Reportage zum DFB-Pokal-Sieg Auf Finaltour nach Berlin mit den „Goitzsche Bullen“
RB Leipzig spielt im Berliner Olympiastadion lange in Unterzahl. Doch die Anhänger peitschen ihre Mannschaft zum Sieg. Mittendrin ist ein Fanclub aus Bitterfeld. Warum sie für Leipzig fiebern.
Auf Höhe Niemegk in Brandenburg herrscht im Bus fast Stille. Es ist Sonntagnacht, kurz nach zwei Uhr, auf der Autobahn 9. Kein Jubel schallt durch den Bus, keine Gesänge. Nicht einmal mehr gefachsimpelt wird. Die Erschöpfung eines langen Tages macht sich breit. Eines erfolgreichen und historischen Tages.
„Die ganze Stimmung haben wir im Stadion rausgelassen“, sagt Christoph, der Mitglied der „Goitzsche Bullen“ aus Bitterfeld ist - des 50. offiziellen Fanclubs von Rasenballsport Leipzig (RB). Dort, im Olympiastadion, haben sie ihre Mannschaft nach vorne gepeitscht.
Je länger das Spiel dauerte, desto mehr wurde die Berliner Arena zum Hexenkessel. RB musste gegen den SC Freiburg wegen einer roten Karte über 60 Minuten zu zehnt spielen - und gewann trotzdem den DFB-Pokal. Fans, wie die „Goitzsche Bullen“, waren am Samstagabend ihr elfter Mann.
RB-Fanclub „Goitzsche Bullen“: Allesfahrer Benny
Der erste Jubel dieses langen Tages brandet bereits auf, da ist der Bus vom Bitterfelder Bahnhof noch nicht einmal losgefahren. „Ich hoffe, wir gewinnen heute“, sagt Busfahrer Matthias, bevor er sich hinter das Steuer setzt. Das wird von der fußballaffinen Reisegruppe mit Klatschen und Grölen quittiert. Dann fluppen auch schon die Kronenkorken von den Bierflaschen.
„Wir sind hier nicht beim Schach“, meint Benny, der so etwas wie der Reiseleiter der Auswärtsfahrt ist - und fleißig Flaschen im voll besetzten Bus verteilt. Der 30-Jährige aus Bitterfeld bezeichnet sich - was RB Leipzig anbelangt - nicht als Viel-, sondern als Allesfahrer. „Es gibt eigentlich kein Spiel, bei dem ich nicht bin“, sagt Benny. „Wir sind mal zwölf Stunden nach Lyon gefahren, um 90 Minuten Fußball zu sehen“, erzählt Christoph, der neben ihm sitzt. „Das musst Du einem normalen Menschen erst einmal erklären.“
„Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“, schallt es durch den Bus, der sich 14 Uhr in Bewegung setzt. Im Radio läuft Wolfgang Petry: „Hölle, Hölle, Hölle.“ Benny ruckelt auf dem Sitz hin und her. „Ich hab die Nacht zwei Stunden geschlafen“, sagt er. Dieses Jahr müsse es klappen. Es ist der dritte Anlauf der Rasenballer, den DFB-Pokal zu holen. Zweimal scheiterten sie. „Wir gewinnen heute 4:1 - ganz sicher“, sagt Max - auch so ein RB-Enthusiast.
RB-Fan Benny opfert Urlaub und Freizeit für Reisen mit Leipzig
„Wir sind gekommen, um zu bleiben und nicht zu gehen. Geschichte zu schreiben - ihr werdet sehen“, singen die Sitzreihen im Chor. Die Autobahn ist noch nicht erreicht, da kreisen schon die ersten Becher Kirschlikör durch den Bus. Benny erzählt, wie er vor Jahren eigentlich zum Leipziger Weihnachtsmarkt wollte. Ein Freund und er hätten dann gemerkt, dass auch RB spielt - damals noch in der dritten Liga.
„Wir sind hingefahren und es hat uns gefallen.“ Seitdem kommt der Altenpfleger immer wieder, opfert Urlaub und eigentlich all seine Freizeit. „Mir gefallen die Fahrten, die Menschen, der Zusammenhalt“, sagt Benny. Mit RB ist er in den vergangenen Jahren durch Europa gereist. „In Glasgow habe sie uns in ihren Lieblingspub geführt und in Istanbul wollten türkische Fans Selfie-Bilder mit uns machen.“ Sie seien immer willkommen gewesen. „Diese Freundlichkeit ist beeindruckend“, meint Benny.
