RB LeipzigAntidemokratie in der Heldenstadt? 10 Gründe für RB Leipzig
An RB Leipzig kommt mindestens bis Samstag keiner mehr vorbei. Mit der Eroberung der Ligaspitze sind die Sachsen erster ostdeutscher Tabellenführer seit Hansa Rostock anno 1991. Kein Wunder, dass erst jetzt die Diskussionen um den „Außenseiter“ richtig losgehen. Zum ersten Mal wird RB Leipzig häufiger gegooglet als der FC Bayern München (siehe Grafik). Ein Grund für die ZEIT, nach der Bedeutung der neuen Konstallation am Bundesligahimmel zu fragen.
„Großer Player“ RB Leipzig zur Identifikation
Charly Hübner ist geboren in Neustrelitz, Neubrandenburg. Als echter Ostdeutscher könne er auch verstehen, wieso manch einer mit dem „spätkapitalistischen Verein RB Leipzig“ fremdelt. Er selbst tue das allerdings nicht und begründet dies mit dem Glanz, den ein Fußballverein auf dem Weg ins internationale Geschäft in seine Region bringt. Sachsen habe „zuletzt nur braune Schlagzeilen gemacht, nun macht es auch ein paar RB-rote Schlagzeilen.“
Dass der Verein als Vehikel dabei nicht anders funktioniert, als der Rest des Spitzenfußballs, nämlich mit Geld, ist für ihn zweitrangig. Ihn beeindruckt die Spielweise: „Mit einer schnellen, kontrollierten Offensive überrumpelt diese Mannschaft ihre Gegner. Und sie gewinnt – weil alle anderen Leipzig gnadenlos und ziemlich arrogant unterschätzt haben. Nun, das ändert sich ja gerade!“
Helden gesucht in der Heldenstadt?
Auch an anderer Stelle schlägt man eine Brücke vom rationalen Fußballunternehmen zum Rechtspopulismus. Mit dem Erfolg lasse RB Leipzig einen Traum wahr werden und erfülle eine heroische Funktion Die Menschen hätten eben Sehnsucht nach Helden. Ob sie diese im Osten nicht auch woanders findet oder die Leistung der Kicker auch nur einen Hassprediger beeinflusst haben mag, lässt die Autorin Jana Hensel offen. Als Heldenstadt war Leipzig jedenfalls schon vor 2009 bekannt.
Leipzig hat RB Leipzig verdient
Mit weniger Pathos könnte man auch sagen: Leipzig bekommt den Fußball, den es verdient. Das macht Felix Dachsel ganz einfach an seinem Gefallen an der Stadt fest, die ihn im Gegensatz zur „westdeutschen Langeweile“ anderer Fußballmetropolen begeistert:
„Und dann kommt man aber in Leipzig an, im schönsten Bahnhof Deutschlands. Hohe, helle Kuppel. Man geht zu Fuß zur Nikolaikirche, man legt den Kopf in den Nacken und staunt. Im Sommer läuft man zum Clara-Zetkin-Park, man grillt und spielt Fußball. Und dann geht man eben noch ins Stadion.“ Seine anfängliche Skepsis als Zugezogener habe er abgelegt, deswegen empfiehlt er den ürbrigen Fans wärmstens eine Auswärtsfahrt.
Konkurrenz belebt das Geschäft
Nicht nur in der Tabelle seien sich Leipzig und München jetzt ganz nahe. Die Fans beider Lager teilen eine Gemeinsamkeit, da ist sich Anne Hähnig sicher. Ähnlich wie die Fans des FC Bayern brauche man als RB-Fan viel Rückgrat. Außerdem sei die Vorgeschichte der Sachsen vergleichbar.
„Es gab vor 50 Jahren schon mal eine Region in Deutschland, die als rückschrittlich und provinziell galt, ein bisschen so wie der Osten heute.“ Warum sie gerne glaubt, dass der Siegeszug der Münchner und der Aufschwung der Wirtschaftsregion Bayern zusammenhängen, bleibt ihr Geheimnis.
Einfach großer Fußball
RB Leipzig polarisiert. Das ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal, denn „im Fußball gibt es eine ausgeprägte Schwarz-Weiß-Denkkultur. Gut oder Böse, unten oder oben, dazwischen scheint nichts zu zählen“, weiß Cathrin Gilbert. Anstatt sich an der Diskussion über finanzielle Ungleichverteilung zu stoßen, plädiert sie für eine sportliche Sicht.
Das Spiel der Leipziger sei es einfach wert, Anerkennung zu finden. Das laufintensive Spiel sei beim jungen Team von Ralph Hasenhüttl mit taktischer Disziplin und einer Demut gepaart, die es sich noch möglichst lange erhalten solle.
