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Experte Über Union-Perspektive „Viele Defizite, die durch den Erfolg überdeckt werden”

Von Ullrich Kroemer 02.09.2023, 06:00
Die Fans geben das Motto vor: „Schlüssel zum Erfolg: Nie vergessen, woher wir kommen”
Die Fans geben das Motto vor: „Schlüssel zum Erfolg: Nie vergessen, woher wir kommen” (Foto: imago/Beautiful Sports)

„Ciao!”, sagte der neue Star der Unioner und trat aus dem Dunkel des Fotostudios ins Scheinwerferlicht. „I am Leonardo Bonucci.” Doch natürlich weiß eh jeder Union-Fan und auch sonst jeder Fußballinteressierte, wer der Europameister von 2021 ist. Mit dem 36 Jahre alten Kapitän der italienischen Nationalmannschaft wechselte am letzten Tag des Transferfensters ein Urgestein des Weltfußballs von Juventus Turin nach Berlin-Köpenick. Nach Kevin Volland (31) und Robin Gosens (29) der nächste große Name beim Arbeiterklub aus der Wuhlheide. Tags zuvor wurden den „Eisernen” unter anderem Real Madrid und die SSC Neapel als Gruppengegner bei der ersten Champions-League-Teilnahme zugelost.

Surreale Situation bei Union

>>> Weiterlesen: Die mögliche RB-Startelf gegen Union

Kein Zweifel: Vor dem Gastspiel von RB Leipzig in der Alten Försterei an diesem Sonntag (17.30 Uhr) überschlagen sich die Ereignisse bei Union. Nur zur Erinnerung: 2005/06 kickte Union noch viertklassig; erst vor gut vier Jahren gelang der erste Aufstieg in die Bundesliga. Und nun tummeln sich Weltstars bei dem Arbeiterklub und die „Königlichen” von Real Madrid kommen zum Pflichtspiel vorbei. Fast schon „surreal”, wie der Klub am Freitag selbst twitterte.

Grundstein dieses Erfolgs ist die langfristige Zusammenarbeit des Triumvirats aus Trainer Urs Fischer (seit 2018), Geschäftsführer Oliver Ruhnert (seit 2017) und Präsident Dirk Zingler (seit 2004). Insbesondere was Manager Ruhnert, der nebenbei noch Linken-Lokalpolitiker und Kreisliga-Schiedsrichter in Iserlohn im Sauerland ist, auch anfasst, es scheint ihm mit Hartnäckigkeit, Gespür und Fantasie zu gelingen. Auch schon, als kaum Geld für Zugänge da war.

Mentalität statt Potenzial

Kevin Behrens etwa holte Ruhnert 2021 ablösefrei aus Sandhausen. Da war der Stürmer 30. Nun ist er Stammspieler und steht mit vier Toren nach zwei Spielen auf Rang eins der Torjägerliste. Oder Rani Khedira, der mangels Begabung 2017 bei RB Leipzig ausgemustert wurde, ist nun Kapitän und ein Kandidat für die Nationalmannschaft. Und Rekordzugang Robin Gosens traf gleich in seinem ersten Bundesligaspiel von Beginn an zwei Mal. „Manchmal muss man sich selbst kneifen und fragen, ob das alles wahr ist”, hatte Ruhnert im ZDF-Sportstudio eingeräumt.

Anders als etwa RB Leipzig legt Union bei der Kaderzusammenstellung den Fokus nicht auf das Potenzial junger Spieler hinsichtlich Talents und Marktwertentwicklung, sondern vor allem auf Mentalität. „Union hat gewisse Normen und Werte, wofür sie stehen: das harte Arbeiten, das Nix-geschenkt-Bekommen – das zeichnet auch meinen Lebensweg als Fußballer aus”, sagte Gosens. Union-Spieler müssen zum Union-Fußball und -Image passen – dann sind Alter, Vertragslaufzeit und andere Faktoren zweitrangig.

Experte Zülch: Die Achillesfersen bei Union

Auch Leipzigs Coach Marco Rose benennt als Erfolgsfaktoren: „guter Trainer, klare Idee, sehr gute Kaderplanung”. Den Herausforderungen angemessen steige die individuelle Qualität der Spieler zwar ständig. Doch das Spielprinzip mit klaren Abläufen aus der Dreierkette heraus mit zwei physisch starken Stürmern im Zentrum und vielen hohen Bällen ändere sich nicht. Mit Blick auf steigende Ausgaben und Einnahmen bei Union bemerkte Rose süffisant: „Auch bei Union Berlin wird sicher nicht mit Schrippen, Stullen, Broilern oder Bouletten bezahlt. Auch dort findet eine stetige Entwicklung statt. Union ist einfach angekommen – mittlerweile in der Champions League.”

Doch wie nachhaltig ist das Köpenicker Märchen tatsächlich? Professor Henning Zülch von der HHL Leipzig, der die Managementqualitäten der Bundesligisten untersucht, mahnt, dass Union das zweitälteste Team der Liga und zu kurze Vertragslaufzeiten mit Spielern habe. So werde man in Zukunft höchstwahrscheinlich weniger Ablösesummen generieren und wäre limitiert bei künftigen Spielertransfers. Zudem hinke „die Nachwuchsarbeit weit hinter der der Konkurrenz” zurück, betont er im Gespräch mit RBlive/MZ.

Im aktuellen Management-Ranking der HHL (Seite 46) belegt Union nur Rang zwölf. „Man kann mittelfristig von Union erwarten, sich wie ein solider Mittelfeldklub aufzustellen”, bewertet Zülch. Mehr nicht. „Ein solcher Klub muss in Infrastruktur, Steine und Nachwuchsarbeit investieren, wenn man solide sein will. Es gibt aktuell viele Defizite, die durch den Erfolg überdeckt werden. Jetzt hat Union die einmalige Chance, die Geschicke in langfristige Bahnen zu lenken und sich zu professionalisieren”, bewertet der Experte. Sonst kann es ganz schnell „Ciao, Union” heißen, wenn der Höhenflug vorbei ist.

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