RB LeipzigRB Leipzigs Marcel Halstenberg exklusiv: "Vielleicht bin ich dem Verein irgendwann zu alt"
Handschlag mit Marcel Halstenberg in Zeiten von „Corona“ und allgemeiner Verunsicherung: Kein Ding für den Nationalspieler von RB Leipzig. Er hat die Ruhe weg und strahlt beim Interview mit der Mitteldeutschen Zeitung/RBlive jene Gelassenheit aus, für die ihn sein Trainer in seiner Stammelf so schätzt - trotz jüngster Verschiebung von der linken Verteidigerposition in die Dreierkette. „Er macht das sehr, sehr stark“, sagte Nagelsmann gestern vor der Partie gegen den VfL Wolfsburg und lobte die Reife seines Abwehrspielers: „Er ist kein Lautsprecher, aber sehr erwachsen.“
Keine Fehler mehr wie gegen Bayer
Nur, sieht der Verein das auch so? Halstenberg hat Vertrag bis 2022, in diesem Jahr wird er 29. Mit RBlive-Reporter Martin Henkel sprach er über seine Zukunftspläne, seine neue Rolle in der Defensive und was der Kader braucht, um die Meisterschaft weiter offen zu gestalten.
Herr Halstenberg, nach dem 1:1 gegen Bayer Leverkusen vergangene Woche beträgt der Rückstand auf Tabellenplatz eins und den FC Bayern drei Punkte und ein um neun Treffer schlechteres Torverhältnis. Wie bewerten Sie die Chancen, noch Meister zu werden?
Die sind weiterhin nicht schlecht. Aber klar, die Bayern müssten mindestens ein Mal patzen.
Sie wiederum dürfen aber auch kein Spiel mehr verlieren.
Richtig. Spiele wie gegen Leverkusen sollten wir ab jetzt definitiv vermeiden.
Gegen Bayer hatte RB große Probleme, wieso?
Wir wirkten etwas träge, der Spielaufbau war nicht gut und wir haben durch eigene Fehler Leverkusen stark gemacht. Wir sind mit dem einen Punkt gut weggekommen.
Wie erklärt sich das? Sie hatten eine Woche Zeit für die Vorbereitung und hätten acht Punkte Abstand herstellen können.
Eigentlich muss man da erst recht heiß sein, aber ich kann nicht sagen, wieso es nicht geklappt hat. Vielleicht war es Müdigkeit im Kopf. Wir hatten ja tatsächlich eine Woche Zeit, waren gut eingestellt.
Sie haben vor einigen Wochen gesagt, dass Sie den möglichen EM-Titel mit der Nationalmannschaft höher bewerten als die Meisterschaft mit ihrem Klub. Würden Sie das so wiederholen?
Na ja, man hat ja gesehen, wie mir das ausgelegt wurde. Aber mal ganz nüchtern betrachtet: Ich wurde gefragt, wenn ich mir einen Titel aussuchen muss – EM oder Meisterschaft – was ich wählen würde? Als Nationalspieler ist ein EM-Titel, den man nur alle vier Jahre gewinnen kann, natürlich eine Riesensache. Ich bin nur ehrlich gewesen. Aber deswegen ist mir der Meistertitel ja nicht egal und ich gebe dafür genauso alles, was ich kann.
Sie hatten Glück, dass die Friseuraffäre wenig später Ihre Aussage aus den Schlagzeilen genommen hat.
(lacht) Das war ein ganz anderes Kaliber.
Wir sind immer noch Zweiter, das sollte man nicht vergessen"
Marcel Halstenberg
Sie waren nicht dabei, als der Barbier aus London nach Frankfurt in Ihr Teamhotel kam. Wie haben Sie die Aktion aufgenommen?
Grundsätzlich gilt bei uns: Was wir vor dem Spiel machen, ist Privatsache. Es war halt nur blöd, dass der Friseur selber Fotos davon ins Netz gestellt hat. Dann verlierst du das Spiel in Frankfurt und natürlich wirkt das unglücklich. Das Thema ist aber intern besprochen worden und jetzt erledigt.
Die zwei Niederlagen gegen Frankfurt in der Liga und im Pokal haben RB Platz eins nach der Winterpause und ein mögliches Pokalfinale gekostet. Wieso fällt es dem Team in der Rückrunde so schwer, konstant zu punkten bzw. siegreich zu sein?
Wir sind immer noch Zweiter, das sollte man nicht ganz vergessen. Aber klar, uns fehlt ein bisschen die Konstanz. Schwer zu sagen, warum. Leverkusen ist allerdings auch keine Laufkundschaft. Es ist kein Selbstläufer, gegen solche Mannschaft zu gewinnen. Trotzdem haben wir immer wieder ein, zwei Spiele drin, die uns zurückwerfen. Dann müssen wir jedes Mal nacharbeiten, warum es nicht klappt. Das ist ärgerlich.
Woran liegt das?
Gewisse Sachen, die der Trainer sehen will, verbessern sich einfach nicht auf konstantem Niveau.
Welche konkret?
