Reportage vom DFb-Pokalfinale Zittern bis zum Abpfiff: Wie der RB-Fanclub Goitzsche Bullen den Triumph erlebte
Im Moment des Triumphes kommt die Kraft zurück. Zumindest kurzzeitig. „Wir sind DFB-Pokalsieger, Leute!“, schreit der Capo, der unermüdliche Vorsänger, in das Meer aus rotgekleideten RB-Leipzig-Fans im Berliner Olympiastadion.
Tosendes Gebrüll schlägt ihm entgegen. „Kommt Leute, das geht lauter, wir sind DFB-Pokalsieger!“, ruft er noch einmal mit angeschlagener Stimme, die klingt, als würde ein Blecheimer polternd in einen Brunnenschacht fallen.
Im Block K2, unmittelbar neben dem Marathontor, liegen sich die Mitglieder des Bitterfelder RB-Fanclubs Goitzsche Bullen zu Tränen gerührt in den Armen. 2:0 haben ihre Leipziger das Finale gegen Eintracht Frankfurt gewonnen und damit den Titel aus dem Vorjahr verteidigt.
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Anja Poppenberg schwingt den roten Schal. Theresa Bednarsky schreit mit rau-heiserer Stimme: „Es ist der Wahnsinn!“ Ihr Freund René Reppert steht neben ihr, schaut ins weite Rund der Arena, fährt mit der Hand unruhig durch die Bartstoppeln, als würde er etwas suchen, was nicht zu finden ist. Freude? René überlegt: „Ich bin erleichtert und erschöpft“, sagt er.
RB-Fanclub Goitzsche Bullen reist mit dem Bus zum DFB-Pokalfinale
Dieses Spiel der großen Gefühle hat Kraft gekostet. Dennoch richten sich die Goitzsche Bullen noch einmal auf, dicht an dicht stehen sie da und brüllen in den Berliner Nachthimmel: „You gotta fight for your right to party“ – Du musst für dein Recht kämpfen, Party zu machen.
Die Erlaubnis zum Feiern haben sich die Mitglieder des einzigen RB-Fanclubs Sachsen-Anhalts redlich verdient. Denn nach Berlin waren sie mit einem mulmigen Gefühl gefahren. Die Furcht vor einigen krawallbereiten Frankfurt-Fans war groß – und die Busreise tatsächlich problematisch.
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Es ist ein sonniger Samstag, 14 Uhr, der von den Goitzsche Bullen gemietete Fanbus steht abfahrbereit am Bahnhof Bitterfeld. Busfahrer Viktor lehnt sich rauchend an die Fahrertür und mustert das Arsenal an Bierkästen, das die Fans vor ihm auftürmen. Viktor will nicht, dass in seinem Bus Bier getrunken wird. „Wir machen eine Pause und dann könnt ihr trinken“, sagt er.
Es dauert nicht lange, da ist er überstimmt, der Bus setzt sich in Bewegung, die Klimaanlage nicht, eine Bullenhitze breitet sich aus. „Ich habe keine Wechselsachen mit“, ruft jemand aus der hinteren Reihe. „Dann zieh dich doch aus“, lautet ein Rat von vorne.
Viktor gerät ins Schwitzen, fingert beim Fahren unruhig an Knöpfen und Schaltern herum, dann bricht Jubel aus: Problem gelöst, darauf wird warmer Schnaps getrunken. „Das hast du gut gemacht“, lobt Theresa Viktor und öffnet sich ein Bier, klirrend stößt sie mit Freund René an: „Auf den Pokalsieg!“
René ist RB-Fan seit neun Jahren
Vor fünf Jahren lernten sich René und Theresa kennen, bei einem Kreispokalfinale in Roitzsch, sie schenkte damals Bier aus, er bestellte, ihr gemeinsamer Sohn ist jetzt drei. „Bevor der kleine da war, sind wir zu vielen RB-Auswärtsspielen mitgefahren“, sagt René, „jetzt passt meine Mutter oder die Schwiegermutter ab und zu auf den Kleinen auf, RB-Spiele sind die Zeit, die wir gemeinsam ohne Kind verbringen können.“
RB-Fan ist René seit rund neun Jahren und durch Zufall: Ein Freund hatte damals Tickets für ein Drittligaspiel, René an dem Tag nichts zu tun und kam mit. „Jetzt bin ich immer da, egal gegen wen wir spielen“, sagt er.