In Deutschland allerdings schlägt den Rasenballern viel Skepsis entgegen. Mitunter auch Hass. RB gilt als traditionsloser Verein. Geschaffen von Red Bull und so künstlich, wie die Produkte des österreichischen Getränkeherstellers. Den Fans wird nachgesagt, sie seien ein Opernpublikum. Auf jedem Kindergeburtstag herrsche eine bessere Stimmung als im Stadion der Roten Bullen.
RB-Fans auf der Reise nach Berlin: „Auf der Rückfahrt trinken wir Champagner“
„Pinkelpause, Pinkelpause! Hej! Hej“, johlt der Bus. Die Biere zeigen Wirkung. Der Rastplatz wird kurzerhand zur RB-Fanmeile. Auch andere Busse mit Leipzig Anhängern stehen dort. Und aus so ziemlich jedem Auto hängt ein Rasenballsport-Schal. Roter Rauch vernebelt den Platz. Fahnen werden geschwenkt. Die Grünanlage wird zum Freiluft-Pissoir. Die Kehlen sind feucht und kein Busch bleibt trocken. In der Oper wäre man pikiert.
Zurück in den Bus, der wenig später Berlin erreicht. „Hurra, Hurra, die Leipziger sind da.“ Der zweite Kasten Bier ist leer. „Wir müssen uns noch etwas für die Rückfahrt aufheben“, sagt Benny. „Warum“, fragt Christoph. „Da trinken wir doch Champagner.“
Raus aus dem Bus, Fußmarsch zum Stadion. „RBL! RBL! RBL!“ Rund um die Arena ist Volksfeststimmung. Nur die Trikotdichte verrät den Anlass. Ein Freiburg-Fan wünscht sich Tannenzäpfle-Bier aus dem Zapfhahn. Ein Vater kauft seinem Sohn eine Mütze mit Bullen-Hörnern dran. Die Anhängerschaften sind nicht getrennt und begegnen sich mit respektvoller Ignoranz. „Ich platze innerlich vor Anspannung“, sagt Christoph. Bier für 5,50 Euro und Wurst für 4,50 Euro beruhigen etwas.
RB-Fanclub „Goitzsche Bullen“ fiebern im Olmpiastadion mit: „Auf geht’s Leipziger Jungs“
20 Uhr, Anpfiff. Die Goitzsche Bullen sind schon sechs Stunden unterwegs. Und jubeln ihr Team nach vorn: „Auf geht’s Leipziger Jungs. Schießt ein Tor für uns.“ - „Hier regiert RBL“ - „Uff“ - „Kämpfen und siegen“ - Pause. Freiburg führt. „Schlecht gespielt, so wird das nix“, meint Benny.
Zweite Halbzeit: „Auf geht’s Leipziger Jungs, schießt ein Tor für uns“ - „Schieß doch! Oje!“ - „Jaaaaa!“ - Rasenball hat ausgeglichen. Es geht in die Verlängerung: „Einmal Leipzig, immer Leipzig, he, he.“ Dann Elfmeterschießen. Anspannung pur. Freiburg verschießt, Leipzig trifft: „Deutscher Pokalsieger, Deutscher Pokalsieger, Deutscher Pokalsieger RBL.“
Die Sachen sind nassgeschwitzt, die Kehlen rau. Null Uhr geht es raus aus dem Stadion, beseelt vom historischen Ereignis. Der erste große Titel für RB. Die Goitzsche Bullen sind geschafft, weil ihr Verein es geschafft hat. „Ich will nicht wissen, wie hoch mein Puls am Ende war“, sagt Benny. Es gibt zwar keinen Champagner, dafür aber Rotkäppchen. Ein bengalisches Feuer erleuchtet den Bus und die Berliner Nacht.
Gegen 1 Uhr fährt der Bus zurück nach Bitterfeld. „Wir haben das Ding, Benny. Wir haben das Ding“, sagt Christoph. Seine Stimme klingt, als hätte er Rasierklingen gegurgelt. „Und nächstes Jahr erobern wir dann Europa“, meint Benny. Die Stimme ist dann sicher wieder zurück: „Oh, wie ist das schön, oh, wie ist das schön, sowas hat man lange nicht gesehen, so schön, so schön.“