Teil 2: der trainer Trainer, Kader, Funktionäre: Die Gründe für den Absturz von RB
Die Krise bei RB Leipzig hat viele Ursachen. In der Hauptverantwortung steht freilich Trainer Marco Rose. RBlive analysiert im zweiten Teil der Serie den Zuständigkeitsbereich des Coachs in der Negativspirale.

Leipzig – RB Leipzig steckt in einer Krise – nicht nur, was die aktuellen Leistungen der Mannschaft betrifft, sondern auch in vielen anderen Bereichen läuft derzeit einiges unrund beim so schnell empor geschossenen Bundesligisten, der derzeit nach einer Zukunftsstrategie sucht.
Im ersten Teil unserer vierteiligen Serie, die die Ursachen der Krise beleuchtet, haben wir die Zusammenstellung der Mannschaft analysiert. Im zweiten Teil geht es um Trainer Marco Rose.
Keine klare Handschrift mehr zu erkennen
So lange wie Marco Rose war noch kein Trainer bei RB Leipzig im Amt. Diese Kontinuität mit nun gut zweieinhalb Jahren an der Spitze des Teams tat dem Klub nach Jahren der schnellen Trainerwechsel gut. Der Fußballlehrer hat nachgewiesen, dass er mit einer funktionierenden Mannschaft Titel gewinnen, Spieler wie Dominik Szoboszlai, Josko Gvardiol und Xavi Simons weiterentwickeln und große Gegner wie Real Madrid und Bayern München schlagen kann.
In dieser schwierigen Saison mit vielen Verletzten jedoch – ohne spielintelligente Anführer wie Dani Olmo, Emil Forsberg, Dominik Szoboszlai und Xaver Schlager – gelingt es Rose nicht (mehr), dem Team eine klare Spielidee zu vermitteln und seine Handschrift auf die Mannschaft zu übertragen. Weder gegen den Ball noch im Spiel mit dem Ball erfüllt die aktuelle Mannschaft derzeit auf konstantem Niveau die Ansprüche von RB Leipzig, Investor Red Bull und Rose selbst.
Keine Dominanz, keine Konstanz, kein Respekt
Spiel gegen den Ball: Zu oft fällt das Team in dieser Saison derart krachend in sich zusammen, wie nach 20 Minuten gegen Mainz. Die Gegner fürchteten einst die Festung Red-Bull-Arena, wo die Leipziger ihre Konkurrenten serienmäßig stressten und überrannten. Doch in dieser Saison hat RB nur die Hälfte seiner zwölf Heimspiele in der Bundesliga gewonnen. Mittlerweile hört man von Gegnern nach den Partien, dass sie nach Spielen Spaß gehabt hätten in Leipzig. Mainz 05 konnte beim jüngsten 1:2 zwischen 20. und 80. Minute nach Belieben kombinieren, ohne dass die Gäste groß gestört worden wären. „RB hat weiterhin die DNA, übers Gegenpressing und Umschalten zu kommen”, sagte Stürmer Jonathan Burkardt. „Wenn man das kontrolliert, hat man viel richtig gemacht.” Tenor: RB aktuell zu besiegen, ist keine Raketenwissenschaft. Zu löchrig ist das einst gefürchtete Pressingnetz. Nicht die Gegner werden gestresst, sondern die Gastgeber selbst lassen sich stressen und auseinanderspielen.
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Spiel mit Ball: Zu ideenlos ist der Plan mit Ball. Ohne Xaver Schlager funktioniert das Übergangsspiel nach Ballgewinnen weder bei Kontersituationen noch im Kombinationsspiel gegen einen tief stehenden Gegner. Dass es Rose nicht gelingt, den Plan auch ohne den dauerverletzten Chefstrategen im zentralen Mittelfeld zu implementieren, muss er sich ankreiden lassen. Generell braucht die aktuelle Mannschaft offenbar klarere Ansagen, als es etwa Olmo & Co. brauchten. Doch Rose vertritt die Auffassung: Was im letzten Drittel passiert, sei Sache der Spieler. Doch das Prinzip trägt momentan nicht. Das auf entscheidenden Positionen (zu) junge Team braucht mehr konkrete Strategien, um sich freizuschwimmen und nicht immer wieder in gewissen Spielphasen derart hilflos in Passivität zu verfallen wie in einigen Partien seit Jahresbeginn. Es wirkt, als sei der Ideentank der Mannschaft ebenso leer wie das körperliche Reservoir. Beide müssen dringend aufgefüllt werden. Roses Ansatz ist seit Monaten, immer mehr Intensität einzufordern, doch das greift zu kurz. Mainz hat es vorgemacht, wie man Intensität mit aktivem, reifem, planvollem Kombinationsfußball über das gesamte Spielfeld hinweg verbindet.