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Im Bus wird die Stimmung von Bier zu Bier gelöster. „Wir sind gekommen, um zu bleiben“, schallt es durch die Kabine. Die Vereinsgeschichte von RB Leipzig ist noch nicht lang, 2009 wurde der Klub vom kürzlich verstorbenen Red-Bull-Besitzer Dietrich Mateschitz erschaffen, mit dem Geld aus dem Getränkeimperium ging es eilig bis in die Bundesliga, ja gar in die Champions League.
Die Gegner des Vereins finden es verwerflich, dass der Fußball für die Marketinginteressen eines Getränkeherstellers missbraucht wird. In Fußball-Deutschland gilt das Konstrukt RB deshalb als kleinster gemeinsamer Hass-Nenner. Die Ablehnung entlädt sich in den Stadien auf die Anhänger von RB – auch in Form von Gewalt.
RB-Fans erlebten Hass und Gewalt gegnerischer Fans in Dortmund
„Wir waren damals in Dortmund dabei, als die BVB-Fans Flaschen und Steine auf uns geworfen haben“, sagt Theresa, die RB-Fan ist, weil „es eine eingeschworene und familiäre Gemeinschaft ist“. Der Hass stärke die Gemeinschaft nur. RB Leipzig hat aktuell 67 offizielle Fanclubs, die vom Verein stark gefördert werden, Mitglieder erhalten vergünstigte Eintrittskarten und bevorzugten Zugriff auf wichtige Spiele wie etwa das DFB-Pokalfinale.
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Busfahrer Viktor fängt an zu fluchen, hinter einer Kurve taucht plötzlich ein Stau auf, alles steht, die Menschen steigen aus ihren Autos. Viktor will nicht, dass die rauchbedürftigen RB-Fans den Bus verlassen, Viktor wird umgestimmt. „Wenn ich pfeife, dann kommt ihr aber alle schnell zurück“, sagt er noch, bevor alle aussteigen.
„Bestimmt haben das Frankfurter Fans gemacht, um uns aufzuhalten“, ist neben dem Bus zu hören. Dann bricht Aufregung aus. „Scheiße, der Bus brennt“, ruft Viktor panisch und rennt in Richtung Heck. Der Bus brennt nicht. Zwei Fans haben einen Rauchtopf angezündet, roter Nebel schwillt über die Autobahn. Mehr als 20 Minuten steht die rote Fangemeinde auf der Autobahn, bevor es weitergeht.
RB-Fans fiebert mit: „Unsere Tradition ist es, Traditionsclubs wie Frankfurt zu schlagen“
Die Fahrt nach Berlin dauert nun nur noch drei Bier, leicht angeschlagen steigen die Goitzsche Bullen aus dem Bus und stapfen in Richtung Stadion. Bisher waren keine Frankfurt-Fans zu sehen, die Polizei hat beide Fanlager penibel genau voneinander getrennt.
Das erste Zeichen der Frankfurter zeigt sich im Himmel. Fünf Flugzeuge lassen mit Kondensstreifen einen Schriftzug entstehen: „Nur die SGE“. Am Stadiontor blicken die RB-Fans in die Höhe, buhen. „Das Spiel wird auf dem Platz und nicht in der Luft entschieden“, sagt René.
Auf dem Platz ist das Spiel ein ausgeglichenes, auf den Rängen nicht wirklich, das Schwarz-Weiß der mehr als 40.000 Frankfurter dominiert, ebenso ihre Lautstärke. René ist nervös. Das ändert sich nicht nach dem 1:0. Selbst nicht nach dem 2:0. Erst der Schlusspfiff erlöst René.
„Ich war kurz vor einem Nervenzusammenbruch“, sagt er arg gebeutelt. Eine Reihe weiter wedelt Anja mit ihrem roten RB-Schal. Sie ist stolz. Und auf wenig ist sie stolzer, als auf die Tatsache, dass ihr Verein den Pokal verteidigt hat. Anja sagt beim Feiern im Berliner Stadion: „Unsere Tradition ist es, Traditionsclubs wie Frankfurt zu schlagen.“
Dieser Text erschien ursprünglich in der "Mitteldeutschen Zeitung".