Na ja, zum Beispiel wenn der linke Innenverteidiger, also ich, den Zehner im Halbraum anspielt, dass der linke Verteidiger, also Angelino, nach innen kommt als Option, den Ball klatschen, sprich prallen zu lassen, um das Spiel zu beschleunigen. Darin verbessern wir uns nicht, da müssen wir in manchen Situationen noch aufmerksamer werden.
Lieber gegen als ohne Kane
Klingt nicht danach, als wäre das schwer umzusetzen.
Für manche Spieler ist das auf der einen oder anderen Position nicht so einfach. Die Ideen des Trainers sind nicht immer konventionell. Er verlangt Dinge, die nicht viele verlangen, was beispielsweise die Restverteidigung anbetrifft oder das Rausschieben der Abwehr oder halt auch dominant aufzutreten.
Kommenden Dienstag haben Sie die große Möglichkeit, ins Champions-League-Viertelfinale einzuziehen. Das Hinspiel gegen Tottenham in London gewann RB 0:1. Sind Sie bereit für diese Chance?
Natürlich. Wir hätten zwar ein, zwei Tore mehr schießen können, dann wäre die Ausgangslage noch besser. Aber das 1:0 ist schon nicht schlecht.
Tottenhams Kapitän Harry Kane hat im Hinspiel verletzt gefehlt, mittlerweile trainiert er wieder. Hätten Sie es lieber, er spielt, oder sollte er besser wegbleiben?
Mir wäre lieber, er spielt. Ich würde ihn ja als Gegner haben und schon gern wissen, wie es ist, gegen so einen Top-Spieler anzutreten.
Sie sind zuletzt durch die Ausfälle von Ibrahima Konaté und Willi Orban in die Dreierkette eingerückt. Gefällt es Ihnen dort?
Im Moment fühle ich mich ziemlich wohl. Ich bin mehr ins Aufbauspiel eingebunden als auf Außen.
Was ist der entscheidende Unterschied zum Linksverteidiger?
Als Joker, wie der Trainer das nennt, hat man außen immer die Auslinie als Grenze. Man muss also nicht so viel Raum abdecken wie innen.
Auf der linken Außenbahn vertritt Sie Winterzugang Angelino. Er könnte sich als Konkurrent für ihre Stammposition entwickeln, wenn Orban und Konaté zurückkommen. Sorgt Sie das?
Wenn die beiden wiederkommen, ist das grundsätzlich gut fürs Team. Und ob der Trainer mich dann als Joker sieht oder den Konkurrenzkampf für Innen eröffnet, wird man sehen. Ich will Stammspieler sein und habe es die letzten Spiele nicht schlecht gemacht. Zumal ich der einzige Linksfuß für Innen bin. Das ergibt bei der Spieleröffnung nochmal andere Optionen, als wenn auf der Position ein Rechtsfuß spielt.
„Mir gefällt die Bundesliga”
Eine weitere Veränderung gegenüber der Hinrunde und letzten Jahre: Sie treten keine Ecken mehr, das machen Angelino und Christopher Nkunku. Bedauern Sie das?
Nö! Ich hatte mir vor der Saison vorgenommen, mal mit dem Kopf zu treffen so wie gegen Schalke. (lacht) Das ist schwer, wenn man selbst die Ecken tritt.
Haben Sie eigentlich jemals einen Titel gewonnen?
Nicht, dass ich mich erinnern kann. Ich bin mit 28 noch titellos. Wird also langsam Zeit. (schmunzelt)
Sie haben bis 2022 Vertrag. Könnten die Titelaussichten einen Ausschlag geben für Ihren zukünftigen Arbeitgeber?
Klar, es wäre schön, mal was in der Hand zu haben. Aber deswegen werde ich nicht sagen: Oh, ich wechsel‘ jetzt da oder dort hin, weil die Aussichten noch besser sind.
Welche Aspekte werden bei Ihrer Entscheidung wichtig sein?
Ich bin ein familiärer Typ und nach fünf Jahren fühle ich mich Leipzig und RB sehr verbunden und wohl hier. Ich spiele also nicht wirklich mit dem Gedanken, wegzugehen. Allerdings werde ich dieses Jahr 29, vielleicht ist das dem Verein ja irgendwann zu alt. Weiß man ja nicht.
Sie meinen, weil Sie nicht mehr ins Raster der Unter-23-Jährigen fallen?
(lacht) Ja.
Was wäre mit einem Engagement in England?
(lächelt) Komisch, mir gefällt es in der Bundesliga. Aber England hat schon was: Schöne Stadien, es geht viel hin und her und die Plätze sind top. Davon war ich die drei Mal, die wir auf der Insel gewesen sind, sehr begeistert.
Neben Diego Demme ist von der alten Garde auch Stefan Ilsanker im Winter gegangen. Gut möglich, dass im Sommer Lukas Klostermann, Emil Forsberg oder Yussuf Poulsen den Verein ebenfalls verlassen. Werden Sie sentimental, wenn Sie daran denken, dass das Aufstiegsteam von 2016 bald Geschichte sein wird.
Teils, teils. Klar, das berührt mich schon, wenn man so lange zusammengespielt hat und irgendwann vielleicht der Zeitpunkt kommt, an dem die Gruppe sich in Teilen auflöst. Andererseits: So ist Fußball. (RBlive/mhe)