Ohne Entwicklung hinkt Leipzigs Kaderprinzip
Coaching: In der vergangenen Saison war Rose für sein zu passives Ingame-Coaching und späte Auswechslungen kritisiert worden. In dieser Saison war er durch die vielen Verletzungen gezwungen, neue Ideen zu entwickeln – Überlebensstrategien. Das funktionierte teils ordentlich wie mit der Versetzung von Antonio Nusa auf die Linksverteidiger-Position für den verletzten David Raum. Rose wechselt auch innerhalb der Spiele häufiger mal die Grundformation, teilweise notgedrungen wie gegen Heidenheim, als die Viererkette nicht funktionierte. Generell jedoch vermisst man wie jüngst gegen Mainz blickige Reaktionen auf negative Spielverläufe und Anpassungen an Reaktionen des Gegners.
Individuelle Entwicklung der Spieler: Doch nicht nur als Team, auch individuell entwickelten sich Spieler zurück. Über Toptrainer heißt es, dass sie jeden Spieler besser machen. Und das ist auch Anspruch und Anforderung bei RB, wo für viele Millionen Talente verpflichtet werden. Ein System, das auf Entwicklung baut. Doch im aktuellen Strudel rutschen immer mehr Spieler in eine Formkrise. Rose vermochte es bislang nicht, teure Akteure wie etwa Nicolas Seiwald (20 Millionen Euro) und Christoph Baumgartner (24 Millionen Euro) auch nur annähernd an ihr Leistungsmaximum heranzuführen und für sie die geeigneten Positionen zu finden. Wenn individuelle Entwicklung ausbleibt, hinkt allerdings das gesamte RB-Kaderprinzip.
Krisenmanager Rose
Verhältnis zur Mannschaft: Sehr lange stellte sich der geduldige, aber inzwischen von der Situation ausgelaugt wirkende Coach vor seine Mannschaft. Manche sagen: zu lange. Doch seine Nähe zum Team und die Unterstützung durch die Führungsspieler sind ein Pfund für Rose. Nach dem Spiel gegen Mainz schlug er gegenüber seiner Mannschaft zwar erstmals auch öffentlich neue, deutlichere Töne an. Sie habe kein Gefühl für Spielphasen und Spielsituationen, kritisierte Rose harsch. Einer verlasse sich auf den anderen, und sie wisse nicht, wie man am Ende einer englischen Woche clever genug agiert, um einen Energieverlust zu vermeiden. Doch zehn Spieltage vor Ende der Saison und mit zuletzt ausreichend Trainingszeit und mehr gesunden Spielern sollte das Team besser vorbereitet darauf sein und im Saisonverlauf Strategien entwickelt haben. Auch bei knapper Trainingszeit ist es die Aufgabe des Trainerteams, dies dem Team so zu vermitteln, dass es die Anweisungen auch umsetzt. Die Führungsspieler stehen trotz der Kritik weiter geschlossen hinter Rose, David Raum etwa sagte am Dienstag, dass der Trainer immer die treffenden Analysen und Worte in den jeweiligen Situationen findet.
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Krisenmanager: Rose leidet sichtlich an den stetigen Rückfällen seines Teams. Doch er behält in der Krise bisher einen kühlen Kopf, lässt sich nicht von der Aufgeregtheit um den Klub und die Diskussionen um seinen Job anstecken. Im Training sieht der Spielfluss deutlich besser aus als in den meisten Spielen. Positiv: Er lässt sich helfen, nimmt den Input durch das Team von Jürgen Klopp dankend an und verschließt sich den Ratschlägen von Klopps Vertrauten nicht. Doch auch mit Unterstützung gelingt die Umstellung vom spielerischen Krisenmodus zurück zum gewohnten RB-Fußball bislang nicht.
Schwächer als die Summer der einzelnen Teile
Fazit: Die Mannschaft braucht dringend neue Impulse, um wieder echten und von den Gegnern gefürchteten Red-Bull-Fußball auf den Platz zu bringen und nicht weiter abgehängt zu werden – mit UND gegen den Ball. RB-Teams zeichneten sich stets dadurch aus, durch das Spielprinzip stärker zu sein als die Summe der einzelnen Spieler. Aktuell ist die gut halbe Milliarde Euro teure Mannschaft schwächer als die Leistungsfähigkeit der Einzelakteure es verspricht. Und das ist Sache des Spielprinzips, also Hoheitsgebiet des Trainers, dem es stets wichtig war zu betonen, dass auch er bei der Kaderplanung involviert war und ist und die Mannschaft mit zusammengestellt hat.