RB Leipzig„Dann hat irgendwann die ganze Welt Angst vor mir”: Hat sich Nagelsmann im Finale mit RB Leipzig verzockt?
Die Abläufe bei einem DFB-Pokalfinale können unerbittlich sein. Das Protokoll sieht es so vor, dass Spieler und Trainer der Verlierer-Mannschaft bei der Siegerehrung an dem golden glänzenden Pott vorbei müssen. Ein bitterer Gang. Julian Nagelsmann ballte denn auch die Faust um seine Silbermedaille, schritt konsterniert mit gesenktem Kopf an dem Podest vorbei und würdigte den Pokal keines Blickes.
Keine Frage, RB Leipzigs 1:4 (0:3)-Finalschmach gegen Borussia Dortmund ist auch eine persönliche Niederlage für den scheidenden Trainer. „Sie können sich vorstellen, dass ich mich nicht gut fühle. Natürlich hätte ich gern einen Titel gewonnen. Aber es geht nicht um meine Person”, sagte der 33-Jährige angefressen und mit belegter Stimme. Doch auch Nagelsmann weiß, dass „jetzt alles personalisiert wird”. Sprich: Die Demontage im Pokalfinale wird nun vor allem ebenso an ihm festgemacht, wie auch ein Sieg zuerst dem Trainer zugeschrieben worden wäre.
Warum nicht gleich so?
Nagelsmann geht nun allerdings nicht nur titellos nach München, sondern auch mit einem verlorenen Finalspiel im Rucksack, das beileibe kein Aushängeschild seiner zwei Jahre in Leipzig ist und in dem er nicht die glücklichsten Entscheidungen traf. Oder deutlicher: Mit dieser Startformation hat sich das junge Trainergenie verzockt.
Nagelsmann bot eine Elf auf, die in dieser Konstellation noch nie begonnen hatte. Die finalerfahrenen und titelhungrigen Routiniers Yussuf Poulsen, Willi Orban, Emil Forsberg sowie Kreativspieler Christopher Nkunku ließ er allesamt zunächst draußen und vertraute Hee-chan Hwang und Alexander Sörloth. Zur zweiten Halbzeit korrigierte der Trainer dann seine Entscheidung, brachte Poulsen und Nkunku (beide 46.) und Forsberg (62.). Leipzig spielte nach Wiederanpfiff plötzlich so zielstrebig und geradlinig – unter anderem mit zwei Aluminiumtreffern (Nkunku, 46. und Forsberg, 71.) –, dass es bei besserer Chancenverwertung möglich gewesen wäre, das Spiel noch auf den Kopf zu stellen. Doch warum nicht gleich so, fragten sich die Beobachter?
„Wir haben versucht, Dortmund mit Sörloth und Hwang mit viel Tempo hinten weh zu tun”, rechtfertigte Nagelsmann seinen Plan. Sörloth sollte gegen Raphael Guerreiro punkten, der Schwächen in der Defensive hat. Doch Sörloth, der eine Großchance ans Außennetz schoss (39.), kam zu selten in Abschlusssituationen. „Weil sich das Spiel total ändert, wenn du 0:3 hintenliegst und einfach noch weniger Raum hinter der Kette ist, waren nach der Pause andere Tugenden gefragt als die von Hee-chan”, erklärte er die Korrektur zu Halbzeit und führte taktische, aber „auch leistungsmäßige” Gründe für den Doppelwechsel an.
„Königsmörder” Nagelsmann: „Da bricht mir kein Zacken aus der Krone”
Warum Poulsen, RB Leipzigs Rekord-Torschütze im Pokal, nicht von Beginn an spielte, erklärte der Fußballlehrer mit dessen Verletzung vor zwei Wochen. „Yussi war eine Zeit lang verletzt und hat nicht so viel trainiert. Für seine Qualitäten braucht er einen gewissen Rhythmus, um sich konativ (antriebhaft, Anm.d.Red.) gut zu bewegen, ein Gefühl für Räume und den Ball zu entwickeln.” Poulsen selbst hatte sich im Gespräch mit Mitteldeutscher Zeitung/RBlive zu Wochenbeginn allerdings bei 100 Prozent gewähnt.
Angesprochen auf eine mögliche frühere Intervention noch in der ersten Hälfte sagte der Coach lakonisch: „Jetzt habe ich Angeliño aus dem Kader gestrichen, dann soll ich in der ersten Halbzeit wechseln? Dann hat irgendwann die ganze Welt Angst vor mir. Ich habe schon gelesen, dass die Spieler jetzt Angst vor mir hätten, weil ich der Königsmörder sei.” Linksaußen Angeliño schmorte auf der Tribüne, weil Nagelsmann ihn nach einem lustlosen Abschlusstraining und vorangegangenen disziplinarischen Problemen aus dem Kader verbannt hatte. Doch der 33-jährige Coach könne mit der Aufstellungskritik leben, sagte er leise: „Da bricht mir kein Zacken aus der Krone, das kann ich verkraften.”
Inhaltlich sind Nagelsmanns Aufstellungs-Entscheidungen jede für sich isoliert betrachtet durchaus schlüssig und zu erklären. Doch insgesamt fehlten seinem Team in der ersten Hälfte Abstimmung, eingespielte Abläufe, Erfahrung, Präzision und Mentalität. Bisweilen wirkt der baldige Münchner Trainer zu verkopft in seinen Herangehensweisen – genau wie das Spiel seiner Mannschaft in diesen Wochen. Mit seiner Strategie, die Aufstellung immer zuerst am Gegner zu orientieren und danach an den eigenen Stärken, hat er diesmal nicht die richtige Finalmischung gefunden.
Sabitzer: „Sehe unsere Leistung kritisch”
Am Ärgerlichsten und Verhängnisvollsten jedoch ist, dass die einstigen RB-Tugenden – defensive Kompaktheit und schnelles Umschaltspiel – gerade immer mehr verwässern und inzwischen eher wieder den BVB auszeichnen als RB. Die Mannschaft prägt in dieser Saisonphase – genau wie übrigens in der vergangenen Spielzeit zu diesem Zeitpunkt – bei aller angepeilten Variabilität eine Unsicherheit bei der Umsetzung der einzelnen Spielideen innerhalb einer Partie. Beim Switch zwischen hohem Pressing und tiefer Verteidigung etwa hakt es ebenso wie hinsichtlich Geradlinigkeit in der Offensive. Kaum einmal gelingt RB Leipzig derzeit über 90 Minuten ein konstant gutes Spiel, meist sind es einzelne Halbzeiten oder wie in Dortmund gute 20 Minuten. Erst wenn RB mit dem Rücken zur Wand steht und die taktischen Fesseln über Bord wirft, entfaltet das Team seine Wucht, den Mut und den Charakter, den es eigentlich hat, aber zu selten zeigt.
Kapitän Marcel Sabitzer sagte nach dem 1:4: „Wenn du viel rumspielst und wenig dabei herauskommst, verlierst du so ein Spiel. Wir haben bei Ballbesitz die Restverteidigung zu schlecht eingeteilt und ihnen zu viele Räume gelassen. Das müssen wir uns ankreiden lassen. Ich empfinde pure Enttäuschung und sehe unsere Leistung auch kritisch.”
Kritik und Wut der Fans in den sozialen Netzwerken richtet sich nun – wie von Nagelsmann erwartet – vor allem gegen den Trainer. „Es tut mir leid für die Spieler und den Klub, weil wir zuvor eine rasante Entwicklung genommen haben”, sagte er. Doch Nagelsmanns zwei Jahre in Leipzig bleiben nun unvollendet – ein selbstgewähltes Schicksal. (RBlive/ukr)