Teil Drei: die Funktionäre Die Gründe für den Absturz von RB: Kein Geist unter den Flügeln
RB Leipzig steckt zurzeit in einer Krise, die der Klub so noch nicht erlebt hat: In der Champions League sang- und klanglos ausgeschieden und in der Meisterschaft bereits auf Rang sechs durchgereicht. In einer vierteiligen Serie geht RBlive auf die Suche nach den Gründen. Teil drei nimmt die Vereinsstrukturen und Entscheider am Cottaweg in den Fokus.

Leipzig – In einer vierteiligen Serie versucht das Reporterteam von RBlive, den Gründen der aktuellen Krise von RB Leipzig auf die Spur zu kommen. Nachdem es in Teil eins den Kader auf die Frage hin untersucht hat, ob er den Erwartungen an ein Champions-League-Team gerecht werden kann, hat es im zweiten Teil den Anteil von Trainer Marco Rose in den Fokus genommen. Im dritten Teil liegt das Augenmerk auf den Funktionären im Klub und seinen Strukturen.
Rangnick und die RB-DNA
Marco Rose ist der siebte Trainer in den vergangenen zehn Jahren, den die Konzern- und Vereinsführung damit betraut hat, den Red-Bull-Klub in die oberen Tabellenregionen und die Champions League zu hieven. Darunter war 2018/2019 auch Ralf Rangnick, der als RB-Baumeister der Professionalisierung des sportlichen Bereichs beim 2007 gegründeten Klubs nach den wilden Anfangsjahren gilt – sowohl in Salzburg als auch in Leipzig. Er gilt als Schöpfer der RB-DNA, einem champagnergleichen Fußball mit viel Teamgeist, Power und Speed, Ballräuberei und Überfallkontern.
Lesen Sie hier: Teil 1 der Krisenanalyse
Unter dem aktuellen Teamchef der österreichischen Nationalmannschaft entwickelten die Red-Bull-Filialen einen einheitlichen Spielstil, eine weitgehend einheitliche Transferstrategie und eine Leistungskultur, die den Klub binnen weniger Jahre nach oben katapultierte. Unter seiner Führung wurden alle unterschiedlichen Departments an den Standorten professionalisiert, miteinander verzahnt und unter das eine Leitmotiv gestellt, nämlich zu wachsen, sich zu entwickeln und irgendwann nach Titeln zu greifen und um Meisterschaften mitzuspielen.
Viele Chefs, viele Köche
Zu diesen Maßnahmen gehörte auch, seinen ehemaligen Manager Oliver Mintzlaff mit ins Boot zu holen und mit dem Aufbau der Organisations- und Verwaltungsstrukturen zu betrauen. Mintzlaff hat geliefert. Der Verein besitzt ein weitverzweigtes System in der sogenannten Chief-Ebene, die sich in alles ein- und aufteilen, was bei einem Fußballklub so anfällt: von Marketing, Ticketing, Merchandise, Public Relations, Medien, Finanzen und Sport.
Lesen Sie hier: Teil 2 der Krisenanalyse
2021 verließ Ralf Rangnick seinen geliebten Klub, auch im Dissens mit Mintzlaff und dessen Entourage. Seitdem wechseln im sportlichen Verantwortungsbereich die Akteure mit einer vergleichbar hohen Fluktuation wie auf dem Trainerstuhl. Auf Rangnick folgten in unterschiedlichen Funktionen Christopher Vivell (Chefscout), Markus Krösche (Sportdirektor), Ex-Journalist Florian Scholz (Kaufmännischer Leiter Sport), Max Eberl (Geschäftsführer Sport), Rouven Schröder (Sportdirektor) und aktuell Marcel Schäfer (Geschäftsführer Sport), Daniel Baier (Sportkoordinator) sowie Sebastian Schuppan (Sportlicher Leiter). Viele Köche, die nacheinander an den Kochtopf gelangen, können eine Suppe genauso verderben wie zu viele Köche zur selben Zeit.
