Red-Bull-Klubs in Schieflage Das unterscheidet die Krisen in Leipzig und Salzburg
Taktikexperte Daniel Memmert von der Deutschen Sporthochschule Köln geht der Frage nach, wie die Trainer die Red-Bull-Philosophie an den Standorten Salzburg und Leipzig umsetzen und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis.
Leipzig/Köln – Professor Daniel Memmert ist geschäftsführender Leiter des Instituts für Trainingswissenschaft und Sportinformatik an der Deutschen Sporthochschule Köln. Vor dem Champions- League-Duell zwischen RB Leipzig und dem FC Liverpool (Mittwoch, 21 Uhr) hat der Experte für Spielanalyse in seiner Kolumne „Memmerts Taktik-Sprechstunde” die Verpflichtung von Jürgen Klopp unter die Lupe genommen.
Von Prof. Daniel Memmert
In Krisenzeiten – das ist im Sport nicht anders als in der Politik oder anderen Gesellschaftsbereichen – ist man gut beraten, sich Gesamtsituation und Fakten zu vergegenwärtigen. RB Leipzig steht nach 13 Spieltagen in der Bundesliga auf Rang vier – besser als Dortmund und Stuttgart – und wäre damit direkt für die Champions League qualifiziert. Genau diese Platzierung ist die am Saisonende realistisch angestrebte. Dazu steht Leipzig im Viertelfinale des DFB-Pokals, was Bayern München, Borussia Dortmund und Eintracht Frankfurt nicht von sich behaupten können.
Das vorzeitige Ausscheiden in der Champions League ist natürlich eine Enttäuschung. Aber da darf man die Stärke der Gegner nicht unberücksichtigt lassen. Drei der Leipziger Gegner sind unter den ersten acht Teams der Tabelle in der Königsklasse, zwei weitere unter den Top 16. Bayern München etwa hatte nur drei Gegner aus den Top-16 der Tabelle und auch Borussia Dortmund hatte insgesamt schwächere Kontrahenten. Beide Klubs haben übrigens ihre jeweils zwei Spiele gegen die Mannschaften unter den Top-Acht ebenfalls verloren. RB hatte ein Hammerprogramm und ausgesprochenes Lospech – das wird mir in der Gesamtbetrachtung zu wenig berücksichtigt.
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RB Leipzig muss lernen, den Fokus zu halten
Dazu kommt der Faktor Spielglück. Wie wissen aus einer wissenschaftlichen Auswertung von über 9000 Spielen in der Premier League, dass 42 Prozent aller Tore durch Zufallsfaktoren fallen. Und diesbezüglich ist RB nicht vom Glück geküsst worden, siehe den 3:2-Siegtreffer von Aston Villa am Dienstag, den Lukas Klostermann mit dem Rücken unhaltbar abfälschte.
Aber die Mannschaft muss aus der schweren Phase mitnehmen, dass sie lernen muss, den Fokus zu halten und durch mehr Konstanz zu reifen. Gerade nach Führungen wie etwa beim 3:4 gegen Hoffenheim. Da war offensichtlich, dass die Spieler trotz mehrfacher Führungen nicht das nötige Selbstverständnis im eigenen Spiel aufgebaut haben.
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Parallelen zu Klopp
Doch ich wünsche mir, dass der Verein und insbesondere auch der Aufsichtsratsvorsitzende Oliver Mintzlaff die Ruhe bewahren und nicht in Aktionismus verfallen. Denn RB Leipzig hat in Marco Rose einen nahezu kompletten Trainer, der die Red-Bull-Fußballphilosophie so direkt umsetzt, wie es nur wenige Trainer vermögen, die gerade auf dem Markt sind.
Mich erinnert die Situation ein wenig an Jürgen Klopp und den BVB in der Saison 2014/15, als Dortmund nach der Hinrunde auf Rang 17 stand. Wir haben damals im Nachgang die Daten analysiert und konnten nachweisen, dass der BVB in dieser Phase außerordentliches Pech hatte – in diesem Fall durch nachweislich falsche Schiedsrichterentscheidungen. Ähnlich wie RB Leipzig jetzt, wo an diesem Wochenende zehn Spieler fehlen werden. Der BVB hat damals die Ruhe bewahrt. Und auch RB Leipzig sollte ein vorzeitiges Aus in der Königsklasse mal ertragen können, ohne dass im Verein die große Unruhe ausbricht.
Demütigung des Salzburger Spiels
Anders als in Leipzig stellt sich die Situation aus meiner Sicht in Salzburg dar. Ich habe mir das Spiel gegen Hartberg angesehen, das Salzburg zwar 4:0 gewonnen hat. Doch bei diesem Spiel hat mich sehr überrascht, dass der technisch und spielerisch deutlich limitierte Gegner 90 Minuten lang vom Torwart aus kurz heraus gespielt hat. Das habe ich als Demütigung des eigentlichen Spiels von Salzburg empfunden. Unter Trainern wie Roger Schmidt und Marco Rose hätten sich die Gegner das nie gewagt – er wäre von der Pressingmaschine erdrückt worden. Das sagt sehr viel aus über die aktuelle Fußballidee in Salzburg, die unter Pep Lijnders nicht mehr wirklich Red-Bull-like ist. Gerade deswegen sollte man in Leipzig schätzen, dass da ein Trainer arbeitet, der mit der Red-Bull-Idee gewachsen ist und diese komplett auf die Straße bringt, wenn die Umstände es wieder zulassen.
Es tut einem Verein unglaublich gut, wenn alle wissen – Spieler, Umfeld, Fans –, dass der Trainer gesetzt ist und mit diesem stabilen Trainer eine Ära geprägt werden kann. Da Marco Rose komplett für die DNA und fußballerische Identität des Red-Bull-Konzerns steht, muss man unbedingt versuchen, Kontinuität herzustellen. Dabei sollte man verkraften, dass es auch mal ein Champions-League-Tal gibt. Wenn der Klub jetzt diese Kraft und Ruhe beweist, glaube ich daran, dass RB in der Rückrunde mit all den Rückkehrern sowie Zeit für Training und Regeneration in der Winterpause und ohne Dreifachbelastung das Potenzial hat, in der Tabelle noch einmal richtig für Furore zu sorgen. Genau wie im DFB-Pokal.
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Memmert postet auch auf seinem YouTube-Kanal spannende Inhalte zum Thema Spielanalyse. Via LinkedIn können Sie direkt mit ihm in Kontakt treten.