OBM Jung über Wirtschaftsfaktor RB Leipzig
Auch Oberbürgermeister Burkhard Jung kommt zu Wort. Der Politiker sieht es realistisch: die Polarisation des Vereins wird der Stadt erhalten bleiben. Allerdings kann er auch gegenüber den Bedingungen anderer Clubs nichts Falsches erkennen. Was die Strahlkraft angeht, schlägt er in dieselbe Kerbe wie Charly Hübner.
Für die Stadt Leipzig ist der Verein in erster Linie ein Standortfaktor. Sowohl, was die wirtschaftliche Kraft der Region angeht, als auch das Image. Alleine die Stadtkasse Leipzig profitiere womöglich von etwa 5 Millionen Euro Mehreinnahmen in der laufenden Saison, rechnet Wirtschaftsexperte Henning Zülch vor. An anderer Stelle nannte er die Verbundenheit des Vereins mit der Stadt auch als richtungsweisend für den Verein RB Leipzig.
Wende 2.0: die Zeiten haben sich geändert
Jahrelang sei es immer umgekehrt gelaufen. Im Osten haben westdeutsche Investoren Gegenwind bekommen, mussten „Almosen“ aufdrücken. In der DDR habe man schließlich die Regeln nie verstanden. Der Grund, warum das Geschrei gegen RB Leipzig besonders in Westdeutschland groß sei? Zum ersten Mal komme jemand, investiere ernsthaft in einen unterklassigen Fußballclub und schlage nun die Westdeutschen in dem, was ihnen am heiligsten ist: im Fußball.
Antidemokratischer „capitalism at its best“
Die vielleicht interessanteste These bringt ein weiterer Professor der Handelshochschule Leipzig vor. Selbst wenn die Wahl des Standorts Leipzig beim Brausehersteller eher zufällig getroffen worden wäre – Leipzig und RB passten perfekt zusammen. Aus einer laufenden Studie berichtet der Wissenschaftler, dass die Ostdeutschen in besonderer Weise akzeptierten, dass sie im Gegenzug für den Erfolg und die Identifikationsangebote weniger Partizipation am Verein bekämen.
Trotzdem sei RB auf seine Weise als postmoderner Verein einzigartig offen für alle Klassen und Schichten. „Für Neureiche wie für Arme, Studenten wie Arbeitslose. Jeder kann etwas hineinprojizieren, jeder ist ansprechbar. Das ist capitalism at its best.“ Allerdings solle man seine Aussagen auch mit Vorsicht genießen, die Studie sei noch nicht beendet.
Aktive friedliche Fanszene statt Krawall
Interessanterweise führte auch die Linken-Politikerin Luise Neuhaus-Wartenberg, Vertreterin des Fanverbands, eine „besondere mentale Flexibilität“ gegenüber dem Verein an. Gleichzeitig erhofft sie sich aber mehr Mitspracherecht. Im Interview mit der Zeit betont sie aber einen anderen Aspekt. Sie sei es leid, dass Fußball in Leipzig gleich Krawall bedeute.
Die ehemalige „Chemikerin“ habe in der Red Bull Arena noch nie rassistischen Unsinn gehört. „Einmal saß einer mit Klamotten von Thor Steinar im Stadion. Der wurde sofort in eine Diskussion verwickelt.“ Als Fanvertreterin könne sie Dinge noch beeinflussen. Dazu gehöre die Entscheidung, „wie wir eigentlich mit dem Hass umgehen, der uns manchmal entgegenschlägt.“
„Das machen doch jetzt alle so!“
Hoffenheim, Wolfsburg, Leverkusen, Ingolstadt, Leipzig. Ein Großteil der Liga ist mittlerweile nicht mehr „Traditionsclub“ oder sogar Gründungsmitglied der Bundesliga. Da er jetzt „nicht mehr alleine“ sei, freue sich der Fan von Bayer 04 Leverkusen über Gleichgesinnte, die Sprüche über ihren Retortenverein hinnehmen müssen. Deswegen rät er: „Bleibt der Bundesliga möglichst lange erhalten! Und noch ein Tipp: Lernt verlieren, das schult den Charakter. Deutscher Meister werden ist leicht, die deutsche Meisterschaft in letzter Minute vergeigen, braucht aber Größe.“
Fest steht, rund um den Verein gibt es die verschiedensten Gründe für und gegen den Bundesliganeuling. Wie der Traum, das Märchen, die Erfolgsgeschichte am Ende der Saison ausgeht, wird die Zeit zeigen.