seinem Kopf zu kriegen.
So schlimm?
Normalerweise vergesse ich schnell, ich habe ja in meiner Karriere schon ein paar Elfmeter verschossen. Aber dieses Mal war es anders. Ich hatte bei RB Leipzig noch nicht getroffen und bin ins Grübeln gekommen. Dann bekomme ich meine Chance – und treffe leider nicht.
Ihr Trainer meinte damals, Sie würden sich durch zu vieles Nachdenken selbst blockieren.
Ja, das kommt ungefähr hin. Ich erwarte sehr viel von mir, will treffen, will Tore auflegen und dem Team helfen. Das ist mit in der Anfangszeit nicht so gut gelungen, deshalb wurde der Druck immer größer.
Geh' raus und schieß' Tore!"
RB-Stürmer Alexander Sörloth
Welche Rolle spielte dabei der Wechsel aus der Türkei in die Bundesliga?
Bei Trabzonspor bestand meine Aufgabe im Grunde eigentlich nur aus einer Sache: Geh raus und schieß‘ Tore. Taktisch oder strukturell lagen die Schwerpunkte anders. Für mich war also zum Teil neu, dass es nicht nur in der Defensive, sondern es auch in der Offensive viel um Laufwege, Mitverteidigen, Anlaufverhalten oder Spielzüge geht. Ich stand plötzlich vor Fragen wie: Wie soll ich mich wann, wohin bewegen?
Sie haben angefangen nachzudenken. Gift für Fußballer, wie man weiß.
Das ist es. Ich bin am besten, und das gilt für die meisten von uns, wenn ich nicht darüber nachdenken muss, was ich tue oder tun muss. Wenn sich alles natürlich anfühlt.
Wie haben Sie da rausgefunden?
Das Wichtigste für mich war und ist, dass ich mit mir selbst klarkomme. Nur ich allein konnte da rausfinden, sonst wirkt die ganze Unterstützung durch Videostudium, Training oder Reden nicht. Das war meine Schlüsselaufgabe. Wie gesagt: Ich war sehr darauf aus, mein erstes Tor zu schießen. Dieser Druck wurde immer größer. Erst als ich mir andere Ziele gesetzt hatte, ging es leichter.
Wege aus der Krise
Welche waren das?
Ich habe meinen Fokus neu justiert und mir gesagt: Bring‘ dich in die bestmögliche Fitness, spiele so gut, wie es geht und denk‘ nicht so viel darüber nach, ein Tor zu schießen. Das kommt irgendwann von alleine.
Welche Rolle hat Julian Nagelsmann dabei gespielt?
Wir hatten ein paar Treffen und haben uns unterhalten. Der Coach hat mir gezeigt, wie er sich meine Rolle vorstellt. Wir waren uns einig, dass es von außen nur begrenzt Mittel gibt, mir aus meiner Situation zu helfen. Ich musste das schon selbst herausfinden.
Wie haben Ihre Kollegen in der Phase reagiert?
Ich habe nach dem verschossenen Elfmeter viel Unterstützung aus dem Team bekommen. Das hat mir sehr geholfen.
Yussuf Poulsen ist Däne, Emil Forsberg Schwede, Sie Norweger: ein skandinavischer Dreierbund also. Oder ist es ein Klischee, dass man sich dadurch nähersteht?
(lacht) Die Verbindung ist schon da und vielleicht schneller als zu anderen. Vor allem am Anfang haben Yussi und Emil viel mit mir gesprochen. Aber ich denke, mein Betreuungsbedarf war überschaubar. Ich habe schon ein paar Klubwechsel hinter mir.
Kürzlich erklärte Nagelsmann, dass die aktuelle Pandemielage den Neuen im Team nicht gerade hilft, sich schneller heimisch zu fühlen. Meinte er damit auch Sie?
Das weiß ich nicht. Wenn man neu bei einem Klub ist, dann geht man meistens zusammen essen oder singt in der Kabine sein Einstandslied, um schneller in der Gruppe aufgenommen zu werden. Das konnte bisher Corona-bedingt noch nicht stattfinden. Aber ich bin jetzt sieben Monate da und fühle mich wohl und als Teil der Mannschaft.