Magische Überredungskünste
Nach Krösches Abgang übrigens, der mittlerweile erfolgreich die sportlichen Belange des momentanen Bundesligadritten und Europa-League-Siegers von 2022, Eintracht Frankfurt, verantwortet, gab es bis Ende 2023 keine sportliche Leitung. Ex-Geschäftsführer Oliver Mintzlaff wartete auf die „1-A“-Lösung, die sich irgendwann in die „1-A-plus“-Lösung verwandelte und mit Eberl endete, der nur ein dreiviertel Jahr später im Clinch den Klub Richtung seines Traumvereins FC Bayern wieder verließ.
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Mintzlaff, der ehemalige Mittelstreckenläufer, hat sich spätestens seit seinem Wechsel in die Geschäftsführung bei Red Bull zu einem der weltweit führenden Sportfunktionäre entwickelt. Seine Kontakte sind exzellent, seine Überredungskünste offenbar magisch, wie das Anbordholen von Eberl und Jürgen Klopp gezeigt hat. Er kann auch aufsehenerregende Transfers einstielen wie den von Xavi Simons. Gleichzeitig sind ihm die Rückholaktion von Timo Werner und der mit seinem früheren Vertrauten Scholz eingetütete Wechsel von Ilaix Moriba misslungen.
Mittlerweile lässt er sich von Ex-Nationalspieler Mario Gomez beraten, den er aus früheren gemeinsamen Tagen bei der Spieleragentur von Uli Ferber kennt. Was genau der ihm rät und von welchem Knowhow unterlegt, ist unklar. Zudem unterlaufen ihm immer wieder öffentliche Einlassungen, mit denen er Missstände anspricht und die gern sesshafte Genügsamkeit bei den Rasenballsportlern aufrüttelt. Doch nicht selten schießt er verbal übers Ziel hinaus, wie etwa im Herbst, als er den Supercup, auf den Rose sehr stolz ist, zum „Titelchen” verkleinerte.
Wo ist der Visionär?
Seit Rangnicks Ausscheiden ist er bei RB zum Akteur mit dem größten Einfluss am Cottaweg aufgestiegen; sein Wort sticht jedes andere aus. Doch die Mehrfachbelastung als RB-Aufsichtsratschef und Red-Bull-Geschäftsführer machen sich insofern bemerkbar, als es am Cottaweg zwar von vielen klugen Geistern wimmelt, doch es fehlt gerade die ordnende Figur, die strahlende Persönlichkeit, wie sie Rangnick gewesen ist und auch Mintzlaff verkörpern konnte. Der Eindruck, der aus der Akademie nach außen dringt, ist deshalb der einer fein getunten Maschine mit einem allerdings ebenso maschinell wirkenden Krisenmanagement. Dass es vor Leben zuckt, dass es brodelt und ein nimmermüder Geist alles auf den Prüfstand stellt, jedem unter die Arme fährt und „Flügel“ verleiht, spürt man gerade nicht.
Sportchef Schäfer ist ein eloquenter Macher, der am Cottaweg wegen seines überlegten und nahbaren Führungsstils hohes Ansehen genießt. Der 40-Jährige hat sich bislang zwar noch nicht als unbequemer Visionär hervorgetan. Doch er hat begriffen, dass RB neue Impulse braucht. „Wir brauchen immer wieder die Kultur und den Drive, mehr zu wollen und hungrig zu bleiben”, sagte er im Interview mit RBlive. „Dazu müssen wir weiterhin innovativ sein, immer darauf achten, dass die Infrastruktur nicht nur gut oder sehr gut, sondern auf Top-Top-Niveau ist, dass wir immer absolute Experten im Staff haben, die die Jungs optimal unterstützen, in ihrer täglichen Arbeit besser zu werden.” Ein wichtiger Punkt, in allen Bereichen wieder Vorreiter und der Zeit voraus zu sein. Das ist aktuell nicht der Fall.
Im Sommer muss Schäfer nach der eher verkorksten Wintertransferperiode nun liefern und beweisen, dass er den RB-Kader im Sinne der RB-DNA zukunftsfähig umbauen kann. So fehlt etwa ein bissiger, schneller, klassischer Sechser neben Xaver Schlager, der für das Pressingspiel nötig ist. Keine einfache Aufgabe.