Bengalodampf und Sprechchöre
Ihre Rolle ist nicht mehr nur die eines Torjägers wie bei Trabzon. Wie finden Sie das?
Eigentlich ist das gar nicht so anders. Ja, meine Startposition in den Spielen ist jetzt weiter auf der Außenbahn. Aber mein Ansatz ist gleich: Komm‘ so schnell wie möglich hinter die gegnerische Verteidigungslinie und bringe dich in Abschlusspositionen oder setze deine Nebenleute ein. Ich bin am besten, wenn ich das Tor und den Gegner vor mir habe. Aber Flanken kann man mir natürlich jederzeit servieren.
Jeder Mensch hat Vorstellungen davon, was ihn erwartet, wenn er an einen anderen Ort wechselt. Und häufig kommt es anders, als man denkt. Wie war das bei Ihnen?
Kulturschock? (lacht) Nein, im Ernst, Spiele ohne Fans waren äußerst seltsam für mich. Normalerweise kommst du zu einem neuen Klub und willst natürlich Kontakt zu den Fans aufnehmen. Vor allem als Stürmer. Und dann spielen wir vor leeren Rängen. Das war bisher unvorstellbar für mich, gerade nach den zwei Jahren bei Trabzon.
Wo sie mit Bengalodampf und Sörloth-Chören auf sehr emotionale Weise verabschiedet wurden.
Ja, das sind im Vergleich mit der aktuellen Situation zwei verschiedene Welten. In Trabzon konnte ich nirgendwo hingehen, ohne dass man Selfies oder Autogramme von mir wollte. Am Ende, als ich so viele Tore geschossen hatte, wurde es echt verrückt. Das war auf der einen Seite schön, aber auf der anderen Seite auch eine Erleichterung, als ich hierhergekommen bin. Weil wir Norweger ein bisschen wie die Deutschen sind oder umgekehrt, kommt mir das in Deutschland alles sehr vertraut vor. Hier lässt dich jeder mehr oder weniger in Ruhe.
Es geht gerade ohnenhin nicht viel.
Richtig. Aber ich wohne am Stadtrand von Leipzig, da würde ich sowieso nicht viel mitbekommen, was im Zentrum vor sich geht.
Man würde meinen, einen jungen Fußballer zieht es eher in die Innenstadt.
Ja, das war eine Option. Aber meine Freundin hatte sich in ihrer Instagram-Story nach einem Haus erkundigt. Das haben wir jetzt, dank meiner Vermieter, die auch unsere Nachbarn sind und uns am Anfang sehr geholfen haben. Ich hatte schon mal ein Haus in Dänemark, als ich in Midtjylland gespielt habe. Das erinnert mich daran. Wir haben viel Platz, einen großen Garten, Ruhe. Ich mag das sehr.
Alex - Allein zu Haus
Ihre Freundin studiert in Trondheim und ist deshalb vermutlich oft unterwegs. Wie stellt man sich Alex - Allein zu Haus vor?
(lacht) Ich komme ganz gut mit mir klar.
Niemand, der mal rumkommt, Kollegen aus der Kabine vielleicht?
Wegen Corona geht das ja alles nicht. Und die meisten Kollegen haben Familie oder Freundinnen, mit denen sie Zeit verbringen. Ich sehe sie ja am Trainingsgelände. Und dann fahre ich nach Hause, gucke Filme oder spiele Playstation, wenn meine Freundin nicht da ist.
Gibt es eigentlich Fußballer, die nicht an der Konsole hängen?
(lacht) Ich kenne keinen. Aber ich spiele Fifa, also eine Fußballsimulation mit ein paar Freunden aus Trondheim. Die meisten Kollegen spielen andere Sachen.
Wenn Sie einen Algorithmus für die Partie in Bielefeld schreiben könnten, wie würde der aussehen?
Weiß nicht. Ich denke, ich muss vielleicht gar nicht unbedingt treffen, nur um mit dem damals verschossenen Elfer abzuschließen. Nach dem Bielefeld-Spiel kam die Partie in der Champions League gegen Basaksehir Istanbul…
… In dem sie zum entscheidenden 4:3 kurz vor Spielende trafen …
(lacht) Genau. Die Woche damals begann für mich ziemlich schlecht und endete auf die bestmögliche Art. Fußball eben. (RBlive